Wenn einer mit den Worten “das ist mein Land” auf den Lippen jemanden, den er als Volksfeind ausfindig gemacht hat, mit einem Schlagstock minutenlang malträtiert, wie vor 9 Tagen hier in Homburg geschehen, dann handelt jener nicht bloß als aggressiver Asozialer sondern als Staatsbürger mit explizit politischem Willen. Er handelt in der Ahnung, dem Wissen oder dem Wunsch, ein guter Deutscher zu sein. Er sieht und denkt sich als Avantgarde des Volkskampfes mit dem Auftrag, störende Elemente — wenn nicht zu beseitigen — dann doch zumindest kräftig einzuschüchtern. Für gewöhnlich entlädt sich die Wut des rasenden Mobs an denen, die der nationalen Mission nicht folgen können oder nicht folgen wollen und gleichsam schutzlos ausgeliefert sind. Solcherlei Handeln ist keinesfalls bloß Psychopathologie von Einzelnen, sondern Ausdruck gesellschaftlicher Tendenz. Einer Tendenz die darin besteht individuelle Interessen zugunsten einer nationalen Weltmission des wiedervereinigten Deutschlands endgültig aufzugeben. Man denke nur an den aktuellsten Schrei deutscher Erweckungsbewegung, der darin besteht, die massenmörderische Nazi-Generation als Opfer herauszuputzen, um umso unbefangener den Platz an der Sonne beanspruchen zu können. Der Platz an der Sonne das ist langfristig nicht mehr Malle sondern Weltmacht und zwar vor und gegen die USA. Wenn die sechs Dorfnazis noch beim Einschlagen auf das Opfer, auf das Selbstbestimmungsrecht ihres “Volkes” pochen, dann handeln sie nicht nur vor diesem gesellschaftlichen Hintergrund. Die gesellschaftliche Struktur ist ihrem subjektiven Handeln bereits implizit.
Der deutsche Mob ist in Angelegenheiten staatlicher Reinhaltung meist noch etwas feinfühliger als der Staat selbst. So entfacht sich spontane Gewalt, die dem Souverän gewissermaßen vorgreift. Immer dann wenn faschisierte Deutsche losschlagen, wird an ihnen auch offenbar, was der Nation-ist-geil-Zivilgesellschaft immanent ist. Der Nationalismus braucht, um sich selbst auf den Begriff bringen zu können, sein Gegenprinzip, den inneren und äußeren Feind. Der Nationalismus hierzulande, der weniger auf Verfassung denn auf Blut und Boden gründet, evoziert den inneren Volksfeind, wie das äußere Gegenprinzip. Beides muss bekämpft werden. Während sich der Kampf der meisten Volksgenossen im aggressiven Geraune über Schmarotzer, Ausländer und Juden, die das Unglück angeblich verwalten, erschöpft, machen manche eben ernst und schlagen zu. Zwischen Jugendzentrum und Bahnhof in Homburg wurde vor 10 Tagen zugeschlagen, weil die Opfer als innere Zersetzer, als Verweigerer identifiziert wurden. Die Methodik des Straßenmobs ist altbekannt: eine Melange aus roher Gewalt und sexualisiertem Sadismus. Die Macht, die sie hatten, als sie eine junge Frau zwangen, ihr T‑Shirt mit dem Logo “gegen Nazis” auszuziehen, kommt so schnell nicht wieder, auch nicht das affektiv erhabene Gefühl, einen “Feind des Volkes” gewaltsam disziplinieren zu können. Faschismus und sadistische Machtausübung sind zwei Seiten einer Medaille, deren Prägung die Deutschen nach wie vor am besten beherrschen.
Warum fühlt sich jemand deutsch? Weil, wie es Joachim Bruhn formuliert “der Einzelne nur als kapitalproduktives und staatsloyales Subjekt von Belang ist, weil seine Existenz für den Fortgang des Betriebs herzlich egal ist, weil seine allseits gelobte “Identität” nicht die seine ist und ganz im Gegenteil davon abhängt, ob überhaupt und wozu er taugt, weil daraus summa summarum folgt, dass seine “Anthropologie” nur in der jedem Einzelnen vertrauten, allgemein bekannten und genau darum kollektiv verdrängten Angst davor wurzelt, seiner insgesamt längst geahnten sozialen Überflüssigkeit auch noch öffentlich überführt zu werden — eben darum fühlt er sich genötigt, “ein Deutscher” zu sein”. Die kapitale Vergesellschaftung wirkt bis ins tiefste Innere des faschistischen Subjekts. Ein guter Deutscher bringt — die eigene Nutzlosigkeit und Ersetzbarkeit stets vor Augen — unbedingte Treue zum Staat sowie die totale Bereitschaft zur produktiven Plackerei gleichermaßen mit, notfalls bis zum verrecken.
Die Empörung über NPD und bekennende Nazis, die seit den neuerlichen Wahlerfolgen der Nazis eine Renaissance der Anständigen erfährt, steht zum völkischen Nationalismus weder im Widerspruch, noch ist sie bloße Heuchelei. Wenn Kirche, Politik, Gewerkschaften oder Popidole den antifaschistischen Kampf gegen “Rechtsextreme”, wie es so schön heißt, im Mund führen, dann ist dies ernste Sorge und zwar die Sorge ordentlicher Staatsbürger um das Ansehen von Volk und Vaterland im Ausland, von dessen Blick man aufgrund wirtschaftlicher und politischer Konstellationen nicht gänzlich befreit ist. Nachdem Auschwitz, um dessen Ausmaß die Täter in der postnazistischen Gesellschaft sich am wenigsten scherten, gleichwohl ganz offiziell als Historie abgetan wird und eine linke Regierung es fertiggebracht hat aus der deutschen Vernichtungspolitik eine besondere Verantwortungsfähigkeit für die Nachkommen der Mörder zu konstruieren, ist nicht nur Polen (zumindest) polit-ökonomisch wieder offen. Dies konnte nur gelingen, weil man fast der ganzen Welt Glauben machen konnte, aus dem Geschehenen gelernt zu haben. Bekennende Nazis stören da nur, wenn sie, wie es die NPD tut, bruchlos an die NS-Ideologie anknüpfen und so die Erinnerung an das verdrängte Erbe der Massenvernichtung bewusst halten. Man will wieder Stolzdeutscher sein, ohne ständig an die lästige Vergangenheit erinnert zu werden. “Das Bild vom guten, ordentlichen Volk der Deutschen wird nur noch von den braunen Glatzen gestört” schrieb die Freiburger ISF dazu schon vor 4 Jahren. Von Vergangenheit will man nur etwas hören, wenn es um die Betrauerung der Opfergemeinschaft geht.
Folglich verkommt ein Antifaschismus, der fixiert bleibt auf die NPD und deren außerparlamentarische Sturmtruppen wie freie Kameradschaften oder spontaner Mob zu einer moralischen Instanz innerhalb des gesellschaftlichen Ganzen, der die Misere verdoppelt und zusätzlich verschleiert, anstatt sie kritisch zu durchdringen. Ein wie auch immer organisierter Antifaschismus, der sich mit den gewerkschaftlichen, kirchlichen oder politischen Apologeten Deutschlands gleichtut und zur Förderung des Allgemein-Gewissens beiträgt, ist Teil des Problems, obgleich die Lösung zeigefingernd angepriesen wird. Die, die am meisten von NPD & Co reden, haben die begriffsloseste Kritik an ihr. Gäbe es keine NPD mehr, wovon sollte sich der nationalistisch-antizionistische deutsche Demokratenrest sonst abgrenzen? Wer die neuerlichen Beiträge der Mehrheitsgesellschaft zu den Bombardierungen deutscher Städte von vor 60 Jahren betrachtet, sich den gleichgeschalteten Antiamerikanismus und grassierenden Antisemitismus vergegenwärtigt oder das traditionsreiche Verhältnis der schaffenden Deutschen zu ihrer Arbeit in den Blick nimmt, wird feststellen, dass die suggerierten Differenzen meist nur graduelle sind. Wer vom deutschen Gesamtprojekt nicht spricht, sollte zum hiesigen Bekenner-Faschismus schweigen.
Weil die Organisatoren der heutigen Demonstration genau dies nicht tun, sondern von den deutschen Zuständen, zumindest ansatzweise sprechen, unterstützen wir die heutige Demonstration. Solidarität gilt dem Freund und der Genossin, die vor 10 Tagen in Homburg zu Schaden gekommen sind. Gute Besserung von dieser Stelle aus. Die schlichte Tatsache, dass es hier meist organisierte oder spontan losschlagende Faschisten sind, die immer wieder zu einer physischen Bedrohung werden, bleibt, trotz der Kritik am Traditions-Antifaschismus, unbestritten. Unbestritten bleibt folglich auch die Notwendigkeit eines Selbstschutzes, gerade auf dem “platten Land”, in dem die Entbarbarisierung noch gründlicher gescheitert ist, als in städtischen Gegenden.
Paradoxerweise scheint es allerdings angebracht, einen antifaschistischen Selbstschutz nicht nur gegen “rechts” zu organisieren, sondern auch gegen Antiimperialisten oder sonstige Antizionisten, die sich bekanntermaßen vorzüglich als Linke definieren. Wieder allzu deutlich wurde dies vor ca. 2 Wochen in Wien, als etwa 40 linke Volkskämpfer eine Veranstaltung der antideutschen Gruppe “cafe critique” angriffen und schließlich verhindern konnten. Dort wie in Homburg wurden Leute krankenhausreif geschlagen. Nicht nur wegen dieses jüngsten Ereignisses sondern wegen der theoretischen und politischen Bankrotterklärungen der Linken im Allgemeinen, die am offensten in ihrem Verhältnis oder formulierten Nicht-Verhältnis zum Staat Israel zu Tage treten, gilt es die Begriffskoordinaten „rechts” versus „links” radikal in Frage zu stellen, auch wenn die meisten hier Anwesenden sich dem linken Spektrum zuordnen. „Was Besseres als die Linke findet Ihr überall” merkte dazu die Redaktion der Berliner Zeitschrift Bahamas an. Wie man sich als Einzelne oder Einzelner auch dazu verhält, was die Realität zeigt ist, dass “links” und “antifaschistisch” ganz unterschiedliche Dinge sein können.
Eine emanzipatorische Kritik, die zuvörderst eine antideutsche zu sein hat, muss sich den Entwicklungen einer sich totalisierenden Gesellschaftsformation auf Basis der krisenhaften Warenproduktion stellen und den Faschismus begreifen, als eine sich homogenisierende Bewegung atomisierter Subjekte, denen noch der letzte Rest Individualität abgeht. Kollektiver Wahn, dem die völkisch-antisemitische Ideologie und die entsprechend mörderische Praxis eingeschrieben ist, wird auch nicht besser, wenn seine Träger dem klassischen Antifa-Bild nicht entsprechen. Die Feststellung, dass es derzeit in erster Linie islamistische Gotteskrieger sind, die den eliminatorischen Antisemitismus als praktisches Programm organisieren, ist ebenso Bestandteil dieser Erkenntnis wie die Notwendigkeit eines Bruches mit dem antizionistischen und antiamerikanischen Konsens der europäischen Friedens- oder Antiglobalisierungsbewegung. Beides, die Intervention gegen Islamismus und linken Antisemitismus einerseits und spezifisch deutschem Nationalsozialismus, wie man ihn in Städten wie Homburg noch live erleben und fürchten lernen kann andererseits, schließen sich nicht aus, sondern gehören zusammen. Diesem Minimalanspruch hat sich eine antifaschistische Praxis, die diesen Namen auch verdient, zu stellen! In diesem Sinne: Krieg den deutschen Zuständen für den Kommunismus!