Für Samstag, den 28. Januar 2023 rief die AfD Saarland zu einer Kundgebung vor dem Landtag des Saarlandes in Saarbrücken auf. Statt der angekündigten 500 TeilnehmerInnen erschienen noch nicht einmal 100. Neben den angekündigten Reden von Nicole Höchst, Christian Wirth, Carsten Becker und Dirk Spaniel sprach auch der AfD-Landtagsabgeordnete Josef Dörr. Es kam zu Gegenprotesten samt Polizeikessel.
Das Motto der Kundgebung lautete „Energie, Inflation, Klima, Sanktionen – Mehr Demokratie wagen“. Die rheinland-pfälzische AfD-Bundestagsabgeordnete Höchst sprach bereits auf dem sogenannten „Marsch für das Leben“ klerikalfaschistischer Lebenschützer im letzten Herbst in Saarbrücken.
Der saarländische AfD-Bundestagabgeordnete Christian Wirth war zeitweise deren Landesvorsitzender und ist Mitglied verschiedener Burschenschaften, die immer wieder durch antisemitische und sexistische Übergriffe für bundesweites Aufsehen sorgen.
Carsten Becker gehört seit 2022 dem saarländischen Landtag an und ist parlamentarischer Geschäftsführer der dortigen Fraktion. Der Bundestagsabgeordnete Spaniel aus Baden-Württemberg ist dem sogenannten „Flügel“ um Björn Höcke zuzurechnen und Josef Dörr, der auch lange wichtige Positionen innerhalb der saarländischen Grünen inne hatte, war langjähriger Vorsitzender der Saar-AfD.
Proteste und Widerstand
Knapp 100 Menschen folgten dem Aufruf der Jusos und der Grünen Jugend zum Protest, dem sich auch mehrere linke Organisationen anschlossen. In 100m Entfernung wurde mit Parolen und Pfeifkonzerten versucht ein Gegengewicht zu der Kundgebung der AfD zu bilden. Der Eindruck, dass es sich dabei nur um einen zaghaften Versuch des Widerstands handelte, wurde dadurch verstärkt, dass die Veranstalter die eigenen KundgebungsteilnehmerInnen zu maßregeln versuchten, als diese sich einige Meter bis zur Polizeiabsperrung vorwagten. Davon abhalten ließ sich allerdings niemand.
Derweil versuchten etwa 30 autonome AntifaschistInnen am anderen Ende der Egon-Reinert-Straße deutlich näher in Hörweite der AfD-Kundgebung zu gelangen. Diese wurden dann allerdings von der Polizei ohne Vorwarnung festgesetzt und eingekesselt. Ihnen wurde verweigert sich dem angemeldeten Protest anzuschließen. Umstehende, die sich mit den Eingekesselten solidarisierten wurden ohne Vorwarnung in den Polizeikessel gestoßen. Die Eingekesselten wurden ausnahmslos erkennungsdienstlichen Maßnahmen zugeführt. Dabei kam es zu mehreren Leichtverletzen (blutige Nasen, Hämatome, Quetschungen). Laut den Ankündigungen der Polizei seien mehrere Verfahren eingeleitet worden.
Pressemitteilung – Saarbrücken: Antifa Saar kritisiert Polizeieinsatz bei AfD-Kundgebung als „völlig unverhältnismäßig“
Ein Stell-dich-ein der extremen Rechten und „Coronaleugner“-Szene
Scheinbar bemerkenswert ist die Anwesenheit mehrerer Führungsfiguren und AktivistInnen anderer extrem rechter Parteien und der „Coronaleugner-Szene“. So war der Vorsitzende der Saar-NPD Otfried Best gemeinsam mit seinem Kameraden und NPD-Urgestein Harry Kirsch im trauten Gespräch mit der AfD-Rednerin Nicole Höchst zu beobachten. Die
MitbegründerInnen, des mittlerweile nicht mehr aktiven saarländischen Landesverbandes der Partei „Die Rechte“ und frühere NPD-Mitglieder Elfi und Ingo Kämmer traten in blauer AfD-Weste auf der Kundgebung auf. Und auch die im Zuge der verschwörungsideologischen Offensive während der Pandemie gegründete Partei dieBasis zeigte mit ihrem ehemaligen Vorstandsmitglied und Landtagskandidaten (2021) Helge Reichert vor Ort Präsenz. Ebenfalls vor Ort war Florian Zender vom “Team Freiheit Trier“, dem Pendant zur „Roten Linie Saarbrücken“, die über mehrere Monate hinweg regelmäßig in Saarbrücken Aufmärsche der „Coronaleugner-Szene“ mit teils mehreren Tausend Teilnehmenden organisierte. Unter ihnen regelmäßig auch zahlreiche AfDlerInnen und Mitglieder der extrem rechten Szene. Bemerkenswert auch, dass der aus Leipzig stammende Aktivist der Identitären Bewegung Alexander „Malenki“ Kleine bei der AfD_Kundgebung am Samstag in Saarbrücken zu entdecken war. Nicht unwahrscheinlich, dass er mit seiner Agentur Tannwald-Media den Auftrag zur Dokumentation der AfD-Kundgebung erhalten hatte.
Langeweile und Tumult
Die AfD Kundgebung selbst, langweilte offenbar sogar die eigenen AnhängerInnen, so dass sich die Zahl der Teilnehmenden noch während der Reden stetig reduzierte.
Während der Rede des einzigen saarländischen AfD-Bundestagsabgeordneten und Burschenschaftlers Christian Wirth kam es zu einem Tumult, als mehrere AfD-Anhänger auf einen Zuhörer einprügelten, der sich weigerte das ihm angebotene AfD-Schild anzunehmen. Er wurde zu Boden geschlagen und bekam einen Schuh gestohlen. Der im Gesicht Verletzte junge Mann wurde von der Polizei abgeführt und fast eine halbe Stunde lang am Rande des Landtags von der Polizei festgehalten. Christian Wirth protzte auf seiner Facebook damit, dass seine Rede „sogar einen Antifanten aus den Schuhen gehauen hätte“. Auf dem dazu veröffentlichten Foto ist der gestohlene Schuh des verletzen jungen Mannes zu sehen. Dass Wirth mit seinen gewalttätigen AnhängerInnen keine Probleme hat, dürfte wenig überraschen.
Fazit:
Die Saar-AfD hat sich zum ersten Mal seit der sogenannten Herbstoffensive 2017 — abgesehen von zahlreichen Infoständen – wieder einmal unter eigenem Banner auf die Straße gewagt. Offensichtlich sollte versucht werden die Zielgruppe der gerade abflauenden „Corona-Proteste“ zu bedienen und sich als neue organisatorische Kraft anzubieten. Diese versuchten zuletzt sich mit den Themen „Russland-Sanktionen“ und „Energiekrise“ eine neue inhaltliche Basis zu erschließen ohne an die Mobilisierungserfolge im Zuge der Diskussionen um eine Impfpflicht anschließen zu können.
Dass auf der Kundgebung die verfeindeten Lager der Saar-AfD nun erstmals gemeinsam öffentlich auftraten, deutet auf Bestrebungen hin, sich nochmal stärker auf Geschlossenheit nach außen fokussieren zu wollen. Ob die Partei bei all ihren Querelen dazu längerfristig in der Lage sein wird, darf bezweifelt werden und wird sich erst noch zeigen.
Der Schulterschluss der extremen Rechten unter der Führung der AfD ist ebenfalls kein neues Phänomen. Schon vor fast 6 Jahren zeigte die Saar-AfD vorm saarländischen Landtag dass es keine Berührungsängste gegnüber Reichsbürgern, den „Saarländern gegen Salafisten“ (Sagesa) und der NPD hat. Im ersten Band unserer „Heimatgeschichten“ aus dem Jahr 2016 haben wir dies schon ausführlich erläutert. Bemerkenswert schient an dieser Stelle höchstens, dass sie dies ohne Bedenken und aller vorgeschobenen Distanzierungen weiterhin praktiziert. Dabei gilt es aus unserer Sicht deutlich zu betonen, dass die Gefährlichkeit dieser Partei nicht in erster Linie durch ihre Kontakte zu anderen extremen Rechten nachgewiesen werden kann. Sie selbst ist personell und programmatisch nämlich selbst genau dort zu verorten. Und deshalb gehört sie bekämpft.
Nieder mit der AfD!
Solidarität mit den von faschistischer und polizeilicher Gewalt Betroffenen!
Organisiert Euch in antifaschistischen Gruppen!
Fotoalbum bei flickr:
Fotos: Kai Schwerdt (CC BY-NC 2.0)
Presse:
https://www.sr.de/sr/home/nachrichten/politik_wirtschaft/afd_kundgebung_saarbruecken_landtag_100.html
https://www.saarbruecker-zeitung.de/saarland/saarbruecken/saarbruecken-proteste-gegen-die-afd-am-landtag_aid-83857471