[Willkommen in Merzig, der „Stadt mit mehr Möglichkeiten“]
Während die meisten Leute hier eine oder mehrere der vielzähligen Veranstaltungen, die die Stadt Merzig dem geneigten Besucher heute darbietet, besuchen oder sich einfach nur am schönen Wetter in dieser netten saarländischen Kleinstadt erfreuen wollen, marschieren ein paar hundert Meter weiter Alt- und Neonazis durch die Straßen von Merzig. Während also diese Leute, ganz in der Tradition ihrer Eltern- und Großelterngeneration, für eine Politik aufmarschieren, die schon vor 70 Jahren einen bis dato nie dagewesenen Zivilisationsbruch und die industrielle Massenvernichtung von Millionen von Menschen bedeutet hat, fällt der Landrätin des Kreises Merzig-Wadern nichts besseres ein, als eine geplante Gegenkundgebung, die sich explizit gegen den Aufmarsch der Neo-Nationalsozialisten um das so genannte „Aktionsbüro Saar“ aus Saarlouis und den NPD Landesverband Saar richten sollte, kurzerhand zu verbieten und organisierten antifaschistischen Protest am 1.Juli in Merzig für illegal zu erklären. Der Versuch der Landrätin, die Stadt an diesem schönen sonnigen Samstag politik- und widerspruchsfrei zu halten, ist nach einem Verwaltungsgerichtsurteil, das das anfänglich ausgesprochene Verbot des Naziaufmarsches für ungültig erklärte, gründlich misslungen. So hat die Stadt heute also noch eine Attraktion mehr zu bieten.
[Gute Deutsche und böse Nazis]
Nun sind dergleichen Aufmärsche im wiedervereinigten Deutschland längst die Regel und beim besten Willen keine Ausnahme mehr; die Kampftruppen der neuen Nationalsozialisten marschieren mal unter diesem, mal unter jenem Motto allwöchentlich durch irgendeine deutsche Klein- oder Großstadt. Und allwöchentlich regen sich Menschen darüber auf. Die Gründe, warum sie dieses tun, sind jedoch bisweilen äußerst verschieden. Aktuell tobt mal wieder ein „Aufstand der Anständigen“, ausgelöst durch mehrere Medienberichte über Mord- und Totschlagsversuche deutscher Neonazis an ihren wie auch immer für nichtdeutsch befundenen Opfern, durch die Berliner Republik und es gehört zur obersten Staatsbürgerpflicht, gegen die Nazis zu sein. Hinter der öffentlich vorgetragenen Empörung der Repräsentanten der renovierten und geläuterten Berliner Republik, seien es nun Funktionäre der staatstragenden Parteien, der Gewerkschaften oder der Amtskirchen, steht jedoch vor allem die Angst um den eigenen Standort und dessen Ansehen in der übrigen Welt, gerade jetzt wo doch die ganze Welt zu Gast bei Freunden ist. Denn nichts schreckt die Baumeister des weltmachtambitionierten Deutschlands mehr als die Möglichkeit, ein Investor aus dem Ausland könnte womöglich seine Mitarbeiter davor warnen, bestimmte Gegenden Deutschlands zu betreten oder gar auf Investitionen ganz zu verzichten und lieber in ein Land zu gehen, wo No-Go-Areas für Nichtweiße noch nicht zum guten Ton gehören.
Diesem „Antifaschismus“, der in schwarz-rot-gold daherkommt und die Symptome zu vertuschen sucht, aber keineswegs auch nur gewillt ist, dem Problem auf den Grund zu gehen, verwehren wir uns ausdrücklich. Wir legen keinen Wert darauf, „Nazis raus!“ zu schreien, wenn es gerade einmal wieder aus Prestige- und Image-Gründen für Deutschland von Vorteil erscheint und der Innenminister medienwirksam einem der zahllosen Opfer neonazistischer Gewalt sein herzlichstes Mitleid versichert, während Tag für Tag Menschen gewaltsam daran gehindert werden, nach Europa zu migrieren und diejenigen, die es geschafft haben, wieder abgeschoben werden. Wir legen keinen Wert darauf, als antifaschistisches Feigenblatt für ein deutsches Projekt zu dienen, das sich mit dem ständigen Hinweis auf seine Vergangenheit und die Lehren, die es daraus gezogen zu haben vorgibt, anschickt, wieder zu einer Weltmacht, als moralischer wie militärischer und wirtschaftlicher Gegenpol zu den USA, aufzusteigen. Eine Gesellschaft, die im Grunde die Forderungen der Neonazis, die sich nicht zu Unrecht als Speerspitze deutscher Volksideologie begreifen, nur geschickter verpackt alltäglich umsetzt, ist daher nicht Teil der Lösung, sondern Teil des Problems.
[Warum gegen Nazis?]
Man könnte sich zurücklehnen und diesen Sommertag am Baggersee verbringen, mit der Gewissheit im Hinterkopf, dass Nazis eben zu Deutschland gehören wie die Fliegen zur Scheiße. Es gibt sicherlich tausend schönere Dinge, als sich immer wieder das Wochenende mit irgendwelchen Nazis zu versauen. Man könnte sie einfach ignorieren und zusehen, dass man ihnen aus dem Weg geht und das Problem damit für sich selbst ad acta legt. Dass die NPD kurz vor der Machtergreifung stünde und das 4.Reich in greifbarer Nähe sei, würde wohl auch kaum jemand ernsthaft behaupten wollen.
Dass es trotzdem unabdingbar notwendig ist, Nazis jeglicher Couleur offensiv entgegenzutreten, steht für uns außer Frage. Deutsche Neonazis sind eine permanente Gefahr für die körperliche Unversehrtheit und Leben von Menschen, die in den Augen dieser deutschesten aller Deutschen nicht deutsch genug, im schlimmsten Falle sogar jüdisch sind. Mag man Neonazis auch gerne als marginalisierte Randgruppe darstellen, so sprechen die über 150 Todesopfer der letzten 15 Jahre und die tausenden Verletzten eine andere Sprache. Dass die Gewalt durch Neonazis gegen Nichtdeutsche, Juden, Linke, Kommunisten, Obdachlose etc. nicht etwa die Folge mangelnder Zukunftsperspektiven marginalisierter Jugendlicher, Arbeitslosigkeit und Langeweile ist, sondern handfeste Ideologie und politisches Programm, müssen Menschen, die von eben diesen Nazis als „Volksfeinde“ erkannt und eingestuft werden, Tag für Tag am eigenen Körper erfahren.
Am heutigen Tag geht es darum, den Nazis dort, wo sie öffentlich auftreten, offensiv entgegenzutreten. Ein echter Antifaschismus, der diesen Namen auch verdient, geht selbstverständlich auch darüber hinaus. Doch dazu an anderer Stelle mehr.
In diesem Sinne: Den Nazis den Saft abdrehen! Kein Friede mit Deutschland! Für den Kommunismus!
ANTIFA SAAR / PROJEKT AK (Juli 2006)