Verhinderter Redebeitrag der Antifa Saar / Projekt AK zu den Aufmärschen am 1.Juli 2006

[Willkom­men in Merzig, der „Stadt mit mehr Möglichkeiten“]
Während die meis­ten Leute hier eine oder mehrere der vielzäh­li­gen Ver­anstal­tun­gen, die die Stadt Merzig dem geneigten Besuch­er heute dar­bi­etet, besuchen oder sich ein­fach nur am schö­nen Wet­ter in dieser net­ten saar­ländis­chen Kle­in­stadt erfreuen wollen, marschieren ein paar hun­dert Meter weit­er Alt- und Neon­azis durch die Straßen von Merzig. Während also diese Leute, ganz in der Tra­di­tion ihrer Eltern- und Großel­tern­gener­a­tion, für eine Poli­tik auf­marschieren, die schon vor 70 Jahren einen bis dato nie dagewe­se­nen Zivil­i­sa­tions­bruch und die indus­trielle Massen­ver­nich­tung von Mil­lio­nen von Men­schen bedeutet hat, fällt der Lan­drätin des Kreis­es Merzig-Wadern nichts besseres ein, als eine geplante Gegenkundge­bung, die sich expliz­it gegen den Auf­marsch der Neo-Nation­al­sozial­is­ten um das so genan­nte „Aktions­büro Saar“ aus Saar­louis und den NPD Lan­desver­band Saar richt­en sollte, kurz­er­hand zu ver­bi­eten und organ­isierten antifaschis­tis­chen Protest am 1.Juli in Merzig für ille­gal zu erk­lären. Der Ver­such der Lan­drätin, die Stadt an diesem schö­nen son­ni­gen Sam­stag poli­tik- und wider­spruchs­frei zu hal­ten, ist nach einem Ver­wal­tungs­gericht­surteil, das das anfänglich aus­ge­sproch­ene Ver­bot des Nazi­auf­marsches für ungültig erk­lärte, gründlich miss­lun­gen. So hat die Stadt heute also noch eine Attrak­tion mehr zu bieten.

[Gute Deutsche und böse Nazis]
Nun sind der­gle­ichen Aufmärsche im wiedervere­inigten Deutsch­land längst die Regel und beim besten Willen keine Aus­nahme mehr; die Kampftrup­pen der neuen Nation­al­sozial­is­ten marschieren mal unter diesem, mal unter jen­em Mot­to all­wöchentlich durch irgen­deine deutsche Klein- oder Großs­tadt. Und all­wöchentlich regen sich Men­schen darüber auf. Die Gründe, warum sie dieses tun, sind jedoch bisweilen äußerst ver­schieden. Aktuell tobt mal wieder ein „Auf­s­tand der Anständi­gen“, aus­gelöst durch mehrere Medi­en­berichte über Mord- und Totschlagsver­suche deutsch­er Neon­azis an ihren wie auch immer für nicht­deutsch befun­de­nen Opfern, durch die Berlin­er Repub­lik und es gehört zur ober­sten Staats­bürg­erpflicht, gegen die Nazis zu sein. Hin­ter der öffentlich vor­ge­tra­ge­nen Empörung der Repräsen­tan­ten der ren­ovierten und geläuterten Berlin­er Repub­lik, seien es nun Funk­tionäre der staat­stra­gen­den Parteien, der Gew­erkschaften oder der Amt­skirchen, ste­ht jedoch vor allem die Angst um den eige­nen Stan­dort und dessen Anse­hen in der übri­gen Welt, ger­ade jet­zt wo doch die ganze Welt zu Gast bei Fre­un­den ist. Denn nichts schreckt die Baumeis­ter des welt­mach­tam­bi­tion­ierten Deutsch­lands mehr als die Möglichkeit, ein Investor aus dem Aus­land kön­nte wom­öglich seine Mitar­beit­er davor war­nen, bes­timmte Gegen­den Deutsch­lands zu betreten oder gar auf Investi­tio­nen ganz zu verzicht­en und lieber in ein Land zu gehen, wo No-Go-Areas für Nichtweiße noch nicht zum guten Ton gehören.
Diesem „Antifaschis­mus“, der in schwarz-rot-gold daherkommt und die Symp­tome zu ver­tuschen sucht, aber keineswegs auch nur gewil­lt ist, dem Prob­lem auf den Grund zu gehen, ver­wehren wir uns aus­drück­lich. Wir leg­en keinen Wert darauf, „Nazis raus!“ zu schreien, wenn es ger­ade ein­mal wieder aus Pres­tige- und Image-Grün­den für Deutsch­land von Vorteil erscheint und der Innen­min­is­ter medi­en­wirk­sam einem der zahllosen Opfer neon­azis­tis­ch­er Gewalt sein her­zlich­stes Mitleid ver­sichert, während Tag für Tag Men­schen gewalt­sam daran gehin­dert wer­den, nach Europa zu migri­eren und diejeni­gen, die es geschafft haben, wieder abgeschoben wer­den. Wir leg­en keinen Wert darauf, als antifaschis­tis­ches Feigen­blatt für ein deutsches Pro­jekt zu dienen, das sich mit dem ständi­gen Hin­weis auf seine Ver­gan­gen­heit und die Lehren, die es daraus gezo­gen zu haben vorgibt, anschickt, wieder zu ein­er Welt­macht, als moralis­ch­er wie mil­itärisch­er und wirtschaftlich­er Gegen­pol zu den USA, aufzusteigen. Eine Gesellschaft, die im Grunde die Forderun­gen der Neon­azis, die sich nicht zu Unrecht als Speer­spitze deutsch­er Volk­side­olo­gie begreifen, nur geschick­ter ver­packt alltäglich umset­zt, ist daher nicht Teil der Lösung, son­dern Teil des Problems.

[Warum gegen Nazis?]
Man kön­nte sich zurück­lehnen und diesen Som­mertag am Bag­gersee ver­brin­gen, mit der Gewis­sheit im Hin­terkopf, dass Nazis eben zu Deutsch­land gehören wie die Fliegen zur Scheiße. Es gibt sicher­lich tausend schönere Dinge, als sich immer wieder das Woch­enende mit irgendwelchen Nazis zu ver­sauen. Man kön­nte sie ein­fach ignori­eren und zuse­hen, dass man ihnen aus dem Weg geht und das Prob­lem damit für sich selb­st ad acta legt. Dass die NPD kurz vor der Machter­grei­fung stünde und das 4.Reich in greif­bar­er Nähe sei, würde wohl auch kaum jemand ern­sthaft behaupten wollen.
Dass es trotz­dem unab­d­ing­bar notwendig ist, Nazis jeglich­er Couleur offen­siv ent­ge­gen­zutreten, ste­ht für uns außer Frage. Deutsche Neon­azis sind eine per­ma­nente Gefahr für die kör­per­liche Unversehrtheit und Leben von Men­schen, die in den Augen dieser deutschesten aller Deutschen nicht deutsch genug, im schlimm­sten Falle sog­ar jüdisch sind. Mag man Neon­azis auch gerne als mar­gin­al­isierte Rand­gruppe darstellen, so sprechen die über 150 Todes­opfer der let­zten 15 Jahre und die tausenden Ver­let­zten eine andere Sprache. Dass die Gewalt durch Neon­azis gegen Nicht­deutsche, Juden, Linke, Kom­mu­nis­ten, Obdachlose etc. nicht etwa die Folge man­gel­nder Zukun­ftsper­spek­tiv­en mar­gin­al­isiert­er Jugendlich­er, Arbeit­slosigkeit und Langeweile ist, son­dern hand­feste Ide­olo­gie und poli­tis­ches Pro­gramm, müssen Men­schen, die von eben diesen Nazis als „Volks­feinde“ erkan­nt und eingestuft wer­den, Tag für Tag am eige­nen Kör­p­er erfahren.
Am heuti­gen Tag geht es darum, den Nazis dort, wo sie öffentlich auftreten, offen­siv ent­ge­gen­zutreten. Ein echter Antifaschis­mus, der diesen Namen auch ver­di­ent, geht selb­stver­ständlich auch darüber hin­aus. Doch dazu an ander­er Stelle mehr.

In diesem Sinne: Den Nazis den Saft abdrehen! Kein Friede mit Deutsch­land! Für den Kommunismus!
ANTIFA SAAR / PROJEKT AK (Juli 2006)