Am Samstag, 23. Juni 2007, findet in Ingelheim am Rhein wieder eine Demonstration gegen das dort ansässige Hochsicherheits — Internierungslager, das gemeinsame Abschiebgefängnis von Rheinland-Pfalz und dem Saarland, unter dem Motto “Abschiebehaft abschaffen — Gegen das unmenschliche Migrationsregime von EU und G8” statt. Wir, antifaschistische Gruppen und Initiativen aus dem Südwesten der BRD, haben uns dazu entschlossen, mit einem eigenen Aufruf zu dieser Demonstration aufzurufen.
Eines vorneweg: es war, ist und bleibt wichtig, das System der Abschiebegefängnisse in der sich gegen Migrationsströme auch militärisch abschottenden Großmacht Europa immer wieder zu thematisieren, zu kritisieren und anzugreifen. Es ist sinnvoll, darauf hinzuweisen, was sich die Länder der EU immer wieder Neues einfallen lassen, um Anderen eine Teilhabe am europäischen Wohlstand zu verweigern. Dabei ist die Steuerung der Migrationsströme längst keine Erfindung von EU und G8, wie der Bündnisaufruf suggerieren will, und ob es neben dem unmenschlichen auch noch menschliche Migrationsregimes geben könnte, darf hier gerne bezweifelt werden. Doch zunächst ein kurzer Ausflug in die jüngere Geschichte deutsch-europäischer Migrationspolitik.
Deutsche Kontinuitäten — Kurzgeschichte der gesteuerten Migration
Der Arbeitskräftemangel, der der Wirtschaft im postnazistischen Deutschland durch den Wegfall der Zwangs- und Sklavenarbeiter und durch die Dezimierung deutscher Arbeitskraft zwischen Berlin und Stalingrad entstanden war, musste in der neu entstandenen BRD durch die Gastarbeiter aufgefangen werden. Es ist durchaus bezeichnend für die Kontinuität des NS in die BRD hinein, dass die Gastarbeiter bei einigen deutschen Betrieben in den betriebseigenen und ‑nahen Zwangsarbeiterlagern einquartiert wurden.
Das so genannte “Wirtschaftswunder” fußte auf der von den Deutschen organisierten und durchgeführten Vernichtungspolitik des NS und auf der ‘Bestrafung’, die die deutschen Täter dafür erleiden mussten: die masssive Wirtschaftsförderung durch den Marshall-Plan, durch den die BRD in den antisowjetischen Block eingefügt werden sollte. Nachdem man also das “Wirtschaftswunder” ‘geschafft’ hatte und die BRD international wieder voll integriert war, konnte man Asyl- und Ausländergesetz nach und nach immer rigider gestalten.
Seit man sich 1993 in Deutschland mit tatkräftiger Unterstützung des völkischen Straßenmobs und begleitet von einer von SPD bis hin zum Interessensverband der deutschen Kerzenindustrie getragenen Betroffenheitskaraoke mit dem ohnehin schon ausgehöhlten Asylgesetz von einem wirtschaftlich äußerst unbequemen Relikt der Menschenrechterei getrennt hatte, wurde es faktisch fast unmöglich, ‘legal’ nach Deutschland zu migrieren. Das bedeutet nicht, dass mit dem alten Asylrecht alles gut war, denn auch dort wurde die Einreise von Flüchtlingen nach Deutschland durch untergeordnete Gesetze wie dem Asylverfahrensrecht und dem Ausländerrecht gesteuert und das Konstrukt von ‘Ausländern’ und ‘Inländern’, das in der BRD völkisch — nämlich als ‘Blutsrecht — begründet wurde und wird, in den Verfassungsrang erhoben.
Die restriktive Grenzpolitik der europäischen Staaten, Fluchtrouten im Mittelmeer mittels Patrouillien zu Wasser und aus der Luft konsequent zu zerschlagen und die Flüchtlinge am erreichen europäischen Bodens zu hindern, endet Jahr für Jahr für mehrere tausend Flüchtlinge, die auf immer längere und gefährlichere Routen ausweichen müssen, tödlich. Die europäische Antwort auf die illegalisierten Einreiseversuche sind militärische Abwehrmaßnahmen, seit August 2006 von der “Europäischen Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenze”, Frontex, koordiniert und die Einrichtung von Internierungslagern in Nordafrika zur Unterbindung der Fluchtversuche über das Mittelmeer.
Wer es allen staatlichen Widerständen zum Trotz geschafft hat, sich einen zumindest vorübergehenden Aufenthalt in Deutschland zu erstreiten, findet sich in einem repressiven Klima wieder: was als Traum vom besseren, menschenwürdigen Leben begann, endet in der Realität des Alltagsrassismus der deutschen Bevölkerung und im System von Ausgrenzung, Schikanierung und Abschreckung, das die deutsche Asylpolitik kennzeichnet. Grundlegende Bedürfnisse und Bürgerrechte werden eingeschränkt oder ganz verwehrt: Chipkarten- und Lebensmittelmarken-Systeme oder vorgepackte Essenspakete machen die freie Wahl der Nahrungsmittel unerschwinglich bis unmöglich, das seit 1982 bestehende Residenzpflicht-Gesetz verbietet den Asylsuchenden, den Landkreis des ihnen zugewiesenen Wohnortes zu verlassen. Die Abschiebeknäste, wie der in Ingelheim, sind nur das letzte Glied in der Kette eines langwierigen Prozesses von Asylantrag, Ablehnung,eventueller Duldung und Ausreisepflicht.
An die Wurzeln statt nur an die Symptome!
Dabei ist es für unsere Kritik völlig unerheblich, ob die in Ingelheim Internierten, wie von den örtlichen AntiRa-Initiativen und auch im aktuellen Bündnis-Aufruf immer wieder moralisierend angeprangert wird, im juristischen Sinne “unschuldig” sind oder nicht. Die Praxis der Abschiebgefängnisse wäre nicht minder kritikwürdig, säßen dort nun juristisch vorbelastete Straftäter ein, denn abgeschoben wird, wer in Europa nicht gebraucht wird, ökonomisch nicht verwertbar ist.
Man muss sich klar machen, dass Migrationsregimes, also die überstaatliche Zusammenarbeit staatlicher und ziviler Akteure zur Regulierung und Steuerung von Migrationsbewegungen, und die damit verbundene (versuchte und praktizierte) Regulierung der Migrationsbewegungen in einer nationalstaatlich verfassten, kapitalistisch organisierten Welt dem System immanent sind und daher strikt der kapitalistischen Logik folgen — wird die Ware Arbeitskraft benötigt, müssen Arbeitskraftbesitzende importiert werden (z.B. diestaatlich forcierte Arbeitsmigration in die BRD in den 1950er Jahren). Die Flüchtlinge aus den Elendsstaaten dieser Welt, die vor Bürgerkrieg, politischer Verfolgung und Perspektivlosigkeit fliehen und mit der Hoffnung auf ein besseres Leben nach Europa kommen, stellen in den Rechnungsbüchern von Wirtschaft und Politik natürlich Kostenstellen da, die sich ein Betrieb wie ein Staat oder auch Staatenbündnis nicht leisten will.
Es ist also naiv zu meinen, man könnte durch ein bisschen moralisierende Klagen und Betroffenheitsgewäsch daran etwas Grundlegendes innerhalb der falschen Gesellschaft ändern. Dies soll jedoch keine Absage an die Flüchtlingssolidarität sein, die den Leuten in ihren Notlagen konkret hilft sowie einen Gegenpart zu den rassistisch motivierten Ausgrenzungen von Staats wegen darstellt und für viele den Unterschied ums Ganze — nämlich ums Leben — machen kann, durchaus aber eine an den hilflosen Reformismus der politischen und theoretischen Äußerungen von antirassistischen Gruppen.
Der nationalstaatlich verfasste Kapitalismus will und kann auch nicht ohne Migrationsregimes auskommen, da Inklusion und Exklusion, also das Gewähren und Verwehren von Teilhabe an den Glücksversprechen einer Nation, konstituierende Momente des modernen Nationalstaates sind. Forderungen nach menschlicherer Migrationspolitik unter den gegebenen Verhältnissen dienen daher vielleicht gerade noch der Beruhigung des eigenen Gewissens, aber kaum dem Wunsch nach wirklicher und wirkungsvoller Veränderung im Sinne der Freiheit aller Menschen.
Als einziger Ausweg aus der jetzigen Situation bliebe daher nur eine Lösung: der Kommunismus als weltweite Assoziation freier Individuen.
In diesem Sinne:
Refugees welcome, bring your families!
Für freies Fluten — für den Kommunismus!
AK Antifa Mainz
Antifa Koblenz
Antifa Landau