Recherche-Info: Die Corona-Proteste im Saarland und ihre Nähe zur extremen Rechten

Anlässlich der poli­tis­chen Debat­te zur Ein­führung ein­er Impf­pflicht insze­nieren im Saar­land seit mehreren Wochen Impfgegner_innen, Esoteriker_innen und Ver­schwörungs­gläu­bige gemein­sam mit fun­da­men­tal­is­tis­chen Christ_innen und der extremen Recht­en einen ver­meintlich bürg­er­lichen Protest. Dieser äußert sich ins­beson­dere in als „Spaziergän­gen“ getarn­ten Aufzü­gen mit bis zu eini­gen Hun­dert Teil­nehmenden und in Demon­stra­tio­nen mit mehreren Tausend Men­schen. Bindeglied der het­ero­ge­nen Demon­stri­eren­den sind ver­schwörungside­ol­o­gis­che und anti­semi­tis­che Denkmuster. Es ver­wun­dert daher wenig, dass sich die saar­ländis­che extreme Rechte nicht nur an den Protesten beteiligt, son­dern diese zum Teil auch organisiert.

Das Fronttransparent "Wir sind die rote Linie"

Das Trans­par­ent mit der recht­en Parole “Heimatschutz statt Mund­schutz” am 19.12.2021 direkt hin­ter dem Fronttransparent.

 

Das Transparent Heimatschutz statt Mundschutz direkt dahinter

Foto: Kai Schw­erdt, CC BY-NC 2.0

 

Die extreme Rechte von Beginn an dabei

Die Beteili­gung von extrem Recht­en an Coro­na-Protesten ist kein neues Phänomen. Bere­its im Früh­jahr 2020, als die ersten Proteste gegen Coro­na-Maß­nah­men im Saar­land stat­tfan­den, nah­men etwa 30 Nazis an dem damals mit 250 Teilnehmer_innen noch über­schaubaren Protest teil.1 Die unge­broch­ene Kon­ti­nu­ität, mit der sich die extrem rechte Szene sei­ther an den Protesten beteiligt, kann – eben­so wie der Unwille der Organisator_innen, Nazis kon­se­quent von ihren Aktio­nen auszuschließen – auf eine ide­ol­o­gis­che Nähe zurück­ge­führt wer­den. Wenn inner­halb der Proteste etwa von ein­er ver­meintlich über­mächti­gen Bedro­hung durch Phar­makonz­erne, Bill Gates oder George Soros die Rede ist, passt dies her­vor­ra­gend in das völkisch-anti­semi­tis­che Welt­bild der extremen Recht­en. Weit­ere ide­ol­o­gis­che Par­al­le­len sind das Nar­ra­tiv ein­er ver­meintlichen Volks­ge­sund­heit, die vor ein­er Manip­u­la­tion durch mRNA-Impf­stoffe zu schützen sei oder das inner­halb der Bewe­gung weit ver­bre­it­ete reak­tionäre Frauen­bild, welch­es Frauen nahezu auss­chließlich als Müt­ter und Beschützerin­nen der Kinder insze­niert. Für Nazis herrscht bei Coro­na-Protesten in der Regel eine Wohlfühlatmosphäre.

Wie eng die ide­ol­o­gis­che Verbindung zwis­chen dem ver­meintlich bürg­er­lichen Protest und der extremen Recht­en ist wird beispiel­sweise an einem Trans­par­ent mit der Auf­schrift „Heimatschutz statt Mund­schutz“ deut­lich, das rechte Aktivis­ten anlässlich ein­er Protes­tak­tion am 19.12.2021 in Saar­brück­en zeigten. Diese durften das Trans­par­ent trotz ihres mar­tialis­chen Auftretens und der Ver­wen­dung von ein­deutigem Naz­i­jar­gon an der Spitze des Aufzugs tra­gen. Doch auch auf organ­isatorisch­er Ebene beste­hen enge Verbindun­gen zur recht­en Szene. So ist die langjährige Nazi­ak­tivistin Jacque­line „Jacky“ Süß­dorf nicht nur regelmäßige Teil­nehmerin von Aktio­nen und bestens inner­halb der „Querdenker“-Szene ver­net­zt, son­dern, ins­beson­dere über Face­book und den Mes­sen­ger-Dienst Telegram, auch aktiv an der Mobil­isierung und Organ­isierung beteiligt.2 In der Ver­gan­gen­heit fiel Süß­dorf vor allem durch ihr Engage­ment in der Nation­aldemokratis­chen Partei Deutsch­lands (NPD)3 sowie durch den Betrieb mehrerer Kneipen auf, die als Tre­ff­punk­te der recht­en Szene dien­ten und nach antifaschis­tis­ch­er Inter­ven­tion geschlossen wur­den.4 Eine weit­ere Per­son­alie, an der die organ­isatorische Unter­stützung der Proteste durch die extrem rechte Szene deut­lich wird, ist Ingo Käm­mer aus Saar­brück­en-Ensheim, der sich im Zuge der Proteste mehrfach als Ord­ner betätigte und die Laut­sprecher­an­lage betreute. Käm­mer war nach partei­in­ter­nen Quere­len im Jahr 2014 aus der saar­ländis­chen NPD aus­ge­treten und danach maßge­blich an der Grün­dung des inzwis­chen aufgelösten Lan­desver­bands der Nazi-Partei „Die Rechte“ beteiligt.5 Die sys­tem­a­tis­che und kon­tinuier­liche Beobach­tung der Proteste von ihrer Organ­i­sa­tion über Telegram bis hin zu den Aktio­nen vor Ort bestätigt: Es han­delt sich dabei nicht um Einzelfälle.

Bild Jacqueline Süßdorf mit Aluhut und Deutschland-Fahne auf einer Demonstration gegen eine Impfpflicht am 09.01.2022.

Her­zlich­es Willkom­men: Jacque­line Süß­dorf mit Aluhut und Deutsch­land-Fahne auf ein­er Demon­stra­tion gegen eine Impf­pflicht am 09.01.2022.

 

Bild NPD Stand mit Süßdorf

Im Jahr 2017 kan­di­dierte Süß­dorf gemein­sam mit dem NPD-Lan­desvor­sitzen­den Peter Marx (links) und dem Nazi-Anwalt Peter Richter (Mitte) erfolglos.

 

Bild: Ingo Kämmer trägt die Lautsprecheranlage bei der Demo am 19.12.2021.

Ingo Käm­mer trägt die Laut­sprecher­an­lage bei der Demo am 19.12.2021.

 

Bild Stand NPD Saar mit Ingo Kämmer

Auch aktiv bei der NPD Saar: Ingo Käm­mer (Mitte) mit Thomas Rausch (links) und Ger­hard Ambro­sius (rechts) im Jahr 2014.

 

Keine friedliche Bewegung

In der Öffentlichkeit gelingt es der saar­ländis­chen Coro­na-Protest­be­we­gung immer wieder sich als friedlich zu insze­nieren.6 Dass dem nicht so ist zeigten bere­its die erfol­glosen Ver­suche von sich regelmäßig an den Protesten beteili­gen­den Ver­schwörungs­gläu­bi­gen und Nazis, eine von Antifaschist_innen organ­isierte Kundge­bung für eine sol­i­darische Lösung der Coro­na-Krise am 23.05.2020 auf dem Tbiliss­er Platz in Saar­brück­en zu stören.7 Auch bei den Protesten im Saar­land Ende 2021 bzw. Anfang 2022 kam es immer wieder zu gewalt­täti­gen Über­grif­f­en auf Vertreter_innen der Presse und tat­säch­liche oder ver­meintliche Gegner_innen.8 Beobachtet man die Aktiv­itäten von bes­timmten Teil­nehmenden der Proteste über deren öffentliche Auftritte hin­aus wird sog­ar deut­lich, dass teil­weise eine Nei­gung zu mas­siv­er Gewalt bis in den ter­ror­is­tis­chen Bere­ich beste­ht: So nahm an ein­er Demon­stra­tion in der Saar­brück­er Innen­stadt am 19.12.2021 mit Hein­rich Lan­dau ein Nazi teil, der im Jahr 2017 einen Spaziergänger mit ein­er Selb­stschus­san­lage ver­let­zte.9 Die Saar­brück­er Szene­größe Jacque­line Süß­dorf stand in engem Kon­takt mit dem „Nazi-Druiden“ Karl Burghard Bangert, gegen den aktuell unter anderem wegen der Pla­nung von Anschlä­gen und ille­galem Waf­fen­sitz ein Ver­fahren vor dem Landgericht Mannheim läuft.10 Mit Detlef Walk und dem wegen eines tödlichen Messeran­griffs auf seinen Nach­barn wegen Totschlags in Haft befind­lichen Andreas Wern­er Fröh­lich pflegte Süß­dorf darüber hin­aus auch mit Mit­gliedern der Nazi-Kam­er­ad­schaften „Nationaler Wider­stand Zweibrück­en“ und „Weisse Wölfe Ter­ror­crew“ guten Kon­takt.11 Walk machte zulet­zt am 06.01.2022 bei ein­er Coro­na-Protes­tak­tion in Zweibrück­en auf sich aufmerk­sam, als er auf einen Pres­sev­ertreter los­ging.12 Am 15.12.2021 musste der Reichs­bürg­er Adolf Loch aus Merzig, der eben­falls Teil der Coro­na-Protest­be­we­gung ist und selb­st Ver­samm­lun­gen organ­isierte, zwei Schuss­waf­fen und Muni­tion abgeben, nach­dem ihm die Behör­den die Erlaub­nis zum Waf­fenbe­sitz ent­zo­gen hat­ten.13 Am 19.12.2021 durch­suchte die Polizei in Saar­louis die Woh­nung des Reichs­bürg­ers Thomas „Gem­meli­to“ Gräber, der eben­falls regelmäßig bei Coro­na-Protesten anzutr­e­f­fen ist, nach­dem dieser im Inter­net den Aufruf zur Ermor­dung von Polizis­ten gerecht­fer­tigt hat­te.14 In der Ver­gan­gen­heit hat­te Gräber im Inter­net außer­dem Anschläge auf 5G-Funkmas­ten als „reini­gen­des Feuer” gefeiert.15 Dass Coro­naleug­nende das Leben ander­er nicht nur durch die per­ma­nente Ver­harm­lo­sung des Coro­n­avirus gefährden son­dern mitunter vor klat­blütigem Mord nicht zurückschreck­en zeigt der Fall eines 20-jähri­gen Stu­den­ten in Idar-Ober­stein. Er wurde von Mario Nau­mann, einem Anhänger rechter Ver­schwörungsideen, durch einen geziel­ten Kopf­schuss getötet, da er den Coro­naleugn­er zum Tra­gen ein­er Maske aus­ge­fordert hat­te.16

Bild Heinrich Landau

Der „Spreng­fal­l­en­nazi“ Hein­rich Lan­dau auf der Demo in Saar­brück­en am 19.12.2021. Seine Ter­rasse ziert ein
Hak­enkreuz­mo­saik.

 

Schild Nieder mit den Corona-Kommunisten

Ein weit­er­er Anknüp­fungspunkt für Nazis: Antikom­mu­nis­tis­che Parolen auf der Demo am 02.01.2022

 

Polizeilich begleitete Superspreader-Events

Die Coro­na-Proteste wer­den durch die saar­ländis­che Polizei zumeist wohlwol­lend begleit­et. An Hygie­n­eau­fla­gen hal­ten sich nur die wenig­sten Protestieren­den, wie auf vie­len Bildern offen­sichtlich ist. Aufla­gen wer­den durch die Polizei im Saar­land oft nicht oder nur halb­herzig durchge­set­zt. Diese polizeiliche Appease­ment-Poli­tik macht die Demon­stra­tio­nen mit tausenden Ungeimpften, die wed­er Abstand hal­ten, noch Maske tra­gen, zu poten­tiellen Super­spread­er-Events. Es ist offen­bar Kalkül der polizeilich und poli­tisch Ver­ant­wortlichen, Ver­stöße gegen Aufla­gen zu tolerieren und Auseinan­der­set­zun­gen mit Impfgegner_innen zu scheuen, um dann im Nach­gang den friedlichen Charak­ter der Aktio­nen zu loben.17 Dass der Grund für das polizeiliche Lais­sez-faire auch die mehr oder weniger stillschweigende Zus­tim­mung von Polizist_innen zu Forderun­gen der Impfgegner_innen sein kön­nte, zeigt z.B. der Fall ein­er 32-jähri­gen Kom­mis­sarin der Polizei­in­spek­tion Neunkirchen, der vorge­wor­fen wird, Imp­fausweise gefälscht und für jew­eils 100 Euro verkauft zu haben.18

Gegen den Schulterschluss mit der Reaktion

Die Igno­ranz der “gut­bürg­er­lichen” Demon­stri­eren­den, die mit der extremen Recht­en gemein­same Sache machen und sich nicht von völkisch­er Ide­olo­gie dis­tanzieren, lässt zwei Schlüsse zu: Entwed­er es ist ihnen egal, neben Nazis zu marschieren — dann sind sie für jede demokratis­che Bewe­gung ver­loren. Oder aber sie sind der­maßen empört, dass sie die Koop­er­a­tion mit Nazis aus tak­tis­chen Grün­den einge­hen, da es ver­meintlich “um Alles” zu gehen scheint — dann sind sie eine umso größere Gefahr. Wir wer­den uns nicht von der schein­baren Harm­losigkeit der Coro­na-Proteste täuschen lassen, son­dern die Entwick­lung der Szene weit­er­hin genau beobacht­en, analysieren und die diversen Nazi-Akteure, egal wo sie auftreten, mit allen notwendi­gen Mit­teln bekämpfen.

Dabei auf staatliche Stellen zu hof­fen, die regelmäßig unter Beweis stellen, dass sie entwed­er nicht wil­lens oder nicht in der Lage sind, diesen Eskala­tio­nen Ein­halt zu gebi­eten, wäre ver­fehlt. Vielmehr ist ein entschlossen­er zivilge­sellschaftlich­er Wider­stand auf allen Ebe­nen notwendig.

Organ­isiert den antifaschis­tis­chen Wider­stand!
Der völkischen Ide­olo­gie ent­ge­gen­treten!
Für eine sol­i­darische Krisenpolitik! 

Achtet auf Ankündigungen.

Antifa Saar / Pro­jekt AK
Con­n­Act Saar

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6 Vgl. das Inter­view des saar­ländis­chen Min­is­ter­präsi­den­ten Tobias Hans in der Saar­brück­er Zeitung vom 08.01.2022: https://www.saarbruecker-zeitung.de/saarland/landespolitik/proteste-gegen-impfpflicht-im-saarland-hans-fordert-demonstranten-zuzuhoeren_aid-65101533.