Schock und Entsetzen, das waren die ersten Reaktionen als wir davon gehört haben.”

Inter­view mit der Aktion 3. Welt Saar e.V. zum Mord­fall Samuel Yeboah und den „Saar­louis­er Zuständen“

Samuel Yeboah

Die Aktion 3. Welt Saar arbeit­et seit nun­mehr 30 Jahren zu dem ras­sis­tis­chen Mord an Samuel Yeboah. Sie ist damit die einzige heute noch beste­hende Organ­i­sa­tion, die von Anfang an die Ereignisse begleit­et hat und dann später auch mit uns und dem Saar­ländis­chen Flüchtlingsrat über Jahrzehnte dafür gesorgt hat, dass die Erin­nerung daran nicht ver­schwindet. Vor weni­gen Tagen startete sie anlässlich dem sich näh­ern­den 30. Jahrestag des Bran­dan­schlags gemein­sam mit dem Saar­ländis­chen Flüchtlingsrat eine Plakatkam­pagne.
Wir haben nun mit zwei Vertretern der Aktion 3. Welt Saar ein Inter­view geführt:

Aktion 3. Welt Saar und Saar­ländis­ch­er Flüchtlingsrat haben eine Plakatkam­pagne zum Mord an Samuel Yeboah ges­tartet. (Bild: Saar­ländis­ch­er Flüchtlingsrat)

Antifa Saar / Pro­jekt AK:
Die Aktion 3. Welt Saar gehört zu den weni­gen Organ­i­sa­tio­nen, die seit dem Mord an Samuel Yeboah im Sep­tem­ber 1991 immer wieder auf den ras­sis­tis­chen Kon­text der Tat aufmerk­sam machen. Eure Organ­i­sa­tion existierte ja auch schon damals. Welche Erin­nerun­gen habt ihr konkret daran als ihr vor 30 Jahren von dem Mord erfahren habt und an die Tage danach?

Schock und Entset­zen, das waren die ersten Reak­tio­nen als wir davon gehört haben.”

Aktion 3. Welt Saar:
Schock und Entset­zen, das waren die ersten Reak­tio­nen als wir davon gehört haben. An diesem Abend grif­f­en in Hoy­er­swer­da mehrere Dutzend Neon­azis ein Wohn­heim von viet­name­sis­chen Vertragsarbeiter:innen mit Molo­tow-Cock­tails an. Anwohn­er haben zuge­se­hen oder mit­gemacht, die Polizei hielt sich stark zurück, das Fernse­hen berichtete. Der in den 90er Jahren weit ver­bre­it­ete Hass auf Geflüchtete war auch die Folge eines wiedervere­inigten Deutsch­lands. Nach dem Ende der DDR mein­ten wed­er die bun­desre­pub­likanis­chen Insti­tu­tio­nen, noch manche in der Bevölkerung beweisen zu müssen, das bessere Sys­tem zu sein. Parteien und Medi­en aus der Mitte der Gesellschaft macht­en mit „Das Boot ist voll“-Rhetorik dem recht­en Rand Mut — dessen Tat­en ließen nicht lange auf sich warten. Die Het­ze kam oft von Men­schen im Armani-Anzug und mit Designer­brillen auf der Nase. Die öffentlichen Het­zkam­pag­nen gipfel­ten im Mai 1993 in der fak­tis­chen Abschaf­fung des Asyl­para­graphen (Art. 16, Grundge­setz). CDU und FDP braucht­en für die notwendi­ge Zwei­drit­tel-Mehrheit Stim­men von der SPD. Diese organ­isierte u.a. Oskar Lafontaine — damals wie heute mit ein­er strin­gent linksna­tion­al­is­tis­chen Argumentation.

Demon­stra­tion 1991 in Saar­louis. (Bild: Archiv Antifa Saar / Pro­jekt AK)

Wir waren 1991 im Vor­läufer des Saar­ländis­chen Flüchtlingsrat aktiv, dem AK Asyl Saar­land, und kan­nten auch im Saar­land die Het­ze gegen Flüchtlinge, sei es in Saar­louis oder auch gegen das Lager Lebach. Nach dem Mor­dan­schlag in Saar­louis gab es bei­des: Sol­i­dar­ität von ver­schieden­sten Seit­en, gute öffentliche State­ments, eine große Demon­stra­tion aber eben auch Hass auf Flüchtlinge. So ähn­lich wie später 2015, als Merkel meinte „Wir schaf­fen das“.
Im Grunde genom­men fan­den sich damals exakt die Men­schen, Milieus und Grup­pen wieder, die bis heute gegen alle Wider­stände die Erin­nerung an Samuel Yeboah und seine Ermor­dung hoch hal­ten: die Antifa Saar, der Saar­ländis­che Flüchtlingsrat und die Aktion 3.Welt Saar.

Antifa Saar / Pro­jekt AK:
Mitte der 90er regte sich in dem damals als Hochburg neon­azis­tis­ch­er Kräfte bekan­nten Saar­louis unab­hängiger antifaschis­tis­ch­er Wider­stand. Jugendliche AntifaschistIn­nen schlossen sich zusam­men, die Antifa Saar­louis grün­dete sich und der Info­laden Bam­bule ent­stand. Die Neon­azis vor Ort wur­den erst­mals auch mit kon­tinuier­lich­er mil­i­tan­ter Gegen­wehr kon­fron­tiert. Antifaschis­tis­che Demon­stra­tio­nen wur­den organ­isiert. Antifaschis­tis­che Aktion­stage fan­den statt. Auch Ihr habt damals mit ein­er Ver­anstal­tung, ins­beson­dere gegen das lokale Pro­jekt „Akzep­tierende Sozialar­beit mit recht­en Jugendlichen“, inter­ve­niert. Kön­nt Ihr da bitte was über Eure Beweg­gründe und Erfahrun­gen berichten?

Im März 1996 demon­stri­erten führende saar­ländis­che und bun­des­deutsche Nazis in Saar­louis. Bei der Organ­i­sa­tion behil­flich waren die Sozalar­beit­er aus dem Pro­jekt der “Akzep­tieren­den Sozialar­beit”. Neben dem Trans­par­ent mit Ord­nerbinde Peter Schlap­pal — Hauptverdächtiger im Mord­fall Samuel Yeboah. 

Aktion 3. Welt Saar:
1993 haben die Stadt Saar­louis und das Evan­ge­lis­che Jugendw­erk an der Saar ein Pro­jekt der „akzep­tieren­den Sozialar­beit“ ges­tartet, dessen Geschäftsstelle sich im Gemein­de­haus der evan­ge­lis­chen Kirche Saar­louis befand. Damit lag man voll im Trend: Bun­desweit waren diese Arbeits­beschaf­fungs­maß­nah­men für Sozialpädagog:innen ange­sagt, das dünne the­o­retis­che „Konzept“ dahin­ter wur­den von der Biele­felder Forschungs­gruppe um Wil­helm Heit­mey­er bere­it­gestellt und war Gegen­stand viel­er Talk­shows zu der Frage „Was kann man denn prak­tisch tun?“ Die Idee, dass Sozialar­beit­er die rechte Szene „befrieden“ soll­ten, ging aber kom­plett schief, in Saar­louis und über­all son­st in Deutsch­land. Die Neon­azis waren schlichtweg schlauer als es die Sozialpädagog:innen erwarteten und dreht­en den Spieß um. Das Pro­jekt war für sie ein Türöffn­er in die Gesellschaft, Gespräche mit der Polizei und dem Bürg­er­meis­ter wur­den ermöglicht und durch die Räum­lichkeit­en kon­nte sich die Gruppe ver­fes­ti­gen und anwach­sen. Und wenn etwas Brisantes besprochen wurde, schick­te man die Sozialar­beit­er ein­fach raus, wie es ein­er von ihnen mal einge­s­tand. Die poli­tis­che Dimen­sion der organ­isierten Recht­sex­trem­is­ten wurde ver­harm­lost, das Cre­do lautete: Früher haben wir als Jugendliche auch über die Stränge geschla­gen, aber jet­zt küm­mern wir uns als Erwach­sene um „unsere“ Kinder und alles wird gut. Dass Ras­sis­mus – und eben­so Anti­semitismus – eine bewusste poli­tis­che Ein­stel­lung ist und weniger ein ther­a­peutis­ches Prob­lem, war außer­halb der päd­a­gogis­chen Vorstel­lungswelt. Wir haben am 8.10.1996 den Sozi­olo­gen Alfred Schobert (https://bit.ly/2UZdN0k) zu ein­er Ver­anstal­tung ein­ge­laden, der beim Duis­burg­er Insti­tut für Sprach- & Sozial­forschung u.a. dazu geforscht hat, um auf die Prob­leme dieser unpoli­tis­chen sozialar­bei­t­er­ischen Herange­hensweise aufmerk­sam zu machen. Die Ver­anstal­tung selb­st wurde dann zu einem realen Spießruten­lauf für die Besucher:innen, sie mussten vom Park­platz aus durch ein Polizeis­palier laufen um in den Räum­lichkeit­en des Alten Betrieb­shofs (KOMM) anzukom­men. Das war Ein­schüchterung pur. Wohlge­merkt, es war eine reine Infor­ma­tionsver­anstal­tung.
Im Nach­gang wurde uns von der Polizei ein Ver­fahren ange­hängt, weil wir ihr ange­blich keinen Ein­lass gewährt hät­ten, das wurde später wegen Ermit­tlungs­dilet­tan­tismus vom Richter in der Ver­hand­lung wieder eingestellt. Damals regierte im Saar­land Oskar Lafontaine mit absoluter SPD-Mehrheit, Innen­min­is­ter war Friedel Läp­ple.

Antifa Saar / Pro­jekt AK:
Jet­zt wur­den die Ermit­tlun­gen im Mord­fall Samuel Yeboah wieder aufgenom­men. Wie schätzt Ihr das ein?


Aktion 3. Welt Saar:
Es ist erschreck­end, dass fast 30 Jahre Ver­tuschen und Ver­schweigen möglich waren — erfreulich, dass das jet­zt schein­bar vor­bei ist. Im besten Falle sind diese Ermit­tlun­gen Aus­druck ein­er Erken­nt­nis, die von antifaschis­tis­ch­er Seite ja seit den 70ern wieder­holt wird: Neon­azis sind eine (auch bewaffnete) Gefahr für die gesamte Demokratie und müssen zur Rechen­schaft gezo­gen wer­den. Let­ztlich gibt es zwei Gründe warum die Ermit­tlun­gen jet­zt aufgenom­men wur­den und das jahre­lange Leug­nen durch staatliche Stellen de fac­to been­det wurde: Der NSU-Mord an der Polizistin Michèle Kiesewet­ter und der Mord an dem CDU-Poli­tik­er Wal­ter Lübcke in Kas­sel. Hinzu kam als unge­woll­ter „Ermit­tlungs­beschle­u­niger“ das offene Auftreten des Ver­fas­sungss­chutz-Chefs Maaßen als Recht­saußen. Der zweite Grund war das drei Jahrzehnte währende kon­tinuier­liche Insistieren der Antifa Saar, des Saar­ländis­chen Flüchtlingsrates und der Aktion 3.Welt Saar. Diese drei Organ­i­sa­tio­nen haben dafür gesorgt, dass der Fall Samuel Yeboah wed­er aus der Öffentlichkeit noch aus den Akten verschwand.

Die Idee, dass Sozialar­beit­er die rechte Szene „befrieden“ soll­ten, ging aber kom­plett schief, in Saar­louis und über­all son­st in Deutsch­land. Die Neon­azis waren schlichtweg schlauer als es die Sozialpädagog:innen erwarteten und dreht­en den Spieß um. Das Pro­jekt war für sie ein Türöffn­er in die Gesellschaft”

Wir find­en es auch span­nend, dass nicht nur der Fall Samuel Yeboah wieder aufgerollt wird, son­dern dass laut Saar­brück­er Zeitung und Saar­ländis­chem Rund­funk eine Ermit­tlungsabteilung auch die Vorgänge in der saar­ländis­chen Polizei unter­suchen soll. Die jahre­lange unpro­fes­sionelle Ermit­tlung war kein Verse­hen, son­dern poli­tisch gewollt.
Ob die Ver­wick­lung des Ver­fas­sungss­chutzes in die Yeboah-Affäre Teil der Ermit­tlung sein wird, wis­sen wir nicht. Dabei wäre das beson­ders inter­es­sant, vor allem der Ein­satz von V‑Leuten müsste unbe­d­ingt aufgear­beit­et wer­den. Dazu braucht es die viel beschworene demokratis­che Öffentlichkeit – also nicht die, die drei Jahrzehn­te­lang ver­tuscht haben.

Antifa Saar / Pro­jekt AK:
Die Stadt Saar­louis hat nun den Inte­gra­tions­beirat damit beauf­tragt ein Gedenkkonzept zu erstellen. Darin enthal­ten sind auch zahlre­iche Maß­nah­men die Ihr und der Saar­ländis­che Flüchtlingsrat schon vor Jahren aufgestellt habt. Wie beurteilt Ihr die aktuellen Ver­laut­barun­gen der Stadt Saar­louis dazu?

Aktion 3. Welt Saar bei den Drehar­beit­en zum Beitrag in den Tages­the­men im April 2021. Roland Röder präsen­tiert die Gedenk­tafel die 2001 im Rah­men der Demon­stra­tion zum 10 Todestag von Samuel Yeboah von AntifaschistIn­nen am Saar­louis­er Rathaus befes­tigt wurde. Die Stadt Saar­louis ließ die Tafel umge­hend entfernen. 

Aktion 3. Welt Saar:
Die Stadt Saar­louis betreibt ein ‚Erin­nern ohne Ver­gan­gen­heit‘. Offiziell möchte man an Samuel Yeboah erin­nern, aber man klam­mert die eigene 30 Jahre lang währende Ver­tuschung und Ver­harm­lo­sung aus und eben­so die Dif­famierung der weni­gen, die kon­tinuier­lich an Samuel Yeboah erin­nert haben. Dies waren über diese lange Strecke der Saar­ländis­che Flüchtlingsrat, die Antifa Saar und die Aktion 3.Welt Saar. Die Kon­ti­nu­ität ergibt sich organ­isatorisch bzw. durch die han­del­nden Per­so­n­en. Die Stadt legt seit dreißig Jahren bis heute großen Wert auf die Nichtzusam­me­nar­beit mit diesen drei Organ­i­sa­tio­nen. 15 Jahre nach dem Mor­dan­schlag gab es eine Gedenkver­anstal­tung – u.a. der drei o.g. Organ­i­sa­tio­nen — im evan­ge­lis­chen Gemein­de­haus, bei der auch die Schwest­er von Samuel Yeboah anwe­send war. Ein Emp­fang durch die Stadt Saar­louis wurde ihr ver­wehrt. Die Stadt Saar­louis gab ihr regel­recht „einen Korb“, was uns heute noch anekelt.
Bish­er gibt es ja von Seit­en der Stadt und des Stad­trates nur Ankündi­gun­gen, der Bürg­er­meis­ter, der in den 90ern selb­st als Polizist in Saar­louis arbeit­ete, hat das weg delegiert, es scheint bei ihm keine hohe Pri­or­ität zu genießen. Wir fordern immer noch ein zen­trales Gedenken an Samuel Yeboah im Herzen von Saar­louis, zum Beispiel die Anbringung ein­er Gedenk­tafel am Rathaus. Die „Stadt der puren Lebens­freude“ (Selb­st­beze­ich­nung Stadt­mar­ket­ing Saar­louis) muss endlich zu ihrer Ver­gan­gen­heit ste­hen. Solange sie sich hier ver­weigert, ist ihr Gedenken eine wohl insze­nierte Selbstlüge.

Die Stadt Saar­louis betreibt ein ‚Erin­nern ohne Ver­gan­gen­heit‘. Offiziell möchte man an Samuel Yeboah erin­nern, aber man klam­mert die eigene 30 Jahre lang währende Ver­tuschung und Ver­harm­lo­sung aus”

Antifa Saar / Pro­jekt AK:
Mal etwas selb­stkri­tisch gefragt: Warum ist es uns und Euch nicht gelun­gen in dem Fall Samuel Yeboah die migrantis­che Com­mu­ni­ty stärk­er einzubinden?

Eine Frage aus der Schat­ulle der poli­tis­chen Kor­rek­theit. Wir lehnen es ab, Men­schen auf eth­nis­che Herkun­ft zu reduzieren, das ist die Fort­führung von Kul­tur­rel­a­tivis­mus mit anderen Mit­teln. Zusam­men­schlüsse ent­lang der Haut­farbe und/oder der geografis­chen Herkun­ft sind ja nicht per se emanzi­pa­torisch. Sie tra­gen vielmehr mit ihrer pos­i­tiv­en wie neg­a­tiv­en Fix­ierung auf diese Merk­male zum Teil eine Ten­denz zum Biol­o­gis­mus und Iden­titären in sich. NGOs und Stiftun­gen machen damit gutes Geld. Wir engagieren uns nicht in diesem Geschäft­szweig. Anson­sten arbeit­eten und arbeit­en wir mit ver­schieden­sten Migrant:innen zusam­men, z.B. dem Kur­dis­chen Gesellschaft­szen­trum sowie Flüchtlin­gen aus aller Her­ren und Frauen Län­der. Wir acht­en aber darauf, dass Nation­al­ität, Eth­niz­ität und Reli­gion nicht die entschei­dende Rolle spie­len, son­dern das (eigene) poli­tis­che Ver­hal­ten. Migrant:innen sind nicht per se gut, son­dern kön­nen auch — drastisch for­muliert — Arschlösch­er, Anti­semiten, Aus­beuter, Patri­archen, Unter­drück­er sein oder aus anderen Grün­den schlechte Men­schen. Die biol­o­gis­che oder geo­graphis­che Herkun­ft Hochleben zu lassen ist Ras­sis­mus unter umgekehrten Vorze­ichen. Wichtig ist das konkrete Ver­hal­ten. Ein großer Philosoph hat ein­mal gesagt: „Die Wahrheit liegt auf dem Platz.“ (Otto Rehhagel). Oder um es mit der Fem­i­nistin Ingrid Stro­bel zu sagen „Frau sein allein ist kein Pro­gramm.“
Vie­len Dank übri­gens für das Inter­view.
Hans Wolf (Migrant) und Roland Röder (Kle­ingärt­ner)

Antifa Saar / Pro­jekt AK:
Vie­len Dank Euch für das Inter­view. Wir sehen uns hof­fentlich am 18. Sep­tem­ber um 14.00 Uhr in Saar­louis auf der Straße.

Antifa Saar / Pro­jekt AK im August 2021