Bevor es mit den Brandanschlägen im Raum Saarlouis begann, gab es ja bereits eine militante Rechte im Raum Saarlouis.“

Zum Mord an Samuel Yeboah: Interview mit Mitgliedern der ehemaligen Antifa Saarlouis

Demon­stra­tion unmit­tel­bar nach dem Mord 1991. 

Wir haben mit Richard und Ilja gesprochen. Bei­de waren in den 90er Jahren in der Antifa Saar­louis aktiv. Mit ihnen haben wir über die dama­lige Zeit gesprochen um bewusst zu machen, wie kurz nach dem ras­sis­tis­chen Mord an Samuel Yeboah in Saar­louis mit Neon­azis, aber auch dem antifaschis­tis­chen Wider­stand gegen diese umge­gan­gen wurde. Wir wollen damit aufzeigen, welche Stim­mung in der Fes­tungsstadt herrschte und wie fest ver­ankert die rechte Szene in Saar­louis war. Aber lest selbst:

Antifa Saar / Pro­jekt AK: Anfang August 2020 wurde bekan­nt, dass die Ermit­tlun­gen zum Mord an Samuel Yeboah wieder aufgenom­men wur­den — für euch eine Überraschung? 

Richard: Nach nun 29 Jahren bin ich sehr über­rascht gewe­sen, dass die Ermit­tlun­gen erneut aufgerollt wer­den. Noch erstaunlich­er finde ich jedoch die Abgabe an die Bun­de­san­waltschaft und auch die interne polizeiliche Ermit­tlungs­gruppe, die gegrün­det wurde, um, wie es so schön heißt, “Ermit­tlungsver­säum­nisse” aus der dama­li­gen Zeit aufzuar­beit­en. Uns selb­st war ja die poli­tis­che Trag­weite der regionalen Neon­azistruk­tur und deren bun­desweite Bedeu­tung stets bewusst und gle­ich­sam war es durchgängiger Duk­tus von Land, Stadt und Polizei die Sit­u­a­tion in Saar­louis herun­terzus­pie­len, zu ent­poli­tisieren und zu einem „Kon­flikt zwis­chen Jugend­grup­pen“ zu banalisieren.

Antifa Saar / Pro­jekt AK: Ihr wart über viele Jahre in Saar­louis in anti­ras­sis­tis­chen und antifaschis­tis­chen Grup­pen organ­isiert. Saar­louis galt auch über­re­gion­al über ein ganzes Jahrzehnt hin­weg als bun­desweite Neon­az­i­hochburg. Wie ist eure Ein­schätzung hierzu?

Ilja: So ist es. Saar­louis hat sich bere­its in den 80ern, spätestens jedoch in den 90er Jahren zu ein­er bun­desweit­en Neon­az­i­hochburg entwick­elt. Hier ent­stand ein Bren­npunkt dessen, was die bun­desweite rechte Szene in den 90er Jahren aufzu­bi­eten hat­te: Über­griffe, Brand- und Bombe­nan­schläge bis hin zu ras­sis­tis­chem Mord, Neon­azi­parteien, Freien Kam­er­ad­schaften, Aufmärschen und so genan­nter „Nation­al Befre­it­er Zone“. All das war in Saar­louis gegeben, in ein­er Verdich­tung und Vehe­menz, die in West­deutsch­land ihres­gle­ichen suchte. Und mit Blick auf die gravierende Anzahl an recht­en Gewalt­tat­en, Brand- und Bombe­nan­schlä­gen, wäre eine aufmerk­same Staat­san­waltschaft nahe­liegend auch von ein­er recht­ster­ror­is­tis­chen Struk­tur ausgegangen. 

Die Ereignisse in Saar­louis waren ja nicht das Resul­tat ein­er spon­tan agieren­den, ver­sof­fe­nen recht­en Skinheadgruppierung.”

Die Ereignisse in Saar­louis waren ja nicht das Resul­tat ein­er spon­tan agieren­den, ver­sof­fe­nen recht­en Skin­head­grup­pierung. Die bun­desweit­en Strate­giede­bat­ten der radikalen Recht­en fan­den starken Anklang in Saar­louis. Die örtlichen Nazistruk­turen waren oft­mals sog­ar Vor­re­it­er in der Prax­is. Als Anfang der 90er Jahre die FAP zu Brand- und Bombe­nan­schlä­gen gegen Flüchtling­sun­terkün­fte mobil­isierte, war Saar­louis die Stadt, in der zumin­d­est im West­en die ersten Bran­dan­schläge verübt wur­den. Samuel Yeboah war in dieser ras­sis­tisch motivierten Bran­dan­schlagsserie meines Wis­sens nach der erste Tote in West­deutsch­land. Bed­ingt durch die konzep­tionelle Anlehnung an FAP und NF kam es bis in die Mitte der 90er Jahre zu ein­er ganzen Welle an Bran­dan­schlä­gen und ver­sucht­en Bombe­nan­schlä­gen. Mitte der 90er Jahre ori­en­tierte sich die regionale Szene zunehmend am Konzept der Freien Kam­er­ad­schaften und der Strate­gie zur Schaf­fung so genan­nter “Nation­al befre­it­er Zonen”. Zu jen­er Zeit wurde aus den bish­eri­gen Struk­turen auch die Kam­er­ad­schaft Saar­lautern gegrün­det, welche in den fol­gen­den Jahren im Saar­land und Süd-West­deutsch­land im Kam­er­ad­schaftsspek­trum fed­er­führend war.

Antifa Saar / Pro­jekt AK: Weshalb ger­ade Saarlouis? 

Ilja: Dass sich die Szene ger­ade in Saar­louis so stark entwick­eln kon­nte, hat­te mehrere Ursachen: Bere­its Ende der 80er Jahre gab es in der Region Saar­louis und Dillin­gen eine rechte Skin­head­grup­pierung. Hier liegen auch die Wurzeln der späteren Struk­turen, zum Teil auch in per­son­eller Kon­ti­nu­ität. Dass Saar­louis aber zu ein­er Hochburg wurde, dazu hat es mehr bedurft. Die mein­er Ansicht nach zen­tralen Aspek­te möchte ich kurz benennen:

1. Führungskräfte bzw. Neon­azikad­er mit der Fähigkeit, die bere­its vorhan­de­nen Struk­turen auszubauen, zu hal­ten, Nach­wuchs zu rekru­tieren und poli­tisch auf Lin­ie zu brin­gen. Die zen­tralen Führungsper­so­n­en aus Saar­louis waren zu Beginn der 90er Jahre sehr gut bun­desweit ver­net­zt, poli­tisch geschult und ziel­stre­big im Auf­bau ein­er nach­halti­gen poli­tis­chen Struktur.

Nazidemon­stra­tion 1996 in Saar­louis. Peter Schlap­pal (2.v.l.) aus Saar­louis mit Nazi­größen aus dem gesamten Südwesten.

2. Ein Sozial­raum, sei es Stadt, Dorf oder Stadt­teil, in dem es keinen oder wenig Wider­stand gegen die Aus­bre­itung gibt. Saar­louis ist hier­bei ein extremes Neg­a­tivbeispiel. Nicht nur, dass es sehr lange an Wider­stand man­gelte, fatal war die Bere­it­stel­lung von Räum­lichkeit­en für Neon­azis im Rah­men eines Sozialar­beit­er­pro­jek­tes. Den Neon­azis wurde somit qua­si eine offizielle Ein­ladung erteilt, welche dank­end angenom­men wurde und in den fol­gen­den Jahren im erhe­blichen Maße zur Nach­wuch­srekru­tierung und sozial­räum­lichen Ver­ankerung beige­tra­gen hat. So durften sie auf Räume für regelmäßige Tre­f­fen zurück­greifen, das Faxgerät benutzen etc.

3. Saar­louis, die saubere Einkauf­sstadt. Saar­louis hat ger­ade zu Beginn der 90er Jahre ver­sucht, sich als die saubere, mod­erne Einkauf­s­metro­pole zu etablieren. Obdachlose, Punks, Migran­tInnen etc. waren in der Innen­stadt uner­wün­scht. Die Stadtver­wal­tung hat hier unter anderem auf polizeiliche Repres­sion geset­zt und recht­en Grup­pierun­gen mehr oder weniger „Rosen auf den Weg gestreut“.

4. Fehlende Repres­sion gegen rechte Gewalt spielt sicher­lich auch eine Rolle. Der Mord — ungeah­n­dete Mord — an Samuel Yeboah, sowie zahlre­iche unaufgek­lärte Brand- und Bombe­nan­schläge wur­den von der Szene als Freifahrtschein ver­standen. Zudem gab es eine Vielzahl an kör­per­lichen Über­grif­f­en, die fol­gen­los blieben.

5. Die fehlende Unter­stützung von antifaschis­tis­chen und anti­ras­sis­tis­chen Ini­tia­tiv­en hat eben­falls ihren Beitrag geleis­tet. Antifaschis­tis­che Ini­tia­tiv­en wur­den hier als störend behan­delt, poli­tisch uner­wün­scht und auf vielschichti­gen Ebe­nen von Stadtver­wal­tung, Lokal­presse und Polizei dif­famiert und krim­i­nal­isiert. Höhep­unkt war hier das Vorge­hen gegen den antifaschis­tis­chen Info­laden im Jahr 1997. Eine dort stat­tfind­ende antifaschis­tis­che Aktionswoche wurde als Pro­voka­tion der Neon­aziszene ver­standen und es gab mas­siv­en Druck von Stadt und Polizei diese Ver­anstal­tung nicht stat­tfind­en zu lassen. Selb­st die Saar­louis­er Grü­nen, hier vor allem in Per­son von Hubert Ulrich, damals aktiv im SBS e.V. Trägervere­in und Ver­mi­eter der Räum­lichkeit­en des Info­ladens, übten Druck aus und ver­sucht­en die Ver­anstal­tung zu unter­sagen. In der Ver­anstal­tungswoche kam es dann zu einem Angriff von Neon­azis auf Besucherin­nen und Besuch­er des Info­ladens mit mehreren Ver­let­zen und einem Auf­se­hen erre­gen­den Polizeiein­satz. Doch statt sich zu sol­i­darisieren, wurde der Mietver­trag für den Info­laden gekündigt und über Nacht die Türschlöss­er ausgetauscht.

Wie in den meis­ten bedeut­samen Neo-Nazistruk­turen ist auch in Saar­louis von V‑Leuten inner­halb der Naziszene auszugehen.”

Antifa Saar / Pro­jekt AK: Aus dem NSU — Kom­plex wis­sen wir über Ver­strick­un­gen des Ver­fas­sungss­chutzes in rechte Net­zw­erke und deren Anschlagsak­tiv­itäten. Wie schätzt ihr die Sit­u­a­tion im Saar­land, speziell in Saar­louis, ein? 

Richard: Wie in den meis­ten bedeut­samen Neon­azistruk­turen ist auch in Saar­louis von V‑Leuten inner­halb der Naziszene auszuge­hen. Auch wis­sen wir, dass auch inner­halb der recht­en Szene, „Führungskräfte“ der Saar­louis­er Struk­tur, als Verbindungsleute des saar­ländis­chen Ver­fas­sungss­chutzes gehan­delt wur­den. Aktuell wer­den hier von staatlich unab­hängi­gen Stellen einige Infor­ma­tio­nen zusam­menge­tra­gen, um ein besseres Bild zu bekom­men. Ins­beson­dere gilt es zu prüfen, inwieweit die Führungsstruk­tur der „Kam­er­ad­schaft Saar­lautern“ unter der Führung des saar­ländis­chen Ver­fas­sungss­chutzes stand und wie deren Beteili­gung an der Anschlagsserie aus­ge­se­hen hat. Die sta­tis­tis­che polizeiliche Aufk­lärungsrate bei den soge­nan­nten “Straftat­en gegen das Leben”, also durchge­führten oder ver­sucht­en Tötungs­de­lik­ten, liegt in Deutsch­land bei ca. 95 Prozent. Min­destens 14 Brand- und Bombe­nan­schläge allein im Raum Saar­louis, als Teil ein­er neon­azis­tis­chen Anschlagsserie, sind bis heute unaufgek­lärt. Eine sta­tis­tis­che Aufk­lärungsquote von null Prozent! Das ist allein mit Dilet­tan­tismus nicht zu erk­lären. Das heißt, neben dem Ver­fas­sungss­chutz sind auch die polizeilichen Maß­nah­men in den Blick zu nehmen. Erstaunlicher­weise wurde das ja im Zuge des jet­zt neu aufgeroll­ten Ver­fahrens auch von der Staat­san­waltschaft erkan­nt und eine interne Ermit­tlungs­gruppe gegrün­det. Ohne par­la­men­tarischen Unter­suchungsauss­chuss mit zivilge­sellschaftlich­er Beteili­gung wird jedoch eine weitre­ichen­dere Aufk­lärung nicht möglich sein.

Antifa Saar / Pro­jekt AK: Warum und wie habt ihr damals die Antifa Saar­louis gegründet?

Richard: Bevor es mit den Bran­dan­schlä­gen im Raum Saar­louis begann, gab es ja bere­its eine mil­i­tante Rechte im Raum Saar­louis. Zu Beginn über­wiegend im recht­en Skin­head­spek­trum zu verorten. Anfang der 90er kam es hier zu hefti­gen Auseinan­der­set­zun­gen zwis­chen türkischen und kur­dis­chen Jugendlichen und der regionalen Naziszene. Später dann ja auch zu den ras­sis­tisch motivierten Bran­dan­schlä­gen. Dama­lige türkische und kur­dis­che Mitschüler berichteten zunehmend von recht­en Über­grif­f­en und von der Angst vor Bran­dan­schlä­gen. Das Kli­ma verän­derte sich und vor allem für Migran­tInnen, Punks, Obdachlose wurde die erstark­ende Neon­aziszene zu ein­er realen Bedro­hung. Hier sehe ich auch Ähn­lichkeit­en zum NSU-Kom­plex. Auch hier wurde die Bedro­hung sehr früh und klar von den der türkisch/kurdischen Com­mu­ni­ty erkan­nt, während der Rest der Gesellschaft noch völ­lig blind für die Entwick­lung war. Ohne die türkischen und kur­dis­chen Fre­unde wären diese Entwick­lun­gen auch an mir ver­mut­lich vor­beige­gan­gen. Gle­ich­sam gab es kein Ver­trauen in Polizei und Behör­den. Die meis­ten dieser migrantis­chen Jugendlichen hat­ten in irgen­dein­er Form bere­its Erfahrun­gen mit ras­sis­tis­ch­er Polizeige­walt machen müssen.

Migran­tInnen, Punks, Obdachlose, eben so ziem­lich alle, die nicht in das Sauber­mann-Image der Stadt passten, soll­ten selb­st schauen, wie sie klarkom­men. Das war für uns zen­traler Moment und führte zur Ein­sicht in die Notwendigkeit eine antifaschis­tis­che Selb­sthil­fe zu organisieren.”

An den Woch­enen­den began­nen sich dann die ersten türkischen und kur­dis­chen Leute zu organ­isieren, und zum Schutz vor Bran­dan­schlä­gen nachts Häuser und Ein­rich­tun­gen abzu­sich­ern. Das war der eigentliche Beginn mein­er Poli­tisierung. Zusam­men mit anderen Mitschü­lerIn­nen wur­den Sol­i­dar­itäts­demon­stra­tio­nen organ­isiert und am Woch­enende der Schutz mit organ­isiert.
Par­al­lel hierzu ent­stand in Saar­louis eine alter­na­tive linke Szene. Über­wiegend beste­hend aus sehr jun­gen Men­schen, Punks, Skatern etc.. Diese Gruppe geri­et zunehmend in den Fokus der Saar­louis­er Neon­aziszene. Es kam gehäuft zu recht­en Über­grif­f­en und ein­er Ver­lagerung der recht­en Szene aus den Randge­bi­eten in die Innen­stadt. Und auch hier haben Polizei und Poli­tik völ­lig ver­sagt. Es war zu der Zeit poli­tis­ch­er Wille, die entste­hende linke Jugend­be­we­gung zum Abschuss freizugeben. Ich kann mich noch gut an ein Som­mer­wochende 1994 im Saar­louis­er Stadt­park erin­nern. Der dama­lige Tre­ff­punkt link­er Jugendlich­er. Es gab zuvor schon einige Über­griffe von Neon­azis, an jen­em Woch­enende jedoch in größer­er und offen­sichtlich organ­isiert­er Form. Ca. 40 Neon­azis hat­ten sich zusam­men mit einem lokalen Mil­i­tary-Vere­in zusam­menge­tan und einen Über­griff ges­tartet. Eini­gen Jugendlichen ist es gelun­gen zu flücht­en und die Polizei zu ver­ständi­gen. Diese kam, park­te mit etwas Abstand zum Geschehen und schaute dem ganzen völ­lig unbeteiligt zu. Im Nach­gang wurde der Über­griff von der Polizei sog­ar noch abgestrit­ten. Ähn­liche Vor­fälle soll­ten sich in den fol­gen­den Wochen wieder­holen. Die Mes­sage war somit allen klar: Migran­tInnen, Punks, Obdachlose, eben so ziem­lich alle, die nicht in das Sauber­mann-Image der Stadt passten, soll­ten selb­st schauen, wie sie klarkom­men. Das war für uns zen­traler Moment und führte zur Ein­sicht in die Notwendigkeit eine antifaschis­tis­che Selb­sthil­fe zu organ­isieren. Viele der Jugendlichen und jun­gen Men­schen aus der alter­na­tiv­en Szenen began­nen die Stadt zu mei­den und zogen sich zurück. Andere hinge­gen began­nen sich zu tre­f­fen und gemein­sam zu über­legen, was zu tun sei. Es wurde Kon­takt zu anderen saar­ländis­chen antifaschis­tis­chen Grup­pen aufgenom­men, sich aus­ge­tauscht und geschaut, was möglich ist. Mit den verbliebe­nen Leuten wurde schließlich die Antifa Saar­louis gegrün­det, ver­bun­den mit der Idee, den Nazis nicht die Stadt zu über­lassen, son­dern Wider­stand zu leis­ten und auch anderen in der Region die Möglichkeit zu geben, sich zu organ­isieren bzw. eine Anlauf­stelle zu haben.

Antifa Saar / Pro­jekt AK: Was habt ihr für Aktio­nen gemacht, wie sah euer All­t­ag aus?

Ilja: Zu Beginn war es wichtig, sich erst­mal einen Überblick zu ver­schaf­fen, mit wem wir es hier eigentlich zu tun haben. Recherc­hear­beit war am Anfang also ein erhe­blich­er Teil unser­er Arbeit. Wir wussten ja, dass die regionale Neon­aziszene extrem gewalt­tätig ist und mit Blick auf die Bran­dan­schläge und den Mord an Samuel Yeboah auch bere­it ist, bis zum Äußer­sten zu gehen. Par­al­lel ging es also auch darum, den Selb­stschutz zu organ­isieren und im Falle von weit­eren Über­grif­f­en angemessen reagieren zu kön­nen. Strate­gie der Neon­azis war es ja, Saar­louis zu ein­er Art „Nation­al befre­it­en Zone“ zu machen. Also einem Ort, der nach ihrer Vorstel­lung, frei ist von alle dem, was nicht in ihr Nazi­welt­bild passt. Die Frage war eben auch, wie wir uns dem ent­ge­gen­stellen kön­nen. Seit­ens der Stadt, Polizei oder auch ort­san­säs­siger Parteistruk­turen war keine Unter­stützung zu erwarten. Mit dem Pro­jekt „akzep­tierende Sozialar­beit mit recht­en Jugendlichen“ waren ja auch kom­mu­nalpoli­tis­che Struk­turen im erhe­blichen Maße an dem Erstarken der recht­en Szene und somit im End­ef­fekt auch der Umset­zung der Idee „Nation­al Befre­it­er Zonen“ beteiligt. Wichtig war es uns auch, sich mit anderen anti­ras­sis­tis­chen Pro­jek­ten und Organ­i­sa­tio­nen zu ver­net­zen und Unter­stützung zu erhal­ten. Wir hat­ten dann auch zu dieser Zeit ein ganz gutes Mobil­isierungspo­ten­tial für antifaschis­tis­che Aktio­nen. Es gab Aktio­nen gegen die in Saar­louis stat­tfind­en­den Nazi­aufmärsche und eigene Kundge­bun­gen und eigene Demonstrationen.

Die Antifa Saar­louis und der Info­laden waren ein Stör­fak­tor, Nest­beschmutzerIn­nen in ein­er Stadt, die schon lange ihren Frieden mit der regionalen Naziszene gemacht hatte.”

Richard: Ende 96, Anfang 97 wurde in Saar­louis, im dama­li­gen Kul­turzen­trum KOMM, von uns der „Antifaschis­tis­che Info­laden Bam­bule“ eröffnet. Für die regionale Naziszene, mit ihrem Vorhaben der „Nation­al Befre­it­en Zone“, natür­lich eine Katas­tro­phe. Ein antifaschis­tis­ch­er Info­laden inmit­ten ein­er bun­desweit­en Neon­az­i­hochburg war sehr brisant. Mit dem Info­laden wurde ein wichtiger Anlauf­punkt geschaf­fen, an den sich Betrof­fene von Nazige­walt wen­den und lokale AntifaschistIn­nen sich tre­f­fen kon­nten. Im Som­mer 1997 fand eine antifaschis­tis­che Aktionswoche im Info­laden statt. Mit zahlre­ichen Ver­anstal­tun­gen, Filmvor­führun­gen etc.
Mit dem Info­laden war uns somit auch die Möglichkeit gegeben, eine Art Gegenöf­fentlichkeit zu schaf­fen. Infor­ma­tionsver­anstal­tun­gen über die regionale Naziszene oder das Pro­jekt der „akzep­tieren­den Sozialar­beit mit recht­en Jugendlichen“, stießen hier­bei auf beson­deren Wider­stand. Stadt, Polizei, und auch eini­gen Lokalpoli­tik­er ver­sucht­en gemein­sam mit der Naziszene die Ver­anstal­tun­gen zu ver­hin­dern. In der Aktionswoche mobil­isierten die Neon­azis über­re­gion­al um die Ver­anstal­tun­gen zu ver­hin­dern. Statt Sol­i­dar­ität gab es auch seit­ens der Stadt und Poli­tik, Presse etc. nur Gegen­wind, ja eigentlich aktive Sab­o­tage. Die Antifa Saar­louis und der Info­laden waren ein Stör­fak­tor, Nest­beschmutzerIn­nen in ein­er Stadt, die schon lange ihren Frieden mit der regionalen Naziszene gemacht hat­te.

Antifa Saar / Pro­jekt AK: Was war denn wirk­sam?

Ilja: Zen­tral war es Struk­turen zu grün­den. Raus zu kom­men aus der Vere­inzelung, sich zu tre­f­fen, sich zu ver­net­zen und einen gemein­samen Raum für Ideen und Wider­stand entste­hen zu lassen. Aus den beste­hen­den Rechercheerken­nt­nis­sen ent­stand eine wichtige Öffentlichkeit­sar­beit — Flug­blät­ter, Broschüren und Pressear­beit über die Naziszene, deren zen­trale Pro­tag­o­nis­ten und deren Involvierung in organ­isierte Nazistruk­turen, Über­griffe usw.. Für die meis­ten Neon­azis war es unan­genehm aus der Anonymität her­aus­geris­sen zu wer­den und dass ihre Tat­en in Nach­barschaft und beim Arbeit­ge­ber etc. bekan­nt wur­den. Zudem war es wichtig eine Gegenöf­fentlichkeit zu bilden. Obgle­ich es dutzende rechte Über­griffe gab, war es Strate­gie der Nazis, sich u.a. auch mit Unter­stützung des Soziar­beit­er­pro­jek­ts, lediglich als harm­lose Jugend­gruppe darzustellen. Diese Strate­gie kon­nte jedoch durch Öffentlichkeit­sar­beit und Aufk­lärung gut durchkreuzt werden.

Saar­brück­er Zeitung.

Richard: Gle­ichzeit­ig war es unab­d­ing­bar, den Neon­azis auch auf der Straße Wider­stand ent­ge­gen­zubrin­gen. Wir wussten ja von deren gewalt­samem Vorge­hen gegen poli­tis­che Geg­ner­In­nen und waren entsprechend vor­bere­it­et. Zudem waren uns ja fast alle von denen bekan­nt und entsprechend kon­nte auch auf Über­griffe oder Bedro­hun­gen unmit­tel­bar reagiert wer­den. Der Kampf um die Straße bedeutete für die Neon­azis ja über­set­zt, gewalt­same Über­griffe zu bege­hen. Darauf waren wir eingestellt. Für die Saar­louis­er Neon­aziszene bedeute dies eine kom­plett neue Erfahrung. Effek­tiv­er mil­i­tan­ter antifaschis­tis­ch­er Wider­stand war neu. Die rechte Szene war zunehmend verun­sichert. Zu besten Zeit­en standen sie unter unser­er ständi­gen Beobach­tung und Obser­va­tion und sämtliche Über­griffe wur­den auf mehreren Ebe­nen beant­wortet. Die Anzahl an Über­grif­f­en auf Migranten und Ander­s­denk­ende hat zu dieser Zeit drastisch abgenom­men. Die Nazis hat­ten plöt­zlich ein Prob­lem. Genaues Hin­se­hen und Wider­stand schränk­ten ihre herkömm­lichen Aktion­s­möglichkeit­en enorm ein.

Antifa Saar / Pro­jekt AK: Danke für das Inter­view. Bleibt stabil! 

Antifa Saar / Pro­jekt AK im Dezem­ber 2020