Wenn Nullen über Nullen reden
oder warum mit den Teilnehmer_innen der heutigen Podiumsdiskussion kein Kampf gegen Nazis zu führen ist
Heute Abend laden die Jusos Saar und das Netzwerk für Demokratie und Courage (NDC) zu einer Podiumsdiskussion zum Thema „Ist die NPD überhaupt das Problem?“. Ein Blick auf die Liste der Diskussionsteilnehmer_innen wirft jedoch vor allem die Frage auf, was die Veranstalter_innen dazu treibt, ausgerechnet mit diesen Leuten das „Problem“ Neonazismus lösen zu wollen.
Seit Anfang November 2011 die neonazistische Terrorgruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU), deren Mitglieder über mehr als zehn Jahre hinweg unbehelligt mindestens zehn Morde und etliche Bombenanschläge begehen konnten, aufgeflogen ist, scheinen viele Menschen in Deutschland schockiert und überrascht zu sein: dass Nazis, wenn sich ihnen die Gelegenheit bietet und man sie nicht daran hindert, Menschen ermorden, damit hätte nun wirklich niemand rechnen können. Und so zeigt man sich allerorten bemüht, das Bild eines anderen, bunten Deutschlands zu zeichnen, eines Deutschlands, dass sich qua Gnade der eigenen Vergangenheit bewusst ist, dass man „den Anfängen“ sich zu erwehren hat. In Jena rockten 50.000 Menschen mit Udo Lindenberg und Peter Maffay gegen den „braunen Spuk“ und für die „bunte Republik Deutschland“, und auch im Saarland will man scheinbar nicht untätig bleiben. So laden Jusos und NDC zur Debatte über die NPD neben ihrem Parteifreund Reinhold Jost diejenigen ein, die sie für fähig und willens erachten, den „Kampf gegen Rechts“ zu führen: Marc Brandstetter, Autor und Redaktionsleiter von „Endstation Rechts“, wird sich das Podium teilen mit dem ehemaligen Dienststellenleiter der Polizeibezirksinspektion Neunkirchen Werner Sick, dem Präsidenten des saarländischen Inlandsgeheimdienstes „Verfassungsschutz“ Helmut Albert, und der Neu-Ministerpräsidentin und langjährigen saarländischen Innenministerin Annegret Kramp-Karrenbauer. Ob all diese Koryphäen des saarländischen Antifaschismus nun der Einladung von Jusos und NDC folgen, oder nur Vertreter_innen schicken, wird an der banalen Tatsache, dass diese Leute und ihre Institutionen zu vielem gewillt sind, ganz sicher aber nicht zu einer wirksamen und ernstgemeinten Bekämpfung der extremen Rechten und der ihrem Handeln zugrunde liegenden Ideologien, freilich nichts ändern.
Mit Polizei, Geheimdienst und Abschiebeministerin gegen Rechts?
Den eingeladenen Podiumsdiskutant_innen nach zu urteilen, scheint „Rechtsextremismus“ für die Veranstalter_innen vor allem eine Spielart der Kriminalität zu sein, die mit staatlicher Repression zu lösen sei. Andernfalls lässt es sich nur schwer erklären, warum man sich einen exponierten Vertreter des Polizeiapparates geladen hat. Dabei hat die Polizei, gerade auch im Saarland, in der jüngeren Vergangenheit mehr als deutlich gezeigt, dass Neonazis und rassistisch oder antisemitisch motivierte Anschläge für sie kaum eine Rolle spielen. Der Umgang der saarländischen Exekutive mit Naziübergriffen ist durch Verharmlosungen und Täter-Opfer- Umkehr gekennzeichnet. Als ein antifaschistischer Jugendlicher nach einer Gedenkdemonstration in Erinnerung an Samuel Yeboah am 24. September 2011 in Dillingen von stadtbekannten Neonazis die Nase gebrochen bekam, sprach die Polizei von „üblichen Auseinandersetzungen“. Und bei der Serie von Brandanschlägen auf vorwiegend von Migrant_innen bewohnte Häuser in Völklingen schlossen die Ermittler nicht nur sehr schnell einen fremdenfeindlichen Hintergrund aus, sie suchten die Brandstifter sogar – wie die Recherchen eines Journalisten der „Saarbrücker Zeitung“ belegen – im Umfeld der Opfer und vermuteten „Familienfehden“ und „Milieuprobleme“. Dass die Morde des „NSU“ jahrelang ähnlich bewertet und verharmlost wurden – anstatt dem allzu offensichtlichen Verdacht nachzugehen, suchte die Polizei auch hier die Schuld bei den Opfern,
unterstellte ihnen Verbindungen ins Drogenmilieu und vermutete Streit um „Schutzgeld“, ebenso bei dem Heilbronner Polizistinnen-Mord, wo die Polizei die Täter zunächst in “mobilen sozialen Milieus” suchte — , ist wohl kaum Zufall. Wer sich bei seinen Ermittlungen von rassistischen Stereotypen und Vorurteilen leiten lässt, kann niemals Partner_in im Kampf gegen Rechts sein.
Noch absurder erscheint die Einladung von Dr. Helmut Albert, dem Präsidenten des sogenannten “Verfassungsschutzes” im Saarland. Was sich zuletzt wieder in den Erkenntnissen um den „NSU“ offenbarte, müsste aufmerksamen Beobachter_innen schon lange klar sein: der sogenannte „Verfassungsschutz“, dessen Arbeit sich jeglicher demokratischen Kontrolle entzieht und der selbst gerichtliche Urteile als nicht bindend erachtet, ist durch seine „V‑Leute“ aktiv an der Errichtung und Aufrechterhaltung
nazistischer Gruppierungen und Strukturen finanziell wie personell beteiligt und unterstützt damit rechte Straftaten bis hin zu Mordanschlägen.
Einen Nutzen für die Gesellschaft und das Zusammenleben erbringt diese Behörde, entgegen ihrer eigenen Behauptungen, jedoch nicht. Weder Morde noch Anschläge wurden durch Informationen des Inlandsgeheimdienstes verhindert. Im Gegenteil: In den vergangenen Jahren kam der Antifa Saar / Projekt AK immer wieder die wenig schmeichelhafte Aufgabe zu, sich als „alternativer Verfassungsschutz“ gerieren zu müssen und die Öffentlichkeit über Umtriebe der hiesigen Neonaziszene aufzuklären, über die die offiziellen Stellen schwiegen – beispielsweise über mehrere Nazikonzerte im Saarland und im grenznahen Frankreich, die jeweils mehrere hundert bis über tausend Besucher anzogen und maßgeblich von saarländischen Mitgliedern des neonazistischen „Hammerskins“-Netzwerks veranstaltet wurden. Die Damen und Herren aus dem Neugrabenweg Nr. 2 vertreiben sich währenddessen ihre Zeit viel lieber damit, antifaschistische Arbeit zu diskreditieren und in regelmäßigen Abständen linke Aktivist_innen anzuquatschen.
(unvollständige) Liste nicht aufgeklärter Anschläge im Saarland
1990 vor dem PDS-Büro in Saarbrücken wird ein Sprengsatz entdeckt
1991 Brandanschlag in Saarlouis-Fraulautern: Samuel Yeboah †
1992 im Orannaheim in Saarlouis-Wallerfangen wird eine scharfe Rohrbombe entdeckt
1992 Anschlag auf das selbstverwaltete Zentrum KOMM in Saarlouis
1999 Sprengstoffanschlag auf die Ausstellung „Verbrechen der Wehrmacht“ in Saarbrücken
2006–2011 Elf Brandanschläge auf vornehmlich von Migrant_innen bewohnte Häuser in Völklingen
Ganz gleich, ob der VS nun nichts davon mitbekommt, was in der Naziszene vor sich geht, oder ob die gesammelten Informationen bewusst zurück gehalten werden – während der Nutzen dieser Behörde für die Allgemeinheit gegen Null geht, sind die Gefahren für Leib und Leben, die von den bezahlten Agenten und Spitzeln des VS ausgehen, immens. Anstatt mit diesen Leuten also über das „Problem Rechtsextremismus“ zu diskutieren, wäre einzig die Forderung nach einer Auflösung des „Verfassungsschutz“ die logische Konsequenz. Schließlich lädt man sich mit der saarländischen Ministerpräsidentin und ehemaligen Innenministerin, Annegret Kramp-Karrenbauer, ein exponiertes Mitglied der Landesregierungen unter Peter Müller ein,
dessen Amtszeit von einer rigiden Abschiebepolitik und durchgängiger Nicht-Aufklärung neonazistischer Anschläge geprägt war. Peter Müller und seine Parteigänger zeichneten sich im Jahr 1999 durch eine Hetzkampagne gegen die Ausstellung „Verbrechen der Wehrmacht“ aus, auf die am 9.März ein bis heute nicht aufgeklärter Bombenanschlag verübt wurde – kurz nachdem in der „Saarbrücker Zeitung“ eine von saarländischen CDU-Politikern initiierte großflächige Anzeige unter dem Titel ‘Unsere Väter waren keine Mörder’ erschienen ist. Keine Berührungsängste haben Müller und seine Saar-CDU auch mit dem extrem rechten Rand der Burschenschafts-Szene. So wurde etwa die antisemitische und rassistische „Burschenschaft Ghibellinia zu Prag in Saarbrücken“ jahrelang von exponierten Mitgliedern der Saar-CDU hofiert und unterstützt — Peter Müller übernahm mehrmals die Schirmherrschaft für Veranstaltungen der Ghibellinia -, und auch nachdem eine Buchveröffentlichung über die Geschichte und die antidemokratischen Traditionen der Burschenschaft aufklärte, sah man in Müllers Partei keine Notwendigkeit, sich von der militanten Studentenverbindung zu distanzieren.
Alles Extremisten außer Mitte?
Auch der augenscheinliche Experte zur heutigen Thematik, Marc Brandstetter, ist nicht so unbelastet, wie es sein Engagement bei „Endstation Rechts“ vielleicht erscheinen lässt. Denn neben dem Kampf gegen den parlamentarischen Nazismus der NPD in Mecklenburg-Vorpommern widmet sich Brandstetter auch mit Herzblut der „Präventionsarbeit“ gegen „Linksextremismus“ und erläutert Schüler_innen ausführlich, warum ein roter Stern genauso böse ist wie das Hakenkreuz. Darüber hinaus publiziert er u.a im „Jahrbuch Extremismus und Demokratie“ der neu-rechten „Totalitarismusforscher“ und Nazi-Verharmloser Eckardt Jesse und Uwe Backes und vertritt mit diesen die wissenschaftlich wie politisch falsche und gefährliche „Extremismustheorie“, nach der menschenfeindliche Ideologien nur „links“ und „rechts“ und damit außerhalb einer „demokratischen Mitte“ existieren. Diese Theorie, die selbst wiederum Ideologie ist, setzt nicht nur außerparlamentarische Initiativen gegen Nazis, Rassismus und Antisemitismus mit dem Mord- und Totschlags-Programm der extremen Rechten gleich und erschwert damit antifaschistische Arbeit ungemein; sie leugnet auch, dass lebens- und menschenverachtende Einstellungen gerade in dieser „demokratischen Mitte“ in nicht unbeträchtlichem Maße zu finden sind und in ihr und ihren Institutionen reproduziert werden. So kann auch die Saar-CDU, die in der Vergangenheit mehrfach durch Geschichtsrevisionismus aufgefallen ist (s.o.), diesen an die Ränder der Gesellschaft projizieren und sich über jeden Verdacht erhaben fühlen. Nähme man es ernst mit dem Antifaschismus, so müsste man sich dem Rückgriff auf das Kampfvokabular und die Theorien der Extremisten der Mitte konsequent verweigern und verstehen, dass Antisemitismus, Rassismus und menschenfeindliche Einstellungen eben keine Randerscheinungen, sondern auch fest verwurzelt in der „Mitte der Gesellschaft“ sind und gerade auch dort bekämpft werden müssen. Doch von diesem Vorhaben scheinen die Veranstalter_innen meilenweit entfernt zu sein.
Fazit:
Um am Ende noch einmal auf das Thema des heutigen Abends zurückzukommen: nein, die NPD allein ist sicherlich nicht „das Problem“ und die Debatte um ihr Verbot lenkt als Nebelkerze von allem anderen ab. Wie der Frankfurter Philosoph und Soziologe Theodor W. Adorno schon 1960 feststellte, ist „[…] das Nachleben des Nationalsozialismus in der Demokratie“ — in ihren Geheimdiensten, Polizeien und in den Köpfen der sogenannten Mitte — „potentiell bedrohlicher denn das Nachleben faschistischer Tendenzen gegen die Demokratie“ (Theodor W. Adorno, Was bedeutet: Aufarbeitung der Vergangenheit?). Warum sich jedoch Vereinigungen, die ihrem Selbstverständnis nach – zumindest im Falle der Jusos Saar — „links“ sind, in dieser Frage ausgerechnet an diejenigen Institutionen wenden, deren Agieren Neonazis und rechte Ideologien gerade nicht bekämpft, sondern im Gegenteil verstärkt und stützt, wird wohl das Geheimnis der Veranstalter_innen des heutigen Abends bleiben. Wer es wirklich ernst meint mit dem Traum von einer besseren Gesellschaft, in der der Mensch nicht länger des Menschen Wolf ist, kann in Verfassungsschutz, Polizei und den Anhängern der „Extremismus-Theorie“ jedenfalls niemals Mitstreiter_innen finden – denn sie haben immer wieder bewiesen, dass sie einem besseren Leben konsequent entgegen stehen.
Eine kritische Handreichung der Antifa Saar / Projekt AK anlässlich der Podiumsdiskussion „Ist die NPD überhaupt das Problem?“ am 21.12.2011 in Saarbrücken.
Kontakt: antifasaar@yahoo.de – www.antifa-saar.org – Tel.: 0175–1271105
Antifa Saar / Projekt AK
DIE Kompetenz in allen Fragen zu Neonazismus und extreme Rechte im Saarland!