Rote Hilfe Zeitung 01/2006
Kein Stein des Anstoßes? Wie eine Stadt sich nicht erinnern will
Saarlouis erstreitet 134,50 Euro — für das Entfernen eines Gedenksteins. Nur um nicht daran erinnern zu müssen, daß 1991 hier der Flüchtling Samuel Yeboah ermordet wurde
Man gibt sich gerne weltoffen und kokettiert ungeniert mit dem “Saarvoire vivre”, schließlich verspricht in Saarlouis schon der Name französisches Flair. 40.000 Einwohner, das Herz von Marchall Ney, den Napoleon wegen Verrats hinrichten ließ, eine Einkaufs- und Flaniermeile mit eleganten Boutiquen und schicken Restaurants und eine Altstadt, deren Kneipen ihren Teil zum Ruf der “heimlichen Hauptstadt” des Saarlands beigetragen haben, sollen Besucher locken. Doch kein Idyll ist vollkommen, zwischen Blumenkübeln und Biergärten hat es braune Stellen. Saarlautern, wie die Rechten die Stadt nach der offiziellen Bezeichnung aus dem “Dut-zendjährigen Reich” immer noch nennen, gilt als faschistische Hochburg und Organisationsschwerpunkt der regionalen neofaschistischen Szene an der Saar.
Dieser braune Sumpf kostete in der Nacht vom 18. auf den 19. September 1991 ein Menschenleben. Bei einem Brandanschlag auf eine Asylbewerberunterkunft starb der 26jährige Samuel Yeboah. Damit wurde dem im Saarland lebenden Ghanaer eine makabere Ehre zuteil: er war nach der Wiedervereinigung das erste Todesopfer rassistischer Übergriffe in den alten Bundesländern. Er blieb nicht das letzte. Dies hielt die Regierung, die damals noch in Bonn saß, nicht von der faktischen Abschaffung des Grundrechts auf Asyl ab.
Obwohl auf Hinweise, die zur Ergreifung des Täters führen sollten, eine Belohnung von 20.000 DM ausgesetzt wurde, konnten die Mörder nie gefaßt werden, es kamen keine Hinweise aus der Bevölkerung. Daran änderte auch eine Demonstration von antifaschistischen Gruppen, die an den Tod von Samuel Yeboah erinnerte, nichts. Andere Dinge dagegen änderten sich sehr wohl: Dank der von offizieller Seite verfolgten Strategie der “akzeptierenden Sozialarbeit” wuchs in den kommenden Jahren die Neonaziszene in “Saarlautern” beträchtlich an. Fünf Jahre nach dem Tod von Samuel Yeboah zogen die Rechten mit 100 Mann durch die Saarlouiser Innenstadt — die erste, aber bei weitem nicht die letzte Demonstration rechtsextremer Gesinnung am Ort. Zynisch vor diesem Hintergrund der Kommentar des zuständigen Sozialarbeiters, der meinte, es sei besser, die Nazis würden “durch die Stadt marschieren, statt Häuser anzuzünden.” In den folgenden Jahren kam es immer wieder zu Zusammenstößen und massiven Auseinandersetzungen zwischen antifaschistischen Gruppen, die zum fünften Jahrestag des Todes von Samuel Yeboah eine Gedenkkundgebung veranstaltet hatten, und den neuen Nazis. Die konnten ihre Stellung in “Saarlautern” halten und ausbauen. Dabei kam ihnen auch zugute, daß man von offizieller Seite den Antifa-Gruppen entgegen arbeitete, die Bündnisgrünen ihnen die angemieteten Räumlichkeiten kündigten und die linken Gruppen massiver Repression ausgesetzt waren. Obwohl sich die Antifa Saarlouis danach auflöste, gab es auch in den nächsten Jahren immer wieder einzelne Veranstaltungen.
Eine der größten Aktionen war die Kundgebung zum 10. Todestag von Samuel Yeboah. Mehr als 150 Menschen waren den Aufrufen der Antifa Saar und weiterer Gruppierungen gefolgt und trafen sich in der Saarlouiser Innenstadt. Nach dem Ende der Kundgebung formierte sich eine spontane Demonstration zum Rathaus. Dort wurde von nicht erkannten Demonstranten eine Steinplatte an der Fassade des Gebäudes angebracht, die an den jungen Mann erinnern sollte, der Asyl gesucht hatte und im Saarland durch einen Brandanschlag gestorben war.
Die massive Steinplatte, die offensichtlich in professioneller Ausführung von einem Steinmetz angefertigt worden war, trug die Inschrift “IN ERINNERUNG AN SAMUEL YEBOAH, FLÜCHTLING AUS GHANA, AM 19.9.1991 DURCH EINEN RASSISTISCHEN BRANDANSCHLAG IN SAARLOUIS ERMORDET”.
Mit dieser Art von Erinnerung konnten allerdings die Verantwortlichen im Saarlouiser Rathaus nicht viel anfangen. Nur wenige Stunden hing die Gedenktafel für den ermordeten Ghanaer, bis Oberbürgermeister Fontaine (CDU) sie entfernen ließ. Doch genügte es dem Stadtoberhaupt nicht, die Mahnung zu beseitigen, es erstattete Strafanzeige gegen den Anmelder der Antifa-Kundgebung. Konsequenz: Eine Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 20 Euro wurde verhängt.
Als Begründung heißt es im Strafbefehl: “Die Staatsanwaltschaft beschuldigt Sie, am 19.9.2001 in Saarlouis gemeinschaftlich rechtswidrig öffentliche Denkmäler beschädigt oder zertsört zu haben, indem sie zwischen 19.15 Uhr und 19.30 Uhr aufgrund eines gemeinsam gefassten Tatentschlusses zusammen mit unbekannten Mittätern im arbeitsteiligen Verhalten an die unter Denkmalschutz stehende Rathausfassade im Eingangsbereich eine rote Sandsteinplatte 40 x 40 cm groß und ca. 8 kg schwer, mittels eines schnell härtenden Spezialklebers anbrachten, die in der Folge nur durch den kraftvollen Einsatz von Werkzeugen entfernt werden konnte, wobei die Rathausfassade beschädigt wurde”, “Vergehen gemäß §§ 303, 304, 25 II StGB” (Rechtschreibfehler im Original).
Dabei hat die heimliche Hauptstadt des Saarlands kein prinzipielles Problem mit Gedenktafeln für Verstorbene: An den General Paulvon Lettow-Vorbeck, dessen Geburtsort zu sein sich die Stadt geschmeichelt rühmen darf, erinnert sehr wohl eine Tafel. Gut sichtbar in der Fußgängerzone, an dem Haus in dem Lettow-Vorbecks Wiege stand, kann der geneigte Spaziergänger folgende Lobeshymne lesen: “Der unbesiegte ritterliche Verteidiger Deutsch-Ostafrikas im Weltkriege 1914–1918 General von Lettow-Vorbeck wurde am 20. 3. 1870 in diesem Hause geboren.” General Paul von Lettow-Vorbeck war 1904 maßgeblich an der gezielten Ermordung von tausenden Hereros im heutigen Namibia beteiligt und im 1. Weltkrieg verantwortlich für den verlustreichen Hinhaltekrieg in Deutsch-Ostafrika, dem heutigen Tansania — was aber nicht auf der Tafel vermerkt ist.
Gegen den Strafbefehl ließ der Beklagte durch seinen Anwalt Einspruch einlegen. Breite Unterstützung fand er dabei durch die Anitfa Saar und weitere Gruppierungen, die Unterschriften sammelten, offene Briefe verfaßten, flächendeckend Plakate mit dem Bild der entfernten Gedenktafel klebten, Flugblätter verteilten und Veranstaltungen organisierten. Durch diese Aktionen wurde eine Öffentlichkeit hergestellt, die zumindest dafür sorgte, daß die Stadt Saarlouis die Gedenktafel herausgab, der Forderung nach Einstellung des Verfahrens kam man indes nicht nach.
Und so fand im Juni 2003 in Saarlouis der Strafprozeß statt. Die Sicherheitsvorkehrungen waren streng, doch das konnte die große Gruppe von mehr als 60 Personen nicht abschrecken, die durch Anwesenheit Unterstützung demonstrierte. Demonstriert wurde an diesem Tag im Gerichtssaal in Saarlouis noch mehr — nämlich politisches Bewußtsein. Der Angeklagte nutzte die Gelegenheit, um ein Statement abzugeben, damit konnte sich allerdings der Richter nicht anfreunden und versuchte die Erklärung zu unterbinden.
Ein Unterfangen, daß den lautstark bekundeten Unmut der anwesenden Freunde, Bekannten und Unterstützer hervorrief, was wiederum zum Abbruch der Verhandlung führte. Er lasse aus seinem Gerichtssaal keine Showbühne für die Antifa machen, begründete der Richter sein Vorgehen. 18 Monate später wurde das Verfahren dann eingestellt. Eigentlich hätte das der Schlußpunkt in diesem Trauerspiel um das verweigerte Erinnern sein müssen, doch so schnell wollten die Verantwortlichen im Rathaus sich nicht geschlagen geben. Es wurde Zivilklage erhoben, um die Kosten für das Entfernen der Tafel einzutreiben.
Und so wurde am 6. Oktober 2005 erneut über die unerwünschte Gedenktafel für den ermordeten Asylbewerber Samuel Yeboah verhandelt. Diesmal allerdings in Saarbrücken und nicht in Saarlouis. Knapp drei Wochen später erging das Urteil: 134,50 Euro sollte der junge Mann, der vor mehr als vier Jahren in Saarlouis eine Veranstaltung gegen das Vergessen angemeldet hatte, an die Stadt bezahlen. Eine Summe, die laut Presseerklärung, die “Aktion 3. Welt” übernimmt, die damit verbunden zu Spenden auf ein eigens eingerichtetes Konto aufruft. 2006 jährt sich der gewaltsame Tod des jungen Afrikaners zum fünfzehnten Mal. Doch auch das ist noch immer kein Grund für die Stadt “Saar-lautern”, irgendwo an die Nacht zu erinnern, in der das Asylbewerberheim brannte. So als wäre es nicht geschehen, wenn man nur nicht darüber spricht…
Antifa Saar weitere Infos: www.antifasaar.de.vu
Die Rote Hilfe unterstützte den Betroffenen im ersten Prozeß, dem Strafverfahren. Für das Zivilverfahren um die Kosten der Entfernung der Gedenktafel kann die Rote Hilfe laut ihrer Satzung keine Unterstützungszahlungen leisten, ruft aber zu Spenden auf das Konto der Initiative auf:
Spenden
Spendenkonto für Prozeß- und Anwaltskosten
Verein für kommunikatives Wohnen & Leben Kontonummer: 900 11 537
BLZ: 590 501 01 Sparkasse Saarbrücken
Verwendungszweck: Gedenktafelprozeß