Offen verbalisierter Antisemitismus ist in der deutschen Öffentlichkeit wieder salonfähig. Antisemitische Attacken eines Walser, Möllemann oder des Bundestagsabgeordneten Hohmann sind jedoch lediglich die öffentlich diskutierten Ausdrücke einer schwelenden Stimmung. Die bekannten Protagonisten sprechen allzu oft den Durchschnittsdeutschen aus dem Herzen. So, wenn wie im Fall Hohmann Juden als “Tätervolk” bezeichnet werden. Dem Satz “Aussagen wie Hohmann sie gemacht hat, müssen heute möglich sein” stimmen immerhin 42 Prozent der Deutschen nach einer “Causa-Umfrage” zu. Die heutige Form des deutschen Antisemitismus speist sich häufig aus dem Bedürfnis nach einer Normalisierung der eigenen Geschichte. Juden und jüdisches Leben erinnern an die deutsche Vernichtungspolitik, wovon die meisten Deutschen nichts mehr wissen wollen. Auf geradezu perverse Weise werden diejenigen, die den Massenmord überlebt haben sowie deren Nachfahren erneut zum Hassobjekt, eben weil sie an die deutsche Tat erinnern. Kein Wunder also, dass nach 1989, seitdem das vereinte Deutschland wieder an die Weltspitze will, der Ruf nach einem “Schlussstrich” immer lauter wird. Im Zuge der von Martin Walser ausgelösten Schlussstrichdebatte und der Frage nach Zwangsarbeiterentschädigung gab es weitestgehenden Konsens in der deutschen Gesellschaft: Man hat genug gebüßt und gezahlt, die Opfer sollen endlich die Klappe halten.
Dass dieser Konsens Generationen übergreifend ist, bestätigte der Star-DJ “Dr. Motte”.
“Dies ist ein Aufruf an alle Juden der Welt: Sie sollen mal eine andere Platte auflegen und nicht immer rumheulen”, so der populäre Mitinitiator der Berliner Love-Parade.
Während der Entschädigungsdebatten Ende der 90-er stellten sich deutsche Politik und Industrie allzu gerne als Opfer dar. Die Gegenseite wurde in Tageszeitungen immer wieder mit antisemitischen Stereotypen versehen. So glaubte etwa die Zeitschrift “Der Spiegel” hinter den Opferverbänden “raffgierige” New Yorker Anwälte entdeckt zu haben. Auch die “Süddeutsche Zeitung” veröffentlichte Artikel, in denen sie die Opferanwälte als “Haifische im Anwaltsgewand” oder “Weltpolizei” titulierte, welche den Holocaust benutze, um die Deutschen finanziell auszubeuten. Der von Hendrik Broders geprägte Satz, “dass die Deutschen den Juden Auschwitz nie verzeihen” wird aufs zynischste bestätigt.
Auch wenn die bekennende Naziszene längst kein Monopol auf Judenhass besitzt, fällt es dieser, innerhalb eines solchen gesellschaftlichen Klimas, leichter, den Volksmob zu aktivieren. Zum Beispiel wenn zum Protest gegen den Bau einer Synagoge aufgerufen wird. So geschehen im März diesen Jahres in Bochum. Deutlicher kann nicht zum erneuten Angriff auf jüdisches Leben in Deutschland geblasen werden.
Nicht mehr nur der einzelne Jude als Teil einer Verschwörung wird benannt, diffamiert und bekämpft, sondern der jüdische Staat, Israel. In Anbetracht der nahezu vollständigen Vernichtung der jüdischen Bevölkerung Europas war vorerst Büßerhemd und verordnetes Schweigen angesagt. Freilich war die Abnahme des offiziellen Antisemitismus nicht darin begründet, dass es einen strikten Bruch gegeben hätte. Nein, gesellschaftliche Bedingungen des Antisemitismus und die Virulenz antisemitischer Ideologie sind geblieben. Man hielt sich aus einem anderen Grunde vorerst zurück: nachdem man in Fabriken den Massenmord organisiert und Europa in Scherben geschlagen hatte, galt es sich nach 1945 klein zu halten, um mittelfristig wieder in der Weltpolitik mitmischen zu können.
Ein Ersatzobjekt fürs antisemitische Ressentiment war jedoch schnell gefunden: Israel, durch dessen staatliche Präsenz man nun glaubte nachweisen zu können, dass die Juden in Israel die wahren Täter seien.
Moishe Postone‘s Erkenntnis, dass “der Antisemitismus im Antizionismus enthalten ist, wie das Gewitter in der Wolke” geht den Feinden Israels logischerweise ab.
Im restlichen “old europe” sieht die Lage nicht wesentlich besser aus. Durch eine von der EU in Auftrag gegebenen Umfrage sollte ermittelt werden, welches Land “die größte Gefährdung für den Weltfrieden darstellt”. Das Ergebnis spricht Bände: 59% der EU Bürger betrachten das kleine und immer mehr isolierte Israel als die größte Gefahr für den Weltfrieden, nicht etwa ein deutsch-dominiertes “Kern-Europa”.
Was in den Köpfen der EU-Bürger so rumspukt ist auch Teil der offiziellen Politik der Europäischen Union. In diesem Sinne ist der EU-Parlamentarierein Ilka Schröder wohl zuzustimmen, die den zunehmenden “europäischen Antisemitismus als eine Folge der offiziellen Haltung der EU gegenüber Israel” begreift.
So hat die EU in den Jahren 2000–2001 der palästinensischen Autonomiebehörde 330 Millionen Euro zukommen lassen, ohne hören zu wollen, was mit dem Geld passiert.
Dass auch durch diese Gelder der Terrorkrieg gegen Israel geführt und antisemitische Propaganda zum Beispiel in Schulbüchern finanziert wird, scheint den EU-Akteuren egal zu sein. Dabei dürfte jedem halbwegs Informierten der Schulterschluss zwischen der palästinensischen Autonomiebehörde und Terrororganisationen wie der Hamas nicht entgangen sein. Folglich ist nicht auszuschließen, dass die jüngsten Terroranschläge durch Steuergelder der EU — zumindest indirekt — mitfinanziert wurden.
Kein Wunder also, dass die antisemitische Vernichtungs-Gesinnung und Politik der Hamas öffentlich verharmlost wird, wie beispielsweise im Sommer letzten Jahres noch von Reijo Kempinnen, dem Sprecher der EU-Kommission. “Dass die Hamas in Gänze eine Terrororganisation sei, ist gewiss nicht unsere Position” so Kempinnen, der diese Aussage damit begründet, dass die Hamas auch soziale Dienste und Kliniken betreibe. Einen solchen Sprachgebrauch kennt man auch hierzulande nur zu gut. Noch heute wird auf “Hitlers Autobahnen” verwiesen, wenn es darum gehen müsste, kritische Selbstbesinnung zu üben.
Gleichzeitig werden die EU-Moralisten nicht müde, Israel zu verurteilen und nach jedem weiteren Terrorschlag einen Palästinenserstaat zu fordern, was der Tötungspolitik im Nachhinein einen barbarischen Sinn verleiht.
Noch nie hatte Antisemitismus, wie auch Rassismus etwas mit den tatsächlichen Eigenschaften oder dem Verhalten der Opfer zu tun. Folglich hat es weder eine “Juden”- noch eine “Ausländerfrage” zu geben. Das Problem muss bei den Antisemiten und Rassisten gesucht und bekämpft werden, nicht bei deren Opfern.
Seit Beginn der Al-Aqsa-Intifada 2000 und den Anschlägen auf das WTC 2001 ist Israel immer offener in den Fokus einer internationalen Allianz geraten, die vor direktem Terror gegen Israel nicht mehr zurückschreckt. Parallel zu den genannten Ereignissen ist eine Reihe weltweiter, antisemitischer Gewalt gegen jüdische Einrichtungen und Menschen entbrannt, insbesondere auch innerhalb der europäischen Staaten.
Genau das bekam auch die EUMC bei einer in Auftrag gegebenen Untersuchung heraus.
So konnte innerhalb Europas ein starker Anstieg von Angriffen gegen jüdische Einrichtungen und gegen Juden festgestellt werden. Besonders in Frankreich, Belgien, den Niederlanden und Großbritannien scheinen gewaltsame Übergriffe, so ein Tenor der Ermittlung, keine Ausnahme mehr darzustellen. Wie reagierte die EUMC, ein Organ der EU auf die erschreckenden Entwicklungen? Nicht etwa alarmiert, wie man annehmen könnte. Nein, sie verhinderte kurzerhand die Veröffentlichung der Untersuchung mit fadenscheinigen Begründungen.
Eine weitere international vernetzte Bewegung lässt ebenfalls von sich hören, allerdings nicht durch ernstzunehmende Kapitalismuskritiken als vielmehr durch die Verbreitung platter antiamerikanischer, antizionistischer und offen antisemitischer Ressentiments: die so genannte globalisierungskritische Bewegung. Freilich ist dieser Verein keine homogene Masse, dennoch sollten sich jene, die entschuldigend auf den Pluralismus der Bewegung hinweisen, bedenken, wo eine kapitalismuskritische Politik aufhört und wo der reaktionäre Antikapitalismus anfängt, bei dem Politik als “Geisel der Finanzmärkte” verstanden wird und die ausschließliche Kritik an multinationalen Konzernen, der USA und Israel mehr zur Verschleierung als zur Aufklärung beiträgt. Zudem gipfelt dieses Politikverständnis nicht selten in einem verschwörungstheoretischen Weltbild.
Spätestens, wenn, wie in Kopenhagen beim EU-Gipfel von den Hauptorganisatoren zum “umfassenden Boykott Israels” aufgerufen wird, auf einer Attac-Veranstaltung in Köln die Politik Israels mit den Verbrechen der NS-Politik im Warschauer Ghetto gleichgesetzt wird, sich in Davos Menschen mit Masken von US-Politikern einen gelben Judenstern anheften, um auf diese ekelhafte Weise auf ein verschwörerisches Zusammenspiel von USA und jüdischer Lobby hinzuweisen oder italienische No-Globals einen Fahnenzug mit “Intifada, Intifada”- Rufen um das ehemalige jüdische Ghetto in Rom inszenieren und zum Abschluss des Sozialforums in Florenz ein Fahnenmeer von Palästina-Fahnen durch die Stadt zieht, dann sind das keine einzelnen Wirrköpfe mehr.
Auch saarländische Gruppen konnten ähnliche Erfahrungen sammeln. Genossen von der ADW wurden beim Europäischen Sozial Forum in Paris gewaltsam daran gehindert Flugblätter zu verteilen, in denen das Existenzrechts Israels bekräftigt wurde. Mitglieder unserer Gruppe sahen sich — ebenfalls beim Verteilen von Flugblättern, in denen eine Kritik am Antiamerikanismus und Nationalpazifismus der Friedensbewegung formuliert wurde — zu Beginn des Irakkrieges mit aufgebrachten Schülern konfrontiert, die in den Genuss kamen, mal nicht zur Schule zu müssen, um stattdessen regierungsfreundliche Demonstrationen besuchen zu können.
Ein weiteres Phänomen der hiesigen Bewegungslinken ist die ständige Hofierung des populistischen Vulgärökonomen Oskar Lafontaine, der sich dadurch hervortut, dass er immer wieder durch latent antisemitische Aussagen und unreflektierten Antiamerikanismus auffällt. Dieser meinte letzten Monat während einer Friedensdemo in Ramstein, verständnisvoll über islamistischen Terror schwadronieren zu müssen.
Leider sind die genannten Beispiele, die nach Belieben erweitert werden könnten, keine Ausnahmen, sie sind lediglich die immer öfter auftretenden Höhepunkte eines reaktionären Antikapitalismus, der nichts, aber auch gar nichts mit Emanzipation zu tun hat.
Will man sich nicht der Mittäterschaft überführen lassen, sind klare Trennungen und Distanzierungen notwendig, auch wenn man sich an das wohlige Gefühl gewöhnt hat, in der Masse der Globalisierungskritischen und Friedensbewegten mitzulatschen: “So oder so” sang einmal der Liedermacher Franz Josef Degenhardt. Eine Entscheidung tut Not.
Jean Paul Sartre schrieb im Jahre 1946 “Kein Franzose wird in Sicherheit sein, solange noch ein Jude in Frankreich und in der ganzen Welt um sein Leben wird fürchten können.” Der schöne Satz hat heute, fast 60 Jahre später, eine Erweiterung zu erfahren; denn kein Mensch wird in Sicherheit sein, solange auch nur ein Jude um sein Leben wird fürchten müssen. Der Kampf gegen Antisemitismus und Faschismus ist die Bedingung jedweder Emanzipation.
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