Interview mit Abdul, überlebender des Brandanschlags vom 19. September 1991 in Saarlouis

NSU-Watch Aufklären & Einmischen #72. Vor Ort mit Abdul S., Kristin Pietrzyk und Ursel. Gegen Rassismus, Antisemitismus und rechte Gewalt im Saarland. Schwerpunkt: Der Mord an Samuel Yeboah am 19. September 1991.

Quelle:
https://www.nsu-watch.info/podcast/nsu-watch-aufklaeren-einmischen-72-vor-ort-mit-abdul-s-kristin-pietrzyk-und-ursel-gegen-rassismus-antisemitismus-und-rechte-gewalt-im-saarland-schwerpunkt-der-mord-an-samuel-yeboah-am-19-se/

Karo: Hal­lo und her­zlich willkom­men zur 72. Folge von “Aufk­lären und Ein­mis­chen”, dem Pod­cast über den NSU Kom­plex, recht­en Ter­ror und Ras­sis­mus. Und auch her­zlich willkom­men zur 21. Folge von „Vor Ort”: gegen Ras­sis­mus, Anti­semitismus und rechte Gewalt. Das ist die Pod­cast Rei­he, die wir seit über einem Jahr gemein­sam mit dem Ver­band der Beratungsstellen für Betrof­fene ras­sis­tis­ch­er, anti­semi­tis­ch­er und rechter Gewalt machen und die ich gemein­sam mit Heike Kleffn­er moderiere.

Hal­lo Heike.

Heike: Hal­lo Karo und hal­lo an alle, die uns zum ersten Mal hören oder uns wieder zuhören. Mit dieser Folge, das glaube ich kann man wirk­lich sagen, machen wir eine ganz beson­dere Folge, weil erst­mals nach 30 Jahren ein Über­leben­der des Bran­dan­schlags in Saar­louis auf eine Geflüchtete­nun­terkun­ft sprechen wird. Abdul hat den Bran­dan­schlag am 19. Sep­tem­ber über­lebt, gemein­sam mit 17 anderen Men­schen. Und ein Men­sch ist bei diesem ras­sis­tis­chen Bran­dan­schlag gestor­ben — Samuel Kofi Yeboah. Und wir wid­men den gesamten Pod­cast dem Mord an Samuel Kofi Yeboah und den 18 Über­leben­den dieses Brandanschlags.

Karo: Dazu haben wir drei Kapi­tel für euch aufgenom­men. Wir sprechen also im ersten Kapi­tel mit Abdul, der den Bran­dan­schlag über­lebt hat, der mit uns auch seine Erin­nerun­gen an Samuel Yeboah teilt. Wir sprechen dann mit sein­er Anwältin Kristin Pietrzyk und im drit­ten Kapi­tel sprechen wir mit Ursel, sie ist anti­ras­sis­tis­che Aktivistin aus dem Saarland.

Heike: Her­zlich willkom­men, Abdul, und her­zlichen Dank, dass du bei uns im Pod­cast zu Gast bist.

Abdul: Hal­lo.

Heike: Abdul, du hast vor 30 Jahren den Brand­schlag auf dich und eure Unterkun­ft in Saar­louis über­lebt, was kannst oder willst du den Hörer:innen von unserem Pod­cast zu deinen Erin­nerun­gen an diese Nacht im Sep­tem­ber 1990 sagen?

Abdul: Ja, ich habe das erlebt und das war eine schlimme Zeit gewe­sen und auch ein schlim­mer Tag. Ich glaube, das war ein Woch­enende gewe­sen, Fre­itag oder Sam­stag eines von bei­den. Wir haben nor­mal am Mit­tag gear­beit­et, und abends sind wir daheim gewe­sen mit den anderen Mit­be­wohn­ern. An dem Tag — ich erin­nere mich — war ich mit einem Kol­le­gen in meinem Zim­mer – er war bei mir im Zim­mer — und wir haben lange Gespräche geführt und Spaß gehabt und so weit­er … und dann kam das Schlimm­ste, was dann passieren kann.

Heike: Welche Erin­nerung hast du an Samuel Yeboah?

Abdul: Ja, der Samuel Yeboah, der war ehrlichge­sagt nicht wirk­lich ein richtig enger Fre­und von mir, aber ich kan­nte ihn, er war der Haus­meis­ter, und wir haben ihn oft um Hil­fe gebeten. Damals, als wir neu angekom­men sind, braucht­en wir z.B. jemand, der für uns über­set­zt, denn wir kon­nten die Sprache nicht. Und er hat uns wirk­lich geholfen. Plus, wie gesagt, er war der Haus­meis­ter, und wir braucht­en z.B. Matratzen, Bet­ten, und Regale, und Waschmaschi­nen, er hat uns gezeigt, wie das alles geht und uns Sachen gebracht. Ich habe wirk­lich — wie gesagt — nicht eine so sehr enge Beziehung zu ihm gehabt, aber er war immer für uns da und er war sehr, sehr, sehr lieb und fre­undlich und hilfsbereit.

Heike: Und kannst du etwas [darüber] sagen, wie ihr das mit­bekom­men habt, dass diese unbekan­nten Täter das Haus, in dem ihr gelebt habt, in Brand geset­zt haben?

Abdul: Ja, an dem Tag waren wir – wie ich gesagt habe — zusam­men. Wir arbeit­eten immer zusam­men. Wir haben im Betrieb­shof hier in Saar­louis gear­beit­et. Jeden Tag 8 Stun­den, für 2 Euro die Stunde, 2 Mark damals. Wir sind müde heimgekom­men, wir haben uns noch Mit­tagessen gemacht, oder Aben­dessen — jed­er in seinem Zim­mer — und wir haben tief geschlafen.

Gegen vier Uhr oder kurz nach vier, höre ich, wie jemand an meine Tür klopft — sehr, sehr, sehr laut und schnell und ich habe gewusst, es ist was passiert. Also habe ich die Tür aufgemacht und sehe nur Rauch rein kommen.

Bei mir, wo ich wohnte — ich habe in der vierten oder sog­ar fün­ften Etage gewohnt – gab es eine kleine Ter­rasse draußen. An dieser Ter­rasse gab es eine Ret­tungsleit­er und ich wollte am Anfang vom fün­ften Stock runter sprin­gen, weil ich Angst gehabt hat­te, weil Rauch kam und auf der Treppe Feuer war.

An dem Abend — ich erin­nere mich — war ich nackt, ich hat­te nur [eine] Unter­hose an gehabt. Eine Nach­barin, die Ital­iener­in, sie war aus Ital­ien, ist zu uns gekom­men und hat direkt [Alarm] geben. Sie ist [uns] holen gegangen.

Vor dem Haus waren dann Haufen von Polizei und Feuer­wehr und Ret­tungs­di­enst und wir haben gehört, jemand schre­it um Hil­fe. Wir haben [uns] gefragt, wer da über­haupt [noch drin] ist, weil die anderen aus der zweit­en Etage run­terge­sprun­gen waren.

Aha. Auf jeden Fall war das Samuel Yeboah. Wir haben alle gerufen: „Spring, spring, spring!“, aber er ist nicht gesprun­gen. Er schrie laut: „Hil­fe, Hil­fe, Hil­fe, ich sterbe!“ Er hat das auch auf Englisch gesagt [gerufen]: „I am dying, please, please help me!“

Jeden­falls ist der Ret­tungs­di­enst hoch gegan­gen und hat ihn geholt, ja, aber er hat sehr, sehr, sehr, sehr schlecht aus­ge­se­hen, und sie haben ihn direkt ins DRK Kranken­haus mitgenom­men und uns haben sie in ein Haus gebracht. Nach zwei Stun­den sind wir ins Kranken­haus gegan­gen — ich bin ehrlich [gesagt] nicht rein gegan­gen -, aber die anderen sind ihn alle in seinem Zim­mer besuchen gegan­gen, [dann sind] sie [zurück]gekommen und haben gesagt, es sieht sehr schlecht aus. Nach ein­er Stunde haben [wir] gehört, dass er gestor­ben ist.

Lei­der hat uns an dem Tag kein­er geholfen, aber wir haben die Nachricht bekom­men, wir sollen alle zur Polizeis­ta­tion gehen. Wir wur­den gefragt, was passiert ist. Also sind wir zu der Polizei gegan­gen und ich glaube, wir sind über drei Stun­den dort­ge­blieben und jed­er hat­te Angst, jed­er dachte, er ist schuldig, wir fühlten uns wie schuldige Men­schen. Also sind wir dort hinge­gan­gen, und ein­er nach dem anderen ging rein ins Zim­mer und wurde befragt. Aber was die gefragt haben! Was ist passiert? Wo hast du gewohnt? Was hast du gese­hen? Ein­fach so kleine Fra­gen, aber kein­er hat uns zu essen oder trinken gegeben, obwohl wir unsere Sachen alle im Zim­mer gelassen hat­ten — ob Essen, ob Klei­der ob andere Sachen, ja? Wir haben nur Parac­eta­mol und so Sachen [andere Medika­mente] gegen Kopf­schmerzen und so bekom­men, aber son­st haben wir keine Hil­fe gehabt.

Heike: Und hast du — oder ihr — habt ihr danach jemals wieder etwas von der Polizei oder von der Jus­tiz, also von der Staat­san­waltschaft und [von] einem Gericht, gehört, habt ihr jemals wieder Kon­takt zur Polizei gehabt?

Abdul: Nein. Sie haben uns nur ein­mal ange­hört, als sie das Inter­view macht­en und seit­dem haben wir nichts gehört, nichts gese­hen, nix. Aber ein paar Saar­louis­er haben uns immer geholfen, aber im Gericht oder so oder bei Anwäl­ten waren wir nicht.

Heike: Wie präsent war Ras­sis­mus, als du als Asyl­suchen­der nach Deutsch­land, nach Saar­louis, gekom­men bist und hat sich das seit damals verän­dert oder ist das gleichgeblieben?

Abdul: Das ist gle­ichge­blieben, es hat sich nichts verän­dert, alles gleichgeblieben.

Heike: Wer hat euch eigentlich dann in den let­zten drei Jahrzehn­ten unter­stützt oder geholfen und was ist mit den anderen Über­leben­den passiert?

Abdul: Ja, gut, die anderen. Es gab noch einen aus Ghana – Samuel Yeboah war auch aus Ghana – und der ist aus der zweit­en Etage gesprun­gen, brach sich dabei seinen Fuß und musste ins Kranken­haus, wurde operiert – aber lei­der nicht richtig. Danach wurde er direkt in seine „Heimat“ abgeschoben. Alle anderen wur­den auch abgeschoben. Im Saar­land übrig sind nur noch drei.

Heike: Und gibt es Men­schen oder Organ­i­sa­tio­nen, die euch oder…

Abdul: Die gab es, ja. Es gibt einen Anwalt, zwei oder drei Damen und noch einen Mann. Sie haben uns geholfen. Was heißt geholfen: Sie haben uns mit der deutschen Sprache geholfen und sie haben uns öfter raus­ge­holt – zum Spazierenge­hen und für Sachen, die Spaß machen, ein biss­chen Ablenkung, ja. Aber eine wirk­lich große Hil­fe habe ich nicht mit­bekom­men in dieser Rich­tung [Unter­stützung durch Organ­i­sa­tio­nen], aber diese Pri­vat­per­so­n­en haben uns moralisch geholfen.

Heike: Und jet­zt: Wie hast du davon erfahren, dass plöt­zlich die Gen­er­al­bun­de­san­waltschaft die Ermit­tlun­gen nach den Tätern wieder neu aufgenom­men hat?

Abdul: Ja, ich hab das gehört.

Heike: Welche Erwartun­gen und Forderun­gen hast du?

Abdul: Es gibt (ich habe) keine Hoff­nung. Ehrlich gesagt, gibt es keine Hoff­nung, denn nach 30 Jahren – nach 30 Jahren! 30 Jahre sind richtig lang und kein­er hat was richtig Neues her­aus­bekom­men. Wir haben nur gehört, dass es einen Verdächti­gen gibt, aber son­st nichts. Deswe­gen habe ich gesagt, es gibt keine Hoffnung.

Heike: Und wart ihr euch von Anfang sich­er, dass es Nazis waren, die den Bran­dan­schlag verübt haben?

Abdul: Ja. Das haben wir gewusst. Aber wer, wussten wir nicht. Es gibt viele Leute, die sind ver­let­zt, die einen Schaden abbekom­men haben, ob kör­per­lich, moralisch, ob psy­chisch. Und nach 30 Jahren, nach so langer Zeit, haben wir kein gutes Gefühl was zu erreichen.

Heike: Und wün­schst du dir oder wün­scht ihr euch, dass es ein öffentlich­es Gedenken und Erin­nern an Samuel Yeboah gibt?

Abdul: Ja, klar, ja klar, wirk­lich. 30 Jahre! Man kann das wirk­lich nicht vergessen, wie ich eben gesagt habe. Wenn man z.B. die Polizei vor­beifahren hört oder den Ret­tungs­di­enst oder die Feuer­wehr, kriegt man wirk­lich Angst. Aber wir haben auch [kör­per­liche] Prob­leme bekom­men: Seit­dem trage ich Tag und Nacht [eine] Brille. Früher hat­te ich nie Prob­leme mit [den] Augen. Nun habe ich auch Höhenangst, seit dem Tag bis jet­zt. Ja, es ist nicht ein­fach. Man kann so ein Erleb­nis nicht vergessen.

Heike: Umso wichtiger ist es, dass du tat­säch­lich bere­it bist darüber zu sprechen, weil ich glaube, dass sehr viele Men­schen sich über­haupt nicht vorstellen kön­nen, was vor 30 Jahren passiert ist und welche große Ungerechtigkeit ihr erlebt habt.

Abdul: Ja, ich bin ein­er, ich vergesse nichts/wenig, ich habe ein gutes Gedächt­nis. Trotz­dem gibt es immer Sachen, die kann man auch mal vergessen, aber so etwas geht nicht aus dem Kopf. Ja, nor­maler­weise vergesse ich auch mal was. Durch dieses Gespräch füh­le mich in diese Tage zurück­ver­set­zt, es kommt alles vor mein [inneres] Auge.

Heike: Ja, das ist ja auch klar. Je näher der Jahrestag kommt, desto präsen­ter ist es natür­lich auch, ja. Und umso mehr wollen wir dir danken, dass du trotz­dem, obwohl es so schw­er ist, bere­it bist und mit uns darüber gesprochen hast.

Abdul: Bitte, bitte.

Heike: Wir wün­schen dir und den anderen Über­leben­den alles Gute und sehr viel Kraft.