eine Kurze Bestandsaufnahme und Analyse der Demonstrationen gegen die Maßnahmen zum Infektionsschutz
Seit knapp drei Wochen regt sich in Saarbrücken Protest gegen die Maßnahmen zum Infektionsschutz im Rahmen der Corona-Pandemie. Wir haben diese Proteste beobachtet und ziehen erste Schlüsse.
Alle haben Angst um die Wirtschaft, Verschwörungsdenken hat Hochkonjunktur
Generell kursieren zur Zeit viele Verschwörungserzählungen über das Coronavirus. Die Ideen reichen dabei von „Das Virus existiert gar nicht“ über „Das Virus ist im chinesischen Labor gezüchtet worden“ und „Das Virus ist ein Angriff von den USA und Großbritannien“ bis zu der Erzählung, das Coronavirus fungiere als Ablenkung und Vertuschung der Gefahr durch den Funkstandard 5G. In Saarbrücken erschienen am vergangenen Samstag auf der Demonstration gegen die Maßnahmen zum Infektionsschutz Schilder mit Aufschriften wie „Für freie Impfentscheidung“, „Stop Virus Diktatur“, „Freiheit keine Diktatur auch für die Impfentscheidung“ , „Immunitätspass? Denkpass!“. Dabei gibt es noch gar keinen Impfstoff. Und wer bitte hat denn von Zwang gesprochen außer denen, die sich davor fürchten? Genau: niemand. Und dass in einer Gesellschaft bestimmte Regeln gelten, bedeutet nicht, dass Diktatur herrscht.
Auf der Demonstration tauchten außerdem Schilder auf mit dem Slogan „Gib Gates keine Chance“. Das mag zuerst zusammenhanglos erscheinen – ist es aber nicht. Besonders populär unter den aktuell zu Corona kursierenden Verschwörungsideen sind verschiedene Spielarten der Erzählung, Bill und Melinda Gates steuerten die WHO, profitierten vom Virus und das alles sei eine Verschwörung der Impfindustrie. 18 Prozent der Deutschen glauben an ein Kernstück vieler Verschwörungstheorien über die Pharmaindustrie: den vermeintlichen Zusammenhang zwischen Impfungen und Autismus. Geschürt durch eine frühe Studie ist die Vermutung längst wissenschaftlich widerlegt. Trotzdem taugt sie noch immer, Menschen Angst vor angeblichen Zwangsimpfungen zu machen.
In einer solchen Melange wundert es auch nicht, dass von Teilnehmer_innen der Demonstration eine Website propagiert wird, auf der die Ausgangsbeschränkung zum Shutdown stilisiert wird, der weitaus mehr Leben kosten solle als die Infektion mit dem Coronavirus; da wird die nicht abschließend einschätzbare Sterberate relativiert – mit dem absurden Argument, dass sie noch gar nicht einschätzbar sei; da wird die unwürdige Frage gestellt, ob Menschen mit oder wegen Corona sterben. Der Schluss wird nahe gelegt: So lange wir nicht wissen wie schlimm es sei, sollten wir so tun, als wäre es nicht so schlimm, damit wir uns nicht einschränken müssen – dass dies potenziell auf Kosten anderer Menschen geschieht, ist kein Thema. Auch wenn die Seite sich an der Oberfläche differenziert-kritisch gibt: Im sogennanten Expertenteam finden sich schon auf den ersten Blick Personen, die schon vor längerer Zeit mit ihrem Verschwörungsdenken aufgefallen sind.
Wer macht da alles gemeinsame Sache?
Auf den Anti-Corona Demos, die wir bislang in Saarbrücken beobachten konnten, wurden wenig Inhalte transportiert. Sie bleiben damit offen für die Teilnehmer_innen, sie für sich selbst zu füllen – das lässt auch die Möglichkeit offen, sie mit jeder beliebigen Scheiße zu füllen. Verschwörungsgläubigen, die immerzu betonen für alles und jede_n offen zu sein, spielt diese Freiheit in die Hände. Hier können sie ihre Forderungen aus dem Bauch heraus in die Öffentlichkeit tragen und sich gegenseitig in ihren Meinungen bestärken. Wenn Marion Ritz-Valentin sagt, die Regierung hielte die „Bevölkerung wie eine Schafsherde in Schach“ verwendet sie ein von Verschwörungsgläubigen häufig genutztes Bild, in dem man sich selbst als erwacht zeichnet, alle anderen hingegen als „Schlafschafe“ abgetan werden. Die Rhetorik der Organisatorin der Samstagsdemos ist also durchaus die, die in diesem Milieu verwendet wird und Anklang findet. Auch wenn sie selbst Gewalt ablehnt, spricht sie damit genau diejenigen an, von denen sie sagt, sie wolle sie nicht auf der Demonstration haben: Menschen mit einer stark ausgeprägten Verschwörungsmentalität sind im Schnitt eher bereit, Gewalt anzuwenden. So wundert es denn auch nicht, dass Nazis sich davon angezogen fühlen und am vergangenen Samstag deutlich sichtbar an der Demonstration teilnahmen. Wer sich von nichts abgrenzen will, vermag sich eben auch nicht von nationalistischem Gedankengut abzugrenzen. Verschwörungsdenken, Nationalismus, Rassismus und Antisemitismus sind schon für sich genommen gefährlich und zusammen ergeben sie eine umso explosivere Mischung. Die rechten Attentäter in Halle (2019) und Hanau (2020) waren beide Anhänger von Verschwörungsmythen. Sich unpolitisch zu geben und zu behaupten, man sei „weder links noch rechts“ ist vor diesem Hintergrund faules Wasser auf die Mühlen der Extremismustheorie. Dass wir uns richtig verstehen: Das Gefährliche am Verschwörungsdenken ist nicht bloß seine Anziehungskraft auf Rechte. Es ist in sich selbst gefährlich, weil es Argumentation und Denken loslöst von allen Prinzipien, die die Überprüfung von Thesen in der Realität ermöglichen. Verschwörungsideen sind deshalb auch keine Theorien. Sie werden von ihren Anhänger_innen nicht auf den Prüfstand gestellt wie Theorien von Wissenschaftler_innen. Das mantraartige „Man wird sich ja mal fragen dürfen“ entzieht sich jeder auch nur ansatzweise wissenschaftlichen Prüfung. Auf diese Weise inszenieren Verschwörungsgläubige sich als wissende Minderheit. Belege für ihre Behauptungen liefern sie nicht. Damit verlangen Verschwörungsgläubige genau das, was sie anderen vorwerfen: Man muss ihnen schon ohne Überprüfung glauben, was sie sagen. Dabei zeigt sich zugleich, dass diese Verschwörungsideen in ihrem Kern auch immer antisemitisch aufgeladen sind: man glaubt an einen geheimen Masterplan von manipulativen Kräften, die über die Gesellschaft Kontrolle ausüben. Egal, ob dabei von angeblichen Finanzeliten, Jüd_innen oder einer sogenannten Neuen Weltordnung gesprochen wird.
Wieso sind Menschen anfällig für Verschwörungsglauben?
Dass Verschwörungsdenken gerade Hochkonjunktur hat, ist nicht verwunderlich. Wir sind derzeit mit einer verunsichernden Situation konfrontiert, mit einer recht neuen Gesundheitsbedrohung, sich von Tag zu Tag entwickelnden Informationen, vorläufigen wissenschaftlichen Erkenntnissen, Wissenschaftler_innen, die eingestehen diese Erkenntnisse weiter prüfen und sichern zu müssen, Anordnungen die sich schnell ändern – kurz, einer Situation, die nur schwer zu verstehen, geschweige denn zu kontrollieren ist. Menschen haben aber ein Bedürfnis nach Struktur und Kontrollempfinden. Wenn sie Kontrollverlust empfinden, neigen sie verstärkt dazu Muster zu erkennen, wo keine sind. Und Verschwörungserzählungen bieten eben solche Muster. Auf diese Weise inszenieren Verschwörungsgläubige sich als wissende Minderheit und befriedigen damit ein weiteres Bedürfnis, ihren Wunsch nach Einzigartigkeit: Neben dem Empfinden von Kontrollverlust ist dieser Wunsch ganz individuell, ganz einzigartig zu sein ein wichtiger Risikofaktor für Verschwörungsglauben.
Es gibt berechtige Kritik an den Maßnahmen zum Infektionsschutz
Dabei kann man, wenn man etwas nachdenkt – und dabei nicht allein an sich selbst und die eigene, persönliche Freiheit, sondern an die aller denkt – durchaus vernünftige Kritik an den Maßnahmen der Bundes- und Länderregierung(en) üben. Zum Beispiel, weil sie manche Menschen einfach außen vor lassen:
- Was ist mit den Menschen ohne Zuhause?
- Was ist mit denen, die zusammengepfercht in Geflüchtetenunterkünften oder Gastarbeiter_innencontainern leben?
- Was ist mit den Menschen, die vor den EU-Außengrenzen verrecken?
- Was ist mit Alleinerziehenden, die zwischen fehlender Kinderbetreuung und Job aufgerieben werden?
Von all den Maßnahmen zum Infektionsschutz, die möglich sind, werden in erster Linie die genutzt, die der Wirtschaft nützlich sind – obwohl man auch Maßnahmen ergreifen könnte, die die Wirtschaft stärker in die Pflicht nehmen, um für die Gesundheit und das Leben aller zu sorgen:
- Was ist damit, dass man die privaten Kontakte einschränkt, individuelle Freiheitsbeschränkung in Kauf nimmt – aber gleichzeitig in Berufen arbeiten gehen muss, die gerade nicht lebensnotwendig wären, weil Fabriken oder Läden nicht geschlossen werden?
- Was ist mit der Option im Infektionsschutzgesetz, dass man Betriebe zur Produktion von medizinischen Gütern verpflichten könnte, die nicht genutzt wird?
- Was ist mit der Option der Preisregulation, die dort ebenfalls steht, während Atemschutzmasken zu horrenden Preisen gehandelt werden?
- Was ist mit der Arbeitssituation und dem schon immer zu niedrigen Lohn in Krankenhäusern und sozialen Berufen, im Niedriglohnsektor im Verkauf oder der Produktion?
- Was ist mit denjenigen, die vom Kurzarbeitergeld aus den Sozialkassen nur gerade so leben können, während die auf diesem Weg geretteten Unternehmen noch Dividenden ausschütten?
Und während Menschen weiterhin unter schlechten Bedingungen arbeiten, weil ja das kapitalistische Wirtschaftssystem stabilisiert werden muss, reden Corona-Demogänger_innen von Bill Gates. Was sind das denn für Prioritäten? Wenn auf diesen Demonstrationen Freiheit und Solidarität auf Schildern präsentiert werden, werden Worthülsen präsentiert. Der kritische Anstrich, den einige von ihnen tragen, blättert ab – zu sehen sind nur noch Leute, die sich inhaltlich von jeder Kritik an den herrschenden Verhältnissen längst verabschiedet haben und nur noch an sich selbst denken.