Karawane in Saarbrücken — Demonstration für die Alte Feuerwache — 12.09.2004

Aufruf­text der Karawane (www.karawane.tk)

Karawane — Move your ass, your head will follow.
Für linke Freiräume, beset­zte Häuser, Plätze und Zentren!
Was ist die Karawane? Sie beste­ht aus Gefährten, Men­schen, Aktio­nen, Ideen, Kun­st und Emo­tio­nen. Sie wird riesig groß, vielfältig bunt, hüb­sch anzuschauen, inter­es­sant zu belauschen und amüsant sein mitzu­machen. Sie wird rev­o­lu­tionär aktion­is­tisch aber auch gemütlich verkün­stelt. Die Karawane wird alles und nichts, aber schaut selbst!
Mit dabei wer­den sein: Live­bands, ver­schieden­ste Djanes und Djs aller Musikrich­tun­gen, Jonglage, Dia­bo­lo, Hacky Sack, Feuer­shows, Kick­er, Kino, Infos­tände, Info­laden, Freeshop (Umson­st­laden), Vorträge, Erzäh­lun­gen, The­ater, Kabarett, Impro­vi­sa­tio­nen, Per­for­mance, Druck­w­erk­statt, Work­shops, Graf­fi­ti, und und und…

Aber weshalb der ganze Aufwand? Die teil­nehmenden und organ­isieren­den Per­so­n­en kom­men größ­ten­teils aus ver­schiede­nen linken Freiräu­men, aus beset­zten Häusern, selb­stver­wal­teten Zen­tren und Wagen­bur­gen. Die jüng­sten poli­tis­chen Entwick­lun­gen im süd­deutschen Raum zeigen eine bedro­hte Sit­u­a­tion eben dieser Freiräume auf.

Räu­mungskla­gen, Kündi­gun­gen, Verkauf­s­ab­sicht­en der unkom­merziell genutzten Zen­tren wer­fen einen dun­klen Schat­ten über die Zukun­ft lib­ertär­er Poli­tik, Kun­st und Lebensweisen.
Warum set­zten sich Men­schen so sehr für diese Etab­lisse­ments ein, was ist daran so wichtig?

Linke Freiräume sind die einzige Alter­na­tive zur beste­hen­den Real­ität der Ver­mark­tung von Wohn­raum, Ver­anstal­tung­sorten, Jugendzen­tren und son­sti­gen Treffpunkten.
Alter­na­tives Leben, befre­it von Kon­sumzwän­gen, Kul­tur ohne Prof­it, poli­tis­che Arbeit ohne Fremdbes­tim­mung sind uner­wün­scht in der kap­i­tal­is­tis­chen Gesellschaft, in der wir leben.
Durch fehlen­den Raum, frei von der gesellschaftlichen Nor­mal­ität, wird Men­schen, die sich aus diesem Trott befreien wollen, die Möglichkeit genom­men ihrer indi­vidu­ellen Ent­fal­tung nachzukommen.

Aber welche Beson­der­heit­en haben linke Freiräume im Einzel­nen, welche Eigen­schaften ermöglichen diese “Befreiung”? Einige bekan­nte Schlag­wörter definieren oft etwas knapp: antifaschis­tisch und anti­ras­sis­tisch, unkom­merziell, emanzi­pa­torisch, antikap­i­tal­is­tisch, basis­demokratisch, anti­sex­is­tisch, revolutionär.
Diese Schlag­worte sind ein­fach zu erk­lären, fol­gen sie let­z­tendlich nur einem lib­ertären denken. Anti­ras­sis­tisch, anti­sex­is­tisch…: gängige Prax­is in gesellschaftlich etablierten Ein­rich­tun­gen: Die Aus­gren­zung von Men­schen auf­grund gegeben­er Eigen­schaften wie Haut­farbe, sex­uelle Nei­gun­gen, Geschlecht oder sozialer Stel­lung. Frei­heit bedeutet vor allem, Men­schen unab­hängig von gegebe­nen Eigen­schaften gle­ich zu behan­deln, ihnen Selb­st­bes­tim­mung zu lassen, Tiere nicht als unter­ge­ord­net dem Men­schen anzuse­hen, son­dern ein gle­ich­es Recht auf Leben, Unversehrtheit und Würde zu gewähren.
Die Aus­beu­tung von Men­schen, Tieren und der Natur darf nicht stillschweigend toleriert wer­den. Die Befreiung von ein­er solchen kap­i­tal­is­tis­chen Ver­w­er­tungslogik zum Zwecke der pri­vat­en und/oder mark­twirtschaftlichen Bere­icherung ist Grund­lage eines jeden lib­ertären Gedankenansatz.
Somit ist die Unkom­merzial­ität ein wichtiger Teil des Funk­tion­ierens eines linken Pro­jek­ts. Prof­it erzeugt unver­hält­nis­mäßige Preise ODER unver­hält­nis­mäßige “Löhne”. Ein Konz­ert mit ein­er Band, die eine hohe Gage ver­langt ist dem Pub­likum gegenüber genau­so ungerecht, wie beispiel­sweise eine unkom­merziell durch Europa tourende Band mit 20 Euro Sprit­geld für den Abend abzus­peisen, um dem Ein­tritt niedrig zu hal­ten. Kosten sind unver­mei­d­bar, wenn damit ver­nünftig umge­gangen wird kön­nen diese im ver­gle­ich zu kom­merziell arbei­t­en­den Ver­anstalterInnen niedrig gehal­ten wer­den. „Ehre­namtliche Arbeit“ (wie es so schön heisst) ist ein wesentlich­er Bestandteil davon, eben­so wie die Organ­i­sa­tion in Selb­stver­wal­tung. Basis­demokratisch wer­den Entschei­dungen in einem gemein­samen öffentlichen Plenum nach dem Kon­sens-Prinzip getrof­fen. Das bedeutet nicht, wie beispiel­sweise bei der bun­des­deutschen Demokratie, dass die Mehrheit nach Stimmkraft über die Min­der­heit siegt und bes­timmt, son­dern, dass gemein­sam durch Diskus­sion und Kom­pro­miss eine Lösung gefun­den wer­den muss, mit der alle leben können.

Ist ein link­er Freiraum zwangsweise rev­o­lu­tionär? Zu dieser Frage kommt die Eigen­schaft “emanzi­pa­torisch” ins Gespräch. Mis­cht sich ein Zen­trum ein in gesellschaftliche The­men oder bleibt es still und heim­lich hin­ter ver­schlosse­nen Toren unbeachtet von der Öffentlichkeit. Die Geschichte link­er Freiräume ist geprägt von offen­er antifaschis­tis­ch­er Arbeit, Ein­mis­chen in kom­mu­nalpoli­tis­che, wie son­stige aktuelle The­men, Par­tizipa­tion im antikap­i­tal­is­tis­chen Kampf und ein­er ewigen Unbe­quem­lichkeit gegenüber den Herrschen­den. Posi­tion zu beziehen, zu seinen Ide­alen zu ste­hen und sich klar von allem ungeliebten abzu­gren­zen ist unab­d­ing­bar für lib­ertäre Ein­rich­tun­gen. Man bedenke die aktuelle Quer­front-Strate­gie der Nazis, die mit link­er Sym­bo­l­ik und ähn­lichen Forderun­gen (“Häuser beset­zen”, “Antikap­i­tal­is­mus”) für Ver­wirrung sor­gen [1].

Für poli­tisch unangepasste Grup­pen, Kul­tur abseits des Main­streams und Men­schen mit alter­na­tiv­en Lebensvorstel­lun­gen sind linke Freiräume die einzige Alter­na­tive sich zu verwirkli­chen und auszuleben.

Kom­men wir zurück zum Grund der Karawane.
Diese Freiräume sind bedro­ht, die alten, die sich bewährt haben, sollen weichen, neue Pro­jek­te soll es kaum mehr geben.
Über Ursachen und Gründe lässt sich viel spekulieren, viele Fak­toren kom­men zusam­men, Zufälle, oder eine klare poli­tis­che Lin­ie? Sich Ver­schwörungs­the­o­rien auszu­malen wäre wohl über­trieben. Seit den Ter­ror Anschlä­gen vom 11. Sep­tem­ber ’01 wur­den weltweit Sicher­heits­ge­set­zte ver­schärft, per­sön­liche “Bürg­er­rechte” eingeschränkt, der Überwachungsstaat einen Schritt vor­angetrieben und “mil­itärisch” sowohl Innen- wie Außen­poli­tisch aufge­stockt, also Mil­itär wie Polizei und Geheim­di­en­ste stark gefördert.
In dieses Konzept passen linke Freiräume, staatlich völ­lig unkon­trol­lierte Häuser und Plätze, die eben jene staatliche Poli­tik offen angreifen, Sachver­halte aufdeck­en und öffentlich machen (z.B. Kam­er­aüberwachung, ras­sis­tis­che Abschiebeprax­is) über­haupt nicht. Vor allem beset­zte Häuser haben sich als beson­ders wider­spen­stig erwiesen. Ist es in Berlin, der Stadt mit der bun­desweit wohl größten Squat­ter­szene [2] , auf­grund zweifel­hafter Son­derge­set­zte, der so genan­nten “Berlin­er Lin­ie”, prak­tisch unmöglich Häuser Instand zu beset­zen, wird es auch in anderen Städten zunehmend schwieriger. In Ham­burg wurde ein Wagen­platz geräumt, trotz mas­siv­er Proteste kon­nte bis jet­zt kein Aus­gle­ich geschaf­fen werden.

Diese Prax­is nimmt auch in Süd­deutsch­land stärk­er zu. Das “Linke Ufer”, ein im Dezem­ber ’03 beset­ztes Haus in Mannheim wurde trotz überzeu­gen­der Pressear­beit, ein­er bre­it­en Unter­stützung aus der Bevölkerung des Stadt­teils und ein­er mündlichen Zusage der Besitzerin (der Deutschen Bahn) geräumt.
Vor allem die Polizeiführung sieht das ganze äußerst beschränkt als einen “rechtswidri­gen Zustand”.

Ähn­lich in Hei­del­berg, wo kurze Zeit später ein Haus beset­zt wurde. Krampfhaft ver­suchte die Polizei einen Straf­be­fehl zu bekom­men, um das Haus schnellst möglich räu­men zu lassen, da ger­ade genü­gend Polizei auf­grund ein­er Demon­stra­tion [3] in der Stadt war. Jegliche Kom­mu­nika­tion, geschweige denn, poli­tis­che Ver­hand­lun­gen wur­den den Beset­zerIn­nen ver­weigert. Polizeiliche „rechtsstaatliche“ Härte war die Antwort auf soziales poli­tis­ches Engage­ment jugendlich­er Haus­be­set­zerIn­nen. Ver­sprechun­gen von Seit­en der Poli­tik, für ein neues Autonomes Zen­trum in Hei­del­berg zu sor­gen wer­den unter den Tisch gekehrt. Selb­st eine Rich­terin, die gegen die Beset­zerIn­nen wegen Haus­friedens­bruch ver­han­deln musste, bemerk­te: “…es ist ja klar, dass die Jugendlichen, die Sache dann selb­st in die Hand nehmen”.

Eine neue Gefahr neben dem schnellen Ende der Haus­be­set­zun­gen ist die Kündi­gung alter Mietverträge mit ehe­mals beset­zten Häusern, die einen legalen Sta­tus haben. Der KTS (Kul­turtr­e­ff in Selb­stver­wal­tung) in Freiburg wurde aus äußerst zweifel­haften Grün­den gekündigt: Falsch­park­erIn­nen in der Zufahrtsstrasse, Lärm­beläs­ti­gung in einem Bah­nge­bi­et ohne Anwohn­er… In ein­er, für heutige Ver­hält­nisse, sehr großen Protest­welle wurde der zuvor ver­botene öffentliche Betrieb in der KTS zumin­d­est wieder durchge­set­zt, an ein­er legalen Grund­lage fehlt es aber nach wie vor. Ver­hand­lun­gen mit der „offe­nen“ Stadt Freiburg und der DB ver­laufen im Sand. Eben­so in Karl­sruhe, wo das Wohn- und Kul­turzen­trum Ex-Stef­fi eine Räu­mungsklage der Stadt Karl­sruhe bekom­men hat. Das innen­städtis­che Gebi­et südlich des Haupt­bahn­hofs lasse sich bess­er ver­mark­ten. Die kleinen Kün­st­lerIn­nen Ate­liers, sowie die Ex-Stef­fi, die sich auf dem Gebi­et befind­en sollen weg. Auch hier stellt die Stadt auf stur. Wo die „Kul­turstadt“ Karl­sruhe alter­na­tive Kun­st und Kul­tur dem Erd­bo­den gle­ich­machen will, fehlt es an ern­sthaften Ver­hand­lun­gen von Seit­en der PolitikerInnen.

Eben­falls eine schwierige Sit­u­a­tion durch­lebt das OBW9 in Stuttgart zur Zeit. Vielmehr ein­mal wieder, da sich der selb­stver­wal­tete Jugen­haus­club seit ’74 mit stadt­poli­tis­chen, zweifel­haften Argu­menten herumärg­ern muss. Das aktuelle Argu­ment, die Jugen­häusler zu vertreiben, ist der Bau eines neuen Jugend­haus­es auf dem Gelände der Oberen Wein­steige 9 (OBW9), in dem Kinder von sechs bis 14 Jahren erzo­gen wer­den sollen. Geld dafür gibt eine dubiose Stiftung, die Stadt ver­sucht, sich aus der Ver­ant­wor­tung zu ziehen.
Die Schließung autonomer und selb­stver­wal­teter Zen­tren scheint von den Städten gewollt. ’99 in Pforzheim und Hei­del­berg, Umzüge in Karl­sruhe und Mannheim und anderen Städten.

Aber die Notwendigkeit und die Forderung nach neuen Zen­tren lässt sich nicht “räu­men”. In Pforzheim, Hei­del­berg, Ben­sheim, Neustadt, Ras­tatt, Basel, Saar­brück­en und vie­len anderen Städten kämpften und kämpfen Jugendliche für ihre Freiräume.

Der Bedarf an selb­s­bes­timmten Freiräu­men, Kul­turzen­tren und Wohn­raum ist wichtiger denn je.

Sozial­ab­bau, Überwachungs­ge­sellschaft, Kom­merzial­isierung, Pri­vatisierung und Gen­tri­fi­ca­tion [4], all das trifft Men­schen, die nicht zur gesellschaftlichen Elite gehören und gehören wollen.
Der Kampf um beste­hende linke Freiräume muss stärk­er wer­den, neue müssen geschaf­fen wer­den, mehr, bess­er, größer, schön­er und bunter!
Deshalb: Auf die Karawanen!
Bewer­ben wir gemein­sam unsere Freiräume und Träume nach einem selb­st­bes­timmten Leben!

Kein Tag ohne autonomes Zentrum!