Die saarländische Posse um die Reinwaschung des ehemaligen NSDAP-Aktivisten und späteren CDU-Ministerpräsidenten Franz-Josef Röder geht in die nächste Runde und erregt mittlerweile bundesweit Aufsehen. Dem saarländischen Landesarchivar Peter Wettmann-Jungblut ist dabei sogar der Vergleich Röders mit Oskar Schindler nicht zu dumm, auch wenn er auf Nachfrage einräumen muss, dass Röder „wohl keinen einzigen Juden“ gerettet habe.
Franz-Josef Röder, Ministerpräsident des Saarlandes von 1959 bis 1979 und langjähriger Landesvorsitzender der CDU, trat der NSDAP bereits 1933 bei – Jahre bevor das Saargebiet an Nazi-Deutschland angeschlossen wurde. Er war Mitglied im NS-Lehrerbund und im NS-Kraftfahrerkorps. Außerdem gehörte er dem sog. Ordnungsdienst der Deutschen Front an. Der militante Ordnungsdienst, dessen Schlägertrupps saarländische AntifaschistInnen, KommunistInnen sowie Jüdinnen und Juden terrorisierten, war ein Auffangbecken der im Saargebiet verbotenen SA und SS. Als frühes Mitglied der NSDAP und Mitglied mehrerer Bereichsorganisationen setzte sich Franz-Josef Röder ohne jeden Zwang und aktiv für den menschenverachtenden Nationalsozialismus und für Adolf Hitler ein. Während der Besatzung der Niederlande durch Nazideutschland betätigte sich Röder dort als Propagandist für die nationalsozialistische Sache, Zellenleiter der NSDAP und Leiter des „Deutschen Akademischen Austauschdienstes“.1
Dass die tiefbraune Vergangenheit Röders zumindest soweit bekannt wurde, ist maßgeblich dem Historiker Erich Später2 und dem Journalisten Julian Bernstein3 zu verdanken, die mit ihren Forschungen und Recherchen gegen den Widerstand der saarländischen Staatshistorikergilde das Bild Röders um seine nationalsozialistische Vergangenheit ergänzten. Bereits in einer sehenswerten Podiumsdiskussion 2016 versuchten der Leiter des Stadtarchivs Saarbrücken, Hans-Christian Herrmann, sowie Peter Wettmann-Jungblut, Mitarbeiter des saarländischen Landesarchivs, alles, um den Mythos des sauberen Landesvaters Röder aufrecht zu erhalten, der — wenn überhaupt — lediglich Mitläufer der nationalsozialistischen Sache gewesen sei. Dabei war den Hofhistorikern keine noch so absurde These zu billig, keine Lüge zu dreist, um die Glaubwürdigkeit von Später und Bernstein in Frage zu stellen.
Nachdem der Saarländische Rundfunk das Thema Röder 2017 in einem Radiobeitrag wieder aufgriff und die nationalsozialistische Betätigung Röders thematisierte sowie den Archivmitarbeitern Herrmann und Wettmann-Jungbluth vorwarf, Akten unterschlagen zu haben, die ein weniger günstiges Bild Röders zeichneten, empörte sich darüber Annegret Kramp-Karrenbauers Staatskanzlei und sah sich aufgerufen, in einem Schreiben an den Intendanten des Saarländischen Rundfunks zu versuchen, die Berichterstattung zu beeinflussen.4
Der sehr saarländische Umgang mit der Geschichte Röders zieht mittlerweile bundesweites Interesse auf sich. So berichtete das ARD-Magazin Panorama über die Causa Röder und die versuchte Einflussnahme der saarländischen Staatskanzlei auf die Berichterstattung des SR.
Zu Wort kommt in der Sendung auch Peter Wettmann-Jungblut vom saarländischen Landesarchiv, der seine unerschütterliche Sympathie zum ehemaligen „Landesvater“ mit einem Vergleich Röders mit Oskar Schindler unter Beweis stellt: „Es gibt ja auch genug Beispiele von Personen, die der NSDAP angehört haben, und trotzdem durchaus nicht diese Ideologie geteilt haben. Beispiel Oskar Schindler, um nur mal so was zu nennen, ja auch Parteimitglied und man würde ihn trotzdem jetzt nicht als überzeugten Nationalsozialisten charakterisieren wollen.“ Auf die Rückfrage des Journalisten, wie viele Juden denn Röder gerettete habe, muss Wettmann-Jungblut einräumen: „Da weiß man gar nichts dazu, also meines Wissens nach keinen einzigen.“ Die Betätigung Röders im nationalsozialistischen militanten Ordnungsdienst tut Wettmann-Jungblut damit ab, dass dieser einen angeborenen Herzfehler gehabt habe und er es deswegen „für relativ unwahrscheinlich“ halte, dass Röder sich auf „körperliche Auseinandersetzungen mit politischen Gegnern eingelassen hätte, einfach aufgrund dieser Erkrankung.“ Bei Wettmann-Jungblut handelt es sich wohlgemerkt um einen derjenigen Historiker in Staatsdiensten, die den beiden Autoren Erich Später und Julian Bernstein wiederholt vorgeworfen haben, mit Spekulationen und mangelhaften Belegen zu arbeiten.
Die Geschichtsklitterung im Falle Röder durch die Staatsarchivare Herrmann und Wettmann-Jungblut sowie die saarländische Landesregierung ist indes kein Einzelfall. Sie steht exemplarisch für den Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangenheit im Saarland und in einer Reihe mit einer Unzahl ähnlicher Fälle.
So gab es 2016 in Riegelsberg das Vorhaben, ehemaligen SS- und Wehrmachts-Schergen ein „Ehrenmal“ zu errichten, was nur durch eine antifaschistische Intervention unterbunden werden konnte. In Völklingen gilt Hermann Röchling, Nationalsozialist, Vertrauter Adolf Hitlers, Ausbeuter seiner ArbeiterInnen und wegen Verbrechen gegen die Menschheit von einem französischen Militärgericht zu zehn Jahren Haft verurteilt, als ehrenwerte Person, nach dem weiterhin die „Röchling-Höhe“ benannt ist. Wie Franz-Josef Röder engagierte sich Röchling im Vorfeld der Saarabstimmung 1935 ebenfalls für die Deutsche Front, die den Anschluss des Saargebietes an Nazideutschland betrieb.
Zu Ehren Franz-Josef Röders wurde die Straße am Landtag 1984 vom damaligen Saarbrücker Oberbürgermeister Oskar Lafontaine umbenannt. Lafontaine exkulpiert Röder noch im März 2013 in einer Broschüre der Linkspartei über „Braune Spuren im Saar-Landtag“, seine NSDAP-Mitgliedschaft habe schon aufgrund seiner „Hinwendung zu fremden Sprachen und zur romanischen Literatur“ überhaupt „nicht auf innerer Überzeugen beruhen“ können.
Weiteres Beispiel des mangelhaften saarländischen Geschichtsbewusstseins ist der Umgang mit der NS-Vergangenheit des Saarbrücker Schloss, wo Neonazis der NPD wiederholt ihre Veranstaltungen abhalten konnten.
Die Antifa Saar / Projekt AK fordert ein Ende der Verharmlosung des rechten Terrors von gestern und von heute. Verantwortlichkeiten von TäterInnen des nationalsozialistischen Wahnsinns, wie die von Röder oder Röchling, werden von der saarländischen Geschichtsschreibung bis heute kleingeredet und kleingeschrieben. Die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit findet im Saarland bis heute in weiten Teilen nicht statt. Wenn sich doch einmal mit der braunen Geschichte beschäftigt wird, dann meist, um sich selbst zu betrauern. Die Mär, die Saarländerinnen und Saarländer seien keinesfalls TäterInnen, sondern vielmehr selbst Opfer der deutschen Nazis gewesen, ist Teil einer verharmlosenden saarländischen Identitätspolitik, die bis heute konsequent betrieben wird. Dabei sind die SaarländerInnen die Einzigen gewesen, die sich durch freie Wahl 1935 in der sog. „Saarabstimmung“ dem nationalsozialistischen Deutschland unter Adolf Hitler anschlossen – und zwar mit über 90 Prozent Zustimmung bei einer Wahlbeteiligung von 98 Prozent. Es war eben nicht ein Bekenntnis der SaarländerInnen zu einem demokratischen Deutschland, sondern der deutlichste Sieg, den Hitler und seine NSDAP jemals bei einer freien Wahl für ihre Sache haben erringen können.
Aus der Verharmlosung der nationalsozialistischen Taten von gestern speisen sich die Pogrome der Nazis von heute, wie beispielsweise aktuell wieder in Chemnitz. Für eine Aufarbeitung der saarländischen NS-Geschichte! Deutsche TäterInnen benennen und ächten! Zerstört ihre Ehrenmale und reißt ihre Straßenschilder nieder!
1Mehr zu Röder:
https://www.saarbrücker-hefte.de/r%C3%B6der-debatte/
2Erich Später: Der Landesvater. Die NS-Vergangenheit Franz-Josef Röders.
In: Saarbrücker Hefte 110/111, Sommer 2014, abzurufen unter:
http://boell-saar.de/wp-content/uploads/2017/03/saarbrueckerhefte110roeder.pdf
3Julian Bernstein: Historiker als Mythenproduzenten. Für den Artikel wurde Bernstein 2018 mit dem »Alternativen Medienpreis« in der Kategorie »Geschichte« ausgezeichnet.
https://www.saarbrücker-hefte.de/r%C3%B6der-debatte/historiker-als-mythenproduzenten/
4Das Schreiben der Staatskanzlei ist zu finden in: Saarbrücker Hefte 117/118, Sommer 2018. Zu beziehen über:
http://www.blattlausverlag.de/epages/63683181.sf/de_DE/?ObjectPath=/Shops/63683181/Products/1313