Aufruf: Kundgebung | Sonntag, 19. Juni 2016 | 14 Uhr | Völklinger Hütte

Völk­lin­gen: Ver­drän­gen, Leug­nen, Reinwaschen

vr-gedenksteinWeltkul­turerbe Völk­linger Hütte: Ort der Aus­beu­tung und NS-Kriegswirtschaft

Die Völk­linger Hütte, die nach ihrer Stil­l­le­gung 1986 viele Jahre vor sich hin ros­tete, hat sich in den ver­gan­genen Jahren als Zen­trum saar­ländis­ch­er „Indus­triekul­tur“ zu ein­er der wichtig­sten touris­tis­chen Sehenswürdigkeit­en des Saar­lan­des entwick­elt. Mehrere hun­dert­tausend Besucher_innen lock­en die ver­schiede­nen Ausstel­lun­gen, Musik-Fes­ti­vals und das Fer­ro­drom jährlich in die alten Anla­gen der Völk­linger Stahl­pro­duk­tion, die eine imposante Kulisse für Pop-Art, Eth­no-Kitsch und mod­erne Musik bieten. Auch zur Funk­tion­sweise der alten Anlage kön­nen die Besucher_innen so manch­es ler­nen, speziell für Kinder wird die zugrunde liegende Tech­nik, Chemie und Physik im Fer­ro­drom erleb­bar gemacht. Die Völk­linger Hütte, 1994 von der UNESCO zum Weltkul­turerbe erk­lärt, gilt im Saar­land als Parade­beispiel für den erfol­gre­ichen Struk­tur­wan­del, weg von der Schw­erindus­trie hin zu einem mod­er­nen Dien­stleis­tungs- und Touris­mus­stan­dort. Doch der schöne Schein hat so manchen Makel.

Denn neben all der Insze­nierung von Indus­triegeschichte und mod­er­nen Kün­sten scheint es sich der Gen­eraldirek­tor der Völk­linger Hütte, Mein­rad Maria Grewenig, zur Haup­tauf­gabe gemacht zu haben, die Geschichte des Völk­linger Stahlbe­triebes und der Eigen­tümer­fam­i­lie Röch­ling möglichst stark zu verk­lären und die „dun­klen Seit­en“, von denen es mehr als genug gibt, kleinzure­den oder ganz zu leug­nen. In schlechter saar­ländis­ch­er Tra­di­tion wer­den die Röch­lings wie auch die andere große saar­ländis­che Indus­triel­len­fam­i­lie Stumm, die Eisen­werke in Saar­brück­en und Neunkirchen betrieb, zu für­sor­glichen Arbeit­ge­bern verk­lärt, die ihren Arbeit­ern Lohn, Brot und einen beschei­de­nen Reich­tum ermöglicht hät­ten. Dass Röch­lings wie auch Stumms vielmehr autoritär-patri­ar­chalis­che Aus­beuter waren, deren immenser Reich­tum auf dem Rück­en zehn­tausender saar­ländis­ch­er Arbeiter_innen erbeutet wurde, kommt im Saar­land, wo der Aus­ge­beutete seit jeher den Schul­ter­schluss mit seinem Aus­beuter sucht, kaum jeman­dem über die Lip­pen. So ist auch die Ausstel­lung „Die Röch­lings und die Völk­linger Hütte“, die am 19. Juni 2016 nach fast zwei­jähriger Laufzeit zu Ende geht, vielmehr eine Glo­ri­fizierung der Leis­tun­gen der Völk­linger Stahl­mag­nat­en und ihrer vorge­blichen Wohltat­en für die Stadt, als eine ern­sthafte wis­senschaftliche und kri­tis­che Auseinan­der­set­zung mit der Fam­i­lien- und Indus­triegeschichte der Hütte.

Die „guten“ Röch­lings und die unbe­queme Vergangenheit

Nur wenige Hin­weise, und diese auch eher ver­steckt, find­et man in Völk­lin­gen auf die Bedeu­tung der Hütte in der Zeit des Nation­al­sozial­is­mus. Etwa darauf, dass Her­mann Röch­ling als Wehrwirtschafts­führer und Gen­er­al­bevollmächtigter für die Eisen- und Stahlin­dus­trie in Lothrin­gen großen Anteil an der Waf­fen- und Kriegspro­duk­tion des „Drit­ten Reich­es“ hat­te. Her­mann Röch­ling war nicht etwa ein oppor­tunis­tis­ch­er Geschäfts­mann, dem sein finanzieller Gewinn am Herzen lag; Röch­ling war ein enger Ver­trauter Adolf Hitlers, auch schon vor der Machtüber­nahme der NSDAP, deren Mit­glied er im Jahre 1935 wurde. Im Vor­feld der Saarab­stim­mung 1935 engagierte sich Röch­ling für die Deutsche Front, die den Anschluss des Saarge­bi­etes an Nazideutsch­land propagierte. Röch­ling ver­fasste mehrere Denkschriften für Hitler, so etwa 1936 seine „Gedanken über die Vor­bere­itung zum Kriege und seine Durch­führung“, in der er den Krieg gegen die Sow­je­tu­nion und das „Weltju­den­tum“ forderte. In seinem Stahlw­erk mussten über 12.000 Sklavenarbeiter_innen und Kriegs­ge­fan­gene, vor allem aus der Sow­je­tu­nion, Polen und Frankre­ich, schw­er­ste Zwangsar­beit ver­richt­en, ungezählte Men­schen ver­loren dabei ihr Leben. Zur Diszi­plin­ierung der Zwangsarbeiter_innen unter­hiel­ten die Röchling’schen Eisen- und Stahlw­erke im Köller­bach­er Stadt­teil Etzen­hofen ein eigenes soge­nan­ntes Arbeit­serziehungslager, wo die internierten Frauen und Män­ner bei man­gel­hafter Ernährung den Drangsalierun­gen und Mis­shand­lun­gen des Wach­per­son­als aus­ge­set­zt waren. Eine aus­führliche wis­senschaftliche Aufar­beitung von Zwangsar­beit und Mord in Röch­lings Fab­riken fehlt bis zum heuti­gen Tag.

Nach dem Krieg wur­den Her­mann Röch­ling, sein Neffe, sein Schwiegersohn und die bei­den Direk­toren der Völk­linger Hütte ver­haftet und wegen „indus­trieller Aus­beu­tung der beset­zten Gebi­ete, Erhöhung des Kriegspo­ten­tials des Deutschen Reichs und Ein­fluss auf die Ver­schlep­pung von Per­so­n­en zur Zwangsar­beit“ angeklagt. Röch­ling wurde am 25. Jan­u­ar 1949 wegen Ver­brechen gegen die Men­schheit von einem franzö­sis­chen Mil­itärg­ericht in Ras­tatt zu zehn Jahren Haft verurteilt, aus der er bere­its 1951 wieder vorzeit­ig ent­lassen wurde. Doch statt in Her­mann Röch­ling nun endlich ein­mal den Aus­beuter und Kriegsver­brech­er, der er war, zu sehen, machte man sich in Völk­lin­gen als­bald an die Arbeit, Hitlers Wehrwirtschafts­führer reinzuwaschen. Im Jahre 1956, ein Jahr nach Röch­lings Tod, wurde die „Bouser Höhe“, ein Stadt­teil Völk­lin­gens, in „Her­mann-Röch­ling-Höhe“ umbe­nan­nt. Dass Röch­ling für tausend­fache Ver­sklavung und Tod ver­ant­wortlich war – für Völk­lin­gen kein Argu­ment gegen die Ehrung eines verurteil­ten Kriegsver­brech­ers. Als Anfang der 2000er Jahre diese Namensge­bung sowie die Ehren­bürg­er­schaft Her­mann Röch­lings bun­desweit in die Kri­tik geri­et, regte sich in Völk­lin­gen bre­it­er Wider­stand. Doch nicht etwa gegen den Namenspa­tron, son­dern gegen jene, die dem Nazi und Aus­beuter Röch­ling an die weiße Weste woll­ten. Parteiüber­greifend betonte man in Völk­lin­gen die sozialen Errun­gen­schaften, die die Stadt ihrem Stahlpa­tron zu ver­danken habe. Zwangsar­beit­er, Aus­beu­tung, Ver­nich­tung durch Arbeit? In Völk­lin­gen noch nicht ein­mal Fußnoten der Geschichte. Mein­rad Maria Grewenig, Gen­eraldirek­tor des Weltkul­turerbes und enger Fre­und der Fam­i­lie Röch­ling, ver­stieg sich sog­ar zu der Behaup­tung, eine Umbe­nen­nung der „Her­mann-Röch­ling-Höhe“ würde den Sta­tus des Weltkul­turerbes Völk­linger Hütte gefährden. Anfang 2013 einigte sich der Völk­linger Stad­trat nach jahre­langem Geplänkel schließlich auf einen Kom­pro­miss: aus der „Her­mann-Röch­ling-Höhe“ wurde nun die „Röch­linghöhe“ — mit dem Neben­ef­fekt, dass man nun nicht mehr einem, son­dern drei verurteilte Kriegsver­brech­er der Röch­ling-Dynas­tie zu Ehren verhalf.

Brand­s­tifter im Par­la­ment, Brand­s­tifter auf den Straßen

Dabei pflegt man in Völk­lin­gen nicht nur mit „alten“ Nazis einen merk­würdi­gen Umgang: in der Stadt, in der seit Jahren Nazis der NPD in den kom­mu­nalen Par­la­menten sitzen (2004 holte die NPD 9% der Wäh­ler­stim­men), gin­gen zwis­chen 2006 und 2011 min­destens 15 Häuser, die mehrheitlich von Men­schen mit Migra­tionsh­in­ter­grund bewohnt sind, in Flam­men auf. Auch eine Garten­laube in Großrosseln wurde niederge­bran­nt, auf die Ruine ein Hak­enkreuz geschmiert. Die Vorge­hensweise der Täter war in vie­len der Fälle sehr ähn­lich, genau­so wie die Reak­tion der Völk­linger Polizei: während sich viele Betrof­fe­nen sich­er waren, dass die Täter aus ras­sis­tis­chen oder nation­al­sozial­is­tis­chen Motiv­en gehan­delt haben mussten, beschrit­ten die ermit­tel­nden Völk­linger Beamten den gle­ichen Weg wie auch die mit der NSU-Mord­serie befassten Ermit­tler. Ein neon­azis­tis­ch­er oder ras­sis­tis­ch­er Hin­ter­grund wurde von Anfang an kat­e­gorisch aus­geschlossen, stattdessen wurde die Schuld bei den Betrof­fe­nen selb­st gesucht, indem man ihnen krim­inelle Motive unter­stellte und Ver­sicherungs­be­trug wit­terte – Betrof­fene, die oft nur durch Glück mit ihrem Leben davon gekom­men waren, wur­den unter Gen­er­alver­dacht gestellt und waren teil­weise Objekt umfan­gre­ich­er polizeilich­er Überwachungs­maß­nah­men – wenig über­raschend blieben diese ergeb­nis­los. Ein recht­es oder ras­sis­tis­ches Motiv wurde von den Ermit­tlern dage­gen nie auch nur in Betra­cht gezo­gen, geschweige denn Tatverdächtige ermit­telt. Dabei kön­nte es sich lohnen, mal einen genaueren Blick zu wagen auf die extrem rechte Szene der Stadt. Nicht nur sitzt hier die NPD seit Jahren in den kom­mu­nalen Par­la­menten und Gremien; auch die „Freie Bürg­er Union – FBU“, die sich größ­ten­teils aus ehe­ma­li­gen NPDlern rekru­tiert und fed­er­führend bei „Sage­sa“ involviert ist, hat ihren Stamm­sitz in Völk­lin­gen. Nicht zulet­zt waren und sind Völk­lin­gen und die umliegen­den Orte auch ein Schw­er­punkt der sub­kul­turell geprägten Neon­aziszene – etliche Mit­glieder etwa der Neon­azikam­er­ad­schaften „Toll­wütige Wölfe“ und „Stur­m­di­vi­sion Saar“ stam­men von hier, eben­so der langjährige Lan­desvor­sitzende und aktuelle Bun­desvor­sitzende der NPD, Frank Franz.

Dass man in Völk­lin­gen mit inhalt­sleer­er Indus­triekul­tur, großen Events und pom­pösen Ausstel­lun­gen ver­sucht, ein­er struk­turschwachen Region durch Umstruk­turierung und Touris­mus­förderung wirtschaftliche auf die Beine zu helfen, ist ja an und für sich keine schlechte Sache. Wenn dies jedoch auf dem Rück­en der Opfer und unter Ver­leug­nung der „Schat­ten­seit­en“, näm­lich NS-Rüs­tung­spro­duk­tion, Aus­beu­tung und Mord, geschieht und man sich so vehe­ment weigert, einem verurteil­ten NS-Täter die posthume Verehrung zu ver­sagen, dann wird klar, dass nicht nur der Struk­tur­wan­del, son­dern vor allem ein gesellschaftlich­er Sinneswan­del in Völk­lin­gen nötig ist. Im Rah­men der Kam­pagne HASSHATKONSEQUENZEN treten wir für ein würdi­ges Gedenken an die Opfer recht­en Ter­rors ein. Anlässlich des 25. Todestages von Samuel Yeboah, der am 19. Sep­tem­ber 1991 bei einem ras­sis­tis­chen Bran­dan­schlag in Saar­louis ermordet wurde, rufen wir die Erin­nerung an die zahlre­ichen Betrof­fe­nen und Todes­opfer rechter Gewalt im Saar­land wach und treten für eine gesellschaftliche Auseinan­der­set­zung mit den Tat­en und der ihnen zugrunde liegen­den gesellschaftlichen Stim­mung ein. Wir fordern jede_n Einzelne_n dazu auf, auch ger­ade angesichts des wieder erstark­enden recht­en Straßen­mobs, die notwendi­gen Kon­se­quen­zen zu ziehen.

Keine Ehrung von NS-Ver­brech­ern! Für eine vor­be­halt­lose wis­senschaftliche Erforschung der Sklave­nar­beit und der Morde in den Röchling’schen Eisen­werken! Für ein würdi­ges Gedenken der Opfer nation­al­sozial­is­tis­ch­er Ver­nich­tungspoli­tik! Aufk­lärung jetzt!

Antifaschis­tis­che Kundge­bung | Son­ntag, 19. Juni 2016 | 14 Uhr | Völk­linger Hütte

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