Über 130 Menschen folgten am heutigen Samstag, dem 10.07.2021 dem Aufruf von uns und weiteren Gruppen Solidarität mit dem „Tbilisi Pride“ in Georgien zum Ausdruck zu bringen.
Am vergangenen Montag hatten hunderte Nationalisten und radikale orthodoxe Christen, teilweise angefeuert von Priestern und größtenteils unbehelligt von der Polizei, stundenlang in der Innenstadt randaliert, wo am Nachmittag eine CSD-Demo stattfinden sollte. Die Angreifer griffen Infostände der Opposition an und zerstörten eine EU-Flagge am Parlament. Im Laufe des Tages attackierten sie mehr als 50 Journalist:innen und stürmten die Büros einer oppositionellen Organisation sowie der Pride-Veranstalter:innen. Die Organisator:innen sagten die Demo schließlich ab, da die Regierung ihnen keinen Schutz garantieren wollte. Regierungschef Irakli Garibaschwili hatte gar betont, dass Pride-Demonstrationen, “für einen Großteil der georgischen Gesellschaft inakzeptabel” seien. Das Oberhaupt der mächtigen georgischen orthodoxen Kirche, Patriarch Ilja II., hatte vorab zu Protest und Gebeten aufgerufen; er sprach auch von einem “pervertiertem Lebensstil” und von “LGBTQ-Propaganda-Aktivitäten”. Die Angreifer wussten also genau, dass sie die Regierung und die Kirche auf ihrer Seite hatten.
Saarbrücken und die georgische Hauptstadt Tbilisi verbindet eine mittlerweile 46-jährige Städtepartnerschaft. Am 22. März 1975 wurde im Tbiliser Rathaus der erste offizielle Freundschaftsvertrag zwischen einer westdeutschen Stadt und einer Stadt der ehemaligen Sowjetrepublik Georgien geschlossen, unter dem damaligen Saarbrücker Oberbürgermeister Oskar Lafontaine.
Im Redebeitrag der Antifa Saar / Projekt Ak hieß es: „In Europa, wo sich mit der Propaganda über Toleranz und Freiheiten Geld verdienen lässt, erstrahlen BMW, Mercedes oder Lenovo im Regenbogenlook. Im Nahen Osten dagegen, wo pro-LGTBIQ-Statements dem Geschäft schaden könnten, bleibt alles beim Alten.“ Das Bündnis My Body My Choice zeigte am Beispiel der Piusbruderschaft auf, dass in Saarbrücken christliche Fundamentalisten sogar staatlich geförderte Schulen betreiben dürfen. Die Seebrücke Saar thematisierte Fluchtgründe am Beispiel Georgien und kritisiserte die deutsche (Nicht-)Praxis bei der Anerkennung von Verfolgung aus LGTBIQ-feindlichen Gründen. Die kommunistische Gruppe ConnAct Saar stellte klar, dass die katholische Kirche auch in ihrer Gesamtheit und nicht nur in ihren radikalen Ausprägungen global an der Speerspitze der Bewegung des Hasses gegen alles nicht-heteronormative steht. Dies müsse gerade hier im Saarland, wo selbst liberal eingestellte Menschen oft meinen, die Kirche tue ja auch soviel Gutes, nochmal betont werden. Und auch die feministische Gruppe FemUp drückte mit ihrem Redebeitrag ihre Solidarität aus.
Aufgerufen zu der heutigen Kundgebung hatten: Antifa Saar / Projekt AK; ConnAct Saar; FemUp; Grüne Jugend Saar; Linksjugend Solid Saar; das Bündnis My Body My Choice und die Seebrücke Saar
Im folgenden dokumentieren wir den Redebeitrag, der Antifa Saar / Projekt AK:
In Saarbrückens Partnerstadt Tbilisi hat am vergangenen Montag der Mob gewonnen. Nicht etwa, weil der Mob stärker gewesen wäre als der sogenannte Rechtsstaat. Nein, in Tbilissi hat der Mob Hand in Hand mit den Autoritäten Georgiens gehandelt. Mit der Politik, mit der Polizei, mit der Kirche.
Am Montag hatten hunderte Nationalisten und radikale orthodoxe Aktivisten, teilweise angefeuert von Priestern und größtenteils unbehelligt von der Polizei, stundenlang in der Innenstadt randaliert, wo am Nachmittag eine CSD-Demo stattfinden sollte. Die Angreifer griffen Infostände der Opposition an und zerstörten eine EU-Flagge am Parlament. Im Laufe des Tages attackierten sie mehr als 50 Journalistinnen und Journalisten und stürmten die Büros einer oppositionellen Organisation sowie der Pride-Veranstalterinnen. Die Organisatorinnen sagten die Demo schließlich ab, da die Regierung ihnen keinen Schutz garantieren wollte. Regierungschef Irakli Garibaschwili hatte gar betont, dass Pride-Demonstrationen, Zitat, “für einen Großteil der georgischen Gesellschaft inakzeptabel” seien. Das Oberhaupt der mächtigen georgischen orthodoxen Kirche, Patriarch Ilja II., hatte vorab zu Protest und Gebeten aufgerufen; er sprach auch von einem “pervertiertem Lebensstil” und von “LGBT-Propaganda-Aktivitäten”. Die Angreifer wussten also genau, dass sie die Regierung und die Kirche auf ihrer Seite hatten.
Saarbrücken und die georgische Hauptstadt Tbilisi verbindet eine mittlerweile 46-jährige Partnerschaft. Am 22. März 1975 wurde im Rathaus von Tbilis der erste offizielle Freundschaftsvertrag zwischen einer westdeutschen Stadt und einer Stadt der ehemaligen Sowjetrepublik geschlossen, unter dem damaligen Saarbrücker Oberbürgermeister Oskar Lafontaine.
Das Thema Städtepartnerschaften ist bis heute beim Büro des Saarbrücker Oberbürgermeisters angesiedelt. Der jetzige Amtsinhaber Uwe Conradt, der gerne bei genehmen Gelegenheiten vor dem Rathaus den Regenbogen flattern lässt, hat anlässlich dieser Ereignisse einen Brief an seinen Amtskollegen in Tbilissi, Kakha Kaladze, geschrieben und seine Betroffenheit zum Ausdruck gebracht. Warme Worte. Viel mehr braucht man wohl nicht zu erwarten.
Die durchschaubare Lüge der Regenbogen-Toleranz
Noch in der vergangenen Woche flaggte die Stadt Saarbrücken hier vor dem Rathaus öffentlichkeitswirksam die Regenbogenflagge. Man schwamm mit auf einer breiten Welle, gegen ein mittlerweile verabschiedetes Gesetz im EU-Mitgliedsstaat Ungarn, das die Diskussion über sexuelle und geschlechtliche Vielfalt in Schulen, Medien, Werbung und anderen öffentlichen Räumen verbietet und Homo- und Transsexualität mit Pädophilie gleichsetzt.
Wer sich dem allgemeinen Regenbogengetaumel widersetzte, wie etwa der europäische Fußballverband UEFA, sah sich mit schärfster Kritik konfrontiert.
Doch wie beliebig das ganze Regenbogengeflagge ist, zeigte die viel gescholtene UEFA selbst und schmückte auch ihr Logo regenbogenbunt in den sozialen Netzwerken. Wenige Tage später untersagte der selbe Fußballverband dann seinen Sponsoren in Baku und St. Petersburg die Bandenwerbung in Regenbogenfarben. Es ist einmal mehr offensichtlich: Wo es politisch opportun ist und Umsatz verspricht, gibt man sich tolerant und weltoffen. Es ist immer einfach, sich als großer Freund der LGBT-Bewegung aufzuspielen, wenn es nichts kostet: Wenn der CSD-Party-Tross durch die City zieht, oder wenn die absolute Mehrheit gegen die bösen Fußballfunktionäre wedelt. Doch dort, wo der Regenbogen anecken könnte, da hält man die Füße still, und kriecht den autoritären Regimen in Putins Russland und Alijews Aserbaidschan in den Allerwertesten. No homo, natürlich.
Dem Kapitalismus und seinen verschiedenen reaktionären Ausprägungen sind sexuelle Selbstbestimmung und Freiheitsrechte scheißegal. Er eignet sie sich an, wenn es der Gewinnmaximierung dient, und er tritt sie mit Füßen, wenn sie dem finanziellen Erfolg im Wege stehen. Wenn das Kapital und seine politischen Sachwalter jetzt überall die Regenbogenfahne wehen lassen, dann vor allem aus einem Grund: Weil es sich gut verkauft. Nicht mehr als PR-Stunts sind die in den sozialen Netzwerken mit dem Regenbogen aufgehübschten Logos der multinationalen Konzerne und der UEFA-Hauptsponsoren. Hier wird es für jede und jeden ersichtlich: In Europa, wo sich mit der Propaganda über Toleranz und Freiheiten Geld verdienen lässt, erstrahlen BMW, Mercedes oder Lenovo im Regenbogenlook. Im Nahen Osten dagegen, wo pro-LGBTIQ-Statements dem Geschäft schaden könnten, bleibt alles beim Alten. Gerade in Ländern also, wo die LGBTIQ-Community schwersten Repressionen ausgesetzt, Menschen wegen ihrer sexuellen Präferenzen mit dem Leben bedroht sind, dort halten die Big Player schön die Fresse. Man will dem Durchschnittsmacker vor Ort eben auch weiterhin seine schnellen Autos verkaufen. Wen kümmern da schon ein paar totgeschlagene Schwule?
Der Kapitalismus verkauft den LGBTIQ-People ihre Regenbogenfahne, und den Homohassern das Schlachtermesser. Das ist keine Frage mangelnder Moral, sondern systemimmanent.
Man sollte also aufmerksam bleiben, wenn deutsche Außenminister in ihren Sonntagsreden die Einhaltung von Menschenrechten anmahnen, oder unser Oberbürgermeister seine Besorgnis ausdrückt: Mehr als Lippenbekenntnisse sind das nicht.
Weltweiter Hass auf LGBTIQ-People
LGBTIQ-Menschen sind weltweit Verfolgung, Verhaftung und Ermordung ausgesetzt. Das beschränkt sich längst nicht auf vermeintlich „rückständige“ Regionen, sondern geschieht genauso im „freiheitlichen“ Westen. Egal ob Georgien, Aserbaidschan, Ungarn oder Deutschland; von autoritären Diktaturen bis zu Demokratien westlicher Prägung; ob christlich oder islamisch motiviert, Nazis, toxische Männer: Sie alle eint der Hass auf das, was sie als andersartig ablehnen und vernichten wollen.
Hier in Saarbrücken gibt es zum Beispiel die Piusbruderschaft, eine radikal-reaktionäre christliche Sekte, die sich vor allem mit antifeministischer Propaganda gegen das Selbstbestimmungsrecht von Frauen positioniert. Auch wenn die Anhängerinnen und Anhänger der Piusbrüder eine Minderheit sind, während die orthodoxe Kirche in Georgien die Mehrheit der georgischen Bevölkerung zu ihren Mitgliedern zählt: LGBTIQ-Menschen, die allzu offen mit ihrer Identität in die Öffentlichkeit gehen, müssen an jedem Fleck dieser Welt mit Angriffen rechnen.
Auch hier in Deutschland ist die strukturelle Diskriminierung von LGBTIQ-Menschen längst nicht dunkle Vergangenheit. Waren homosexuelle Handlungen noch bis 1994 teilweise strafbar, so existiert bis heute ein de-facto-Blutspendeverbot für homosexuelle Männer. Das absolute Verbot wurde zwar unlängst gestrichen; die Maßgabe, dass homosexuelle Blutspender mindestens 1 Jahr lang vor der Spende keinen Geschlechtsverkehr mehr gehabt haben dürfen, ist jedoch nichts weiter als das Weiterleben genau dieser Geisteshaltung.
Homosexuellenfeindlichkeit sieht man in Deutschland gerne, wie auch das Thema Antisemitismus, als „eingewandertes“ Problem. Der Mord an Thomas L. vergangenes Jahr in Dresden erregte großes öffentliches Aufsehen. Schwulenhass als Mordmotiv des 20-jährigen Islamisten erkannte auch das Gericht an und verurteilte den Mörder zu lebenslanger Haft – das ist gut so. Wenn die Täter jedoch einen biodeutschen Hintergrund haben, tun sich die Strafverfolgungsbehörden jedoch meistens schwerer, die Motive klar zu benennen.
Im April 2018 ermordeten drei Nazis im sächsischen Aue ihren Bekannten Christopher W. Die grauenhaft entstellte Leiche zeugte vom puren Vernichtungswillen der Täter – die Polizei war zuerst nicht einmal in der Lage, den Toten zu identifizieren. Christopher W. War schwul, er galt als „Opfer-Typ“ und schwach. Seine Mörder beschimpften ihn deswegen vor der Tat regelmäßig, quälten und missbrauchten ihn. Während für die Opferberatungsstelle das Motiv der Täter eindeutig ist – Hass auf Schwule, so bleibt es für Staatsanwaltschaft und Gericht rätselhaft – rechtsextreme und schwulenfeindliche Motivation seien nicht nachzuweisen.
Egal ob in Aue oder Georgien, in Spanien oder der Türkei: im Großen wie im Kleinen bedrohen reaktionäre Kräfte vielseitiger Couleur die Freiheit, Gesundheit und das Leben von Menschen, die sich als LGBTIQ-zugehörig verstehen oder von ihren Feinden so markiert werden.
Alle wohlfeilen Sonntagsreden aus Politik und Wirtschaft helfen den Betroffenen herzlich wenig, wenn die Konsequenzen ausbleiben. Solange die Bundesrepublik Deutschland gutgehende Geschäfte mit dem islamischen Terrorregime im Iran abwickeln kann, solange können die Mullahs in aller Öffentlichkeit schwule Männer an Baukränen aufhängen. Denn wenn wirtschaftliche Interessen bestehen, dann hält auch das demokratische, freiheitliche Deutschland, das ansonsten gerne die internationale Konkurrenz in seiner Paradedisziplin Menschenrechte und Vergangenheitsbewältigung oberlehrerhaft berät, schön die Klappe.
Solange der frühere saarländische Juso-Chef und heutige Bundesaußenminister Heiko Maas zum mörderischen Schwulenhass des klerikal-faschistischen Regimes im Iran schweigt, solange sind alle Bekundungen und Aufrufe das Papier nicht wert, auf dem sie verfasst sind.
Auf Staat und Kapital ist kein Verlass – Solidarität und Widerstand
Gegen all diese Unzumutbarkeiten und Bedrohungen für Gesundheit und Leben braucht es Solidarität mit den Betroffenen und Widerstand gegen die Täter.
Don‘t forget: Stonewall was a riot. Keine bunte Party. Daran müssen wir immer wieder denken — gerade auch in Zeiten wie diesen, wo sich Deutschland als einig-Regenbogenland präsentiert, wo Politiker aller Couleur sich bei CSD-Paraden gerne aus Marketinggründen ablichten lassen. Denn wenn es hart auf hart kommt, oder um wirtschaftliche und politische Interessen geht, dann sind diese Leute schneller weg als man ihnen „Heuchler“ zurufen kann.
Die Antwort kann nur Selbstschutz sein. Schließt euch zusammen, seid stark, vernetzt euch. Schlagt zurück. Der großartige Lyriker Wiglaf Droste hat Anfang der 90er Jahre unter dem Titel „Mit Nazis reden?“ einen so klaren wie eindeutigen Essay verfasst. Darin heißt es: „Das Schicksal von Nazis ist mir komplett gleichgültig; ob sie hungern, frieren, bettnässen, schlecht träumen usw., geht mich nichts an. Was mich an ihnen interessiert, ist nur eins: dass man sie hindert, das zu tun, was sie eben tun, wenn man sie nicht hindert: die bedrohen und nach Möglichkeit umbringen, die nicht in ihre Zigarrenschachtelwelt passen. Ob man sie dafür einsperrt oder ob sie dafür auf den Obduktionstisch gelegt werden müssen, ist mir gleich.” Und das gilt heute noch genauso wie vor fast 30 Jahren. Und das gilt nicht nur für deutsche Neonazis, sondern für alle Faschisten, Nazis, Islamisten, reaktionäre Christen und alle anderen, die Menschen aufgrund ihrer sexuellen Präferenz, ihrer politischen Einstellung oder ihrer vermeintlichen Andersartigkeit nach dem Leben trachten. Wie die zahlreichen extrem rechten Netzwerke, Chatgruppen und Terrorbanden, die in den vergangenen Jahren im deutschen Sicherheitsapparat aufgedeckt wurden, deutlich machen, kann man sich auf den Staat dabei nicht verlassen. Wenn die Bullen selbst Nazis sind, müssen wir uns auch selbst schützen.
Die Menschen in Tbilisi haben ihre Pride nach den Angriffen trotzdem durchgesetzt. Nicht als fröhliche Party, wie es geplant war, sondern als machtvolle Demonstration vor dem georgischen Parlament. Das gibt Anlass zur Hoffnung.
Solidarisiert euch mit den Menschen in Tbilisi, in Georgien, überall!
Solidarität ist unsere Waffe.
Nie wieder Gott!
Nie wieder Deutschland!