NSU: Blick in den Abgrund — Vortrag & Prozessbericht mit Friedrich Burschel

Son­ntag, 4. Dezem­ber 2016
18.00 Uhr
kino achtein­halb, Nauwieser Str. 19
66111 Saarbrücken

nsu04122016_a5flyer_web

Down­load: Ver­anstal­tungs­fly­er als PDF

Anti­demokratis­che Inlands­ge­heim­di­en­ste, unkon­trol­liertes V‑Mann-Unwe­sen, Nazi-Ter­ror-Szene, ras­sis­tis­che Ermit­tlun­gen und Staatsver­sagen: Zwin­gende Kon­se­quen­zen aus dem NSU-Kom­plex Seit vie­len Monat­en tritt der Münch­en­er NSU-Prozess auf der Stelle. Auch nach den medi­al ger­adezu hys­ter­isch gehypten und dann so dreis­ten und banalen Aus­sagen der bei­den Haup­tangeklagten kurz vor dem Jahre­sende 2015, nach über 60 unver­schämt auftre­tenden Zeug_innen aus der deutschen Nazi-Szene und ständi­gen Aus­fällen von Prozessta­gen bleibt es auch nach über 280 Prozessta­gen schwierig, das Ver­fahren vor dem Ober­lan­des­gericht (OLG) München einzuschätzen, mit dem Geschehen außer­halb des Gerichtssaals in Beziehung zu set­zen und ein Ende mit einem Urteil abzuse­hen. Bizarre Ungle­ichzeit­igkeit­en des Innen und Außen des Prozess­es charak­ter­isieren die aktuelle Entwick­lung: beant­wortet jedoch sind die aller­wenig­sten Fra­gen vom Beginn des Prozess­es, gek­lärt kaum eine der zahllosen, haarsträuben­den Ungereimtheit­en, die die Diskus­sion bes­tim­men. Gesellschaftliche und poli­tis­che Kon­se­quen­zen spie­len im All­t­ag vor Gericht und in den (unter­dessen ZWÖLF) Par­la­men­tarischen Unter­suchungsauss­chüssen so gut wie keine Rolle. Im Gegen­teil, die Zus­pitzung „Dem Inlands­ge­heim­di­enst kon­nte nichts besseres passieren als der NSU“ ist so gültig wie schon kurz nach dem Aufliegen des „Nation­al­sozial­is­tis­chen Unter­grunds“ (NSU). Bei immer neuen ent­poli­tisierten „Sex & Crime“-Schlagzeilen im NSU-Kon­text punk­ten Medi­en in der kur­zlebi­gen Aufmerk­samkeit­sökonomie ohne die wesentlichen Fra­gen zu stellen.
Wir erin­nern uns: Am 4. Novem­ber 2011 ging in Eise­nach ein Wohn­mo­bil in Flam­men auf. Darin wur­den zwei Leichen gefun­den, die offen­sichtlich vorher gewalt­sam zu Tode kamen. Stun­den später explodierte in der Zwick­auer Früh­lingsstraße eine Woh­nung und bran­nte aus. In den fol­gen­den Tagen rollte eine Law­ine von unge­heuer­lichen Erken­nt­nis­sen durchs Land: Die bei­den toten Män­ner in dem Wohn­mo­bil waren Uwe Mund­los und Uwe Böhn­hardt, die Woh­nung in Brand set­zte in Zwick­au Beate Zschäpe, die sich vier Tage nach Eise­nach den Behör­den stellte. Die drei sollen der Kern ein­er neon­azis­tis­chen Ter­ror­bande mit dem Namen NSU gewe­sen sein und nach ihrem Unter­tauchen während der Jahre 1998 bis 2011 neun Men­schen aus ras­sis­tis­chen Motiv­en und eine Polizistin ermordet und ihren Kol­le­gen lebens­ge­fährlich ver­let­zt, min­destens drei Sprengstof­fan­schläge, ein­er davon mit ein­er ver­heeren­den Nagel­bombe in Köln mit vie­len Ver­let­zten, verübt und (min­destens) 15 Raubüber­fälle began­gen haben.

Hin­ter dem Agieren des ter­ror­is­tis­chen NSU und seines wohl Hun­derte Per­so­n­en umfassenden Unter­stützer_in­nen-Net­zw­erks öffnete sich das Panora­ma des wohl  größten Geheim­di­en­st­skan­dals der Geschichte der BRD und eines unvorstell­baren behördlichen Ras­sis­mus’ in den Mor­der­mit­tlun­gen. Gegen die Fam­i­lien und das soziale Umfeld der Opfer und die Ermorde­ten selb­st wurde über Jahre mit kru­den Vor­wür­fen und ras­sis­tis­chen Anschuldigun­gen ermit­telt. Für die betrof­fe­nen Fam­i­lien eine bis zu einem Jahrzehnt währende Demü­ti­gung, ohne dass je auch nur ansatzweise Spuren ins Nazi-Milieu ver­fol­gt wor­den wären. Wie weit staatliche Ver­strick­ung in das Geschehen gegan­gen ist, ist bis heute nicht im Ger­ing­sten gek­lärt, im Gegen­teil: Ein beispiel­los­er Ver­tuschungs- und Obstruk­tion­sskan­dal der unter Ver­dacht ste­hen­den Behör­den (Polizei, Inlands­ge­heim­di­enst „Ver­fas­sungss­chutz“, Bun­desnachrich­t­en­di­enst (BND), Mil­itärisch­er Abschir­m­di­enst (MAD) usw.) über­schat­tet selb­st die Aufk­lärungs­be­mühun­gen Par­la­men­tarisch­er Unter­suchungsauss­chüsse (im Bun­destag I + II, in den Lan­despar­la­menten von Thürin­gen I + II, Sach­sen I + II, Hes­sen, Baden-Würt­tem­berg I + II, Nor­drhein-West­falen, Bay­ern und Bran­den­burg) und des NSU-Prozess­es vor dem Ober­lan­des­gericht in München (seit 6.5.2013). Da wer­den Infor­ma­tio­nen voren­thal­ten und manip­uliert, Akten geschred­dert oder zurück­ge­hal­ten und eine Aufk­lärung des Kom­plex­es der Nazi-Infor­man­t_in­nen (sog. V‑Leute) hin­ter­trieben. Viele ungek­lärte Fra­gen und haarsträubende Ungereimtheit­en sind nach wie vor offen.
Welche nationalen Net­zw­erke mit dem und inter­na­tionalen Verbindun­gen zum NSU nach­weis­bar sind, eben­so. Aber auch eine kri­tis­che und linke Öffentlichkeit hat von dem mörderischen Agieren des NSU keine Notiz genom­men und sich von den Medi­en, die die Polizeiver­sio­nen ungeprüft und aufla­gen­steigernd skan­dal­isiert über­nah­men, den Bären der krim­inellen Machen­schaften im „Aus­län­der­m­i­lieu“ auf­binden lassen: Nie­mand  hat gegen die Etiket­tierung der grausamen Hin­rich­tun­gen als „Dön­er-Morde“ je laut­stark protestiert oder – außer den Betrof­fe­nen – auch nur Zweifel angemeldet. Auch nach­dem in Dort­mund und Kas­sel, nach der Ermor­dung des Kioskbe­sitzers Mehmet Kubaşık und des jun­gen Inter­net­café-Betreibers Halit Yoz­gat am 4. bzw. 6. April 2006, tausende Men­schen migrantis­chen Hin­ter­grunds unter dem Mot­to „Kein 10. Opfer“ demon­stri­erten, wachte die Öffentlichkeit – mit den ras­sis­tis­chen Erk­lärun­gen offen­bar ein­ver­standen – nicht auf. Immer­noch ver­hal­ten und erst langsam artikuliert sich ein Auf­schrei, der all das nicht mehr zu akzep­tieren bere­it ist und begin­nt, eine öffentliche Diskus­sion der Skan­dale, des behördlichen und gesellschaftlichen Ras­sis­mus und der enor­men Gefahren für das Gemein­we­sen, die von den unkon­trol­lier­baren (Inlands-)Geheimdiensten aus­ge­hen, zu erzwin­gen. Zu dieser Diskus­sion soll der Vor­trag von Friedrich Burschel beitragen.

Eine Ver­anstal­tung von Antifa Saar / Pro­jekt AK, Cri­Think! e.V., Hein­rich Böll Stiftung Saar und Peter-Imandt-Gesellschaft/Rosa-Lux­em­burg-Stiftung Saar