Am Donnerstag, 1. Oktober 2015, fand in Saarbrücken der alljährliche Gebetszug „Marsch für das Leben“ statt. An dem gruseligen Aufmarsch, der aus dem Umfeld der in St. Arnual ansässigen, katholisch-fundamentalistischen „Priesterbruderschaft Pius X.“, organisiert wurde, nahmen rund 150 Menschen aller Altersklassen teil. Die Anhänger_innen der Piusbruderschaft, die in Saarbrücken zwei Schulen sowie ein Internat betreibt, trafen sich wie jedes Jahr Anfang Oktober vor der Schwangeren-Beratungsstelle von proFamilia in der Mainzer Straße in Saarbrücken, wo sie auf zahlreichen Plaketen gegen Schwangerschaftsabbrüche protestierten und für die abgetriebenen Föten beteten. In ihren Reden bzw. Predigten propagierten die Mittelalterfreaks ihre Sicht der Dinge: dass der vorzeitige Abbruch einer Schwangerschaft in jedem Fall ein „Mord am ungeborenen Kind“ sei und die hohe Anzahl der Abbrüche den Charakter eines Völkermords habe, dass Frauen als „Gehilfin des Mannes und Mutter der Kinder“ keinerlei Anrecht auf Selbstbestimmung weder über ihren Körper noch über ihr Leben hätten, dass überhaupt sämtliche Errungenschaften und Erscheinungen der modernen Welt Teufelswerk seien. In ihrem wahnhaften Feldzug gegen sexuelle Vielfalt, Empfängnisverhütung, Emanzipation, persönliche Freiheit und Menschenrechte streben die Anhänger_innen der Piusbruderschaft nach einem fundamentalistischen Gottesstaat, in dem jenen, die sich dem von der Piusbruderschaft verkündeten „Willen Gottes“ nicht unterwerfen wollen, mitunter die Todesstrafe drohen soll. Von der antimodernen, antifeministischen, rassistischen und antisemitischen Hetze der Fundamentalchristen fühlten sich in diesem Jahr auch einige nicht ganz so christliche, dafür aber sehr deutsche Teilnehmer angezogen: in den Reihen der Piusbrüder marschierten unter anderem Peter Marx, NPD-Landesvorsitzender und Mitglied im „Arbeitskreis Christen in der NPD“, Christian Klesner (Nazi-Hool und Mitglied der NPD-Tarnorganisation „SaGeSa“), Gerhard Ambrosius (NPD) und Harry Kirsch, ehemals NPD Völklingen und zur Zeit Mitglied der „Freien Bürger Union“, mit.
Nach Abschluss der Auftaktkundgebung zogen die selbsternannten „Lebensschützer“ betend und Kerzen-tragend durch die Saarbrücker Innenstadt zum St. Johanner Markt, wo sich ihnen eine zahlenmäßig kleinere, aber umso lautere Gegendemonstration in den Weg stellte. Mit Redebeiträgen und Parolen wie „Gegen jeden Fundamentalismus! Nieder mit Jesus, für den Kommunismus“ und „Kondome, Spirale, Linksradikale“ konnte die Abschlusspredigt erfolgreich gestört werden. Die anwesende Polizei nahm dies zum Anlass, die rund 40 Menschen umfassende Gegenkundgebung mit der Begründung „Sie sind zu laut!“ zurück- und an den Rand des Marktplatzes zu drängen, wobei es zu kleineren Rangeleien kam. Der Protest begleitete die Fundamentalisten bis zum Ende ihres Aufmarsches, und man ging in der Hoffnung, dass „eure Kinder […] so wie wir“ werden, auseinander.
Der Ablauf des Abends zeigte deutlich, dass es noch einiges an Aufklärungsarbeit über diese großteils im Verborgenen agierende Bande bedarf, und dass für die Zukunft ein breites Bündnis antifaschistischer, antisexistischer, feministischer, fortschrittlicher Menschen auf die Beine gestellt werden sollte, um dem Treiben der Piusbruderschaft Einhalt zu gebieten. Dabei sollte man sich nicht nur auf die jährlichen Anti-Abtreibungs-Märsche konzentrieren, sondern vor allem auf die von der Bruderschaft betriebenen Schulen, in denen Kinder vom Grundschulalter an mit der fundamentalistischen Ideologie der Bruderschaft indoktriniert werden.
Dokumentation: Redebeitrag der Antifa Saar / Projekt AK
(konnte aus organisatorischen Gründen vor Ort nicht gehalten werden)
Liebe Freund_innen, liebe Genoss_innen, liebe Mitstreiter_innen,
wir haben uns heute hier zusammengefunden, um wieder einmal gegen den unsäglichen „Marsch für das Leben“, der tatsächlich ein Marsch gegen Freiheit und Selbstbestimmung ist, zu demonstrieren.
Es ist schlimm genug, dass die Saarbrücker Filiale der sogenannten „Piusbruderschaft“ jedes Jahr im Oktober auf die Straße geht, um gegen Schwangerschaftsabbruch zu hetzen und Frauen als Mörderinnen zu beschimpfen. Schlimm genug, dass sie für sich in Anspruch nehmen, „für das Leben“, nämlich das des ungeborenen Fötus, einzutreten, während sie gleichzeitig anderen Menschen das Recht auf selbstbestimmtes Leben absprechen. Schlimm genug, dass sie für ihre Gräuelpropaganda auch kleine Kinder einspannen, die die Hetzpamphlete der Piusbrüder an Passant_innen verteilen müssen.
Noch weitaus gefährlicher als dieser im Jahresrhythmus durch die Saarbrücker Innenstadt veranstaltete Kreuzzug gegen Sinn und Verstand ist aber die Tatsache, dass der Saarbrücker Ableger der Piusbruderschaft zwei staatlich anerkannte Privatschulen, nämlich eine Grundschule in St. Arnual und eine Realschule in Fechingen mit angeschlossenem Internat, betreibt. Schulen, in denen die Kinder von frühster Kindheit an zum katholischen Fundamentalismus, der den katholischen Gottesstaat anstrebt, erzogen und gedrillt werden. Neben der frühkindlichen Indoktrination mit ihrer fundamentalistischen Ideologie dienen die Schulen, in besonderer Form das Internat, vor allem dazu, die Schülerinnen und Schüler von der „unchristlichen“ und gefährlichen Außenwelt zu isolieren.
Betrieben werden die Schulen vom „Don-Bosco-Schulverein“, der zum „Priorat St. Maria zu den Engeln“ gehört. Das Saarbrücker Priorat ist in der St. Arnualer Julius-Kiefer-Straße ansässig und umfasst nach eigenen Angaben die bundesweit größte Gemeinde der Piusbruderschaft. Ideologischer Leitfaden der Piusbruderschaft und ihrer Schulen ist ein antimoderner Katholizismus, der kirchliche Reformen wie etwa Ökumene, Anerkennung des Judentums und der Religionsfreiheit, kategorisch ablehnt und sich als Verkünder der göttlichen Wahrheit der Mission der Ungläubigen und der Rettung des Abendlandes verschrieben hat. Ziel ihrer Mission ist ein katholischer Gottesstaat, eine Gesellschaftsordnung also, die den Gottesstaaten islamistischer Prägung in nichts nachsteht. Die Einführung der Todesstrafe und das konsequente Verbot von Gotteslästerung, Homosexualität, Pornographie und Abtreibungen sind einige Beispiele für das fundamentalistische Weltbild der Piusbrüder. Ihr Hass auf die sexuelle Selbstbestimmung und die Vielfalt sexueller Vorstellungen und Lebensweisen ist eng verknüpft mit der nationalen Mission, die die Piusbruderschaft der heterosexuellen Ehepartnerschaft andichtet. Einzig erlaubtes Ziel von Sexualität – zwischen Mann und Frau, versteht sich – ist nach dieser Auffassung allein die Reproduktion. Jede andere Form der lustgetriebenen Sexualität, die etwa durch Verhütung oder homosexuelle Partnerschaft nicht die Reproduktion im christlichen Sinne verfolgt, wird als Beitrag zum Aussterben des deutschen Volkes als antivölkisches Verbrechen deklariert. Schwangerschaftsabbrüche, nach Lesart der Fundamentalchristen also die Tötung ungeborenen Lebens, sind in dieser Konsequenz also ein Genozid am eigenen Volk. Liebe und Sexualität werden entindividualisiert und Frauen zu Gebärmaschinen im Dienste der Gemeinschaft degradiert.
Ins gleiche Horn bläst die rassistische Agitation der Piusbruderschaft gegen zugewanderte Menschen, denen man einen islamischen Imperialismus unterstellt. Wozu die Deutschen nicht fähig seien, das hätten Muslime – so die Angst der Piusbrüder – nämlich sehr wohl verstanden: durch fleißiges Kinderkriegen von der Minderheit zur Mehrheit zu werden, und so zu politischer Macht und religiöser Deutungshoheit zu gelangen. Wem solche Wahnvorstellungen bekannt vorkommen: kein Wunder, denn das Gerede von der islamischen Übernahme des Abendlandes qua Reproduktionvorteil gehört seit vielen Jahren zum Repertoire des deutschen Neonazismus. Der NPD-Funktionär Udo Pastörs schwadronierte etwa im Februar 2009 in Saarbrücken über „türkische Männer mit ihren Samenkanonen“, wofür er später eine Verurteilung wegen Volksverhetzung bekam. Berührungsängste mit der extremen Rechten gibt es bei der Piusbruderschaft auch kaum, weder ideologisch noch personell. Ihre antisemitische und antimoderne Ideologie, die hinter jedem gesellschaftlichen Fortschritt eine Verschwörung von „Freimaurern“ sieht, ist in vielen Teilen anschlussfähig an nationalsozialistische Ideen. Dass der Holocaust-Leugner Richard Williamson Mitglied der „Priesterbruderschaft Pius X[10.]“ — so der volle Name – ist, ist dann auch nicht etwa eine bedauernswerte Ausnahme, sondern logische Konsequenz, ebenso dass sich Bücher des britischen Holocaust-Leugners David Irving im Bücherrregal der Schule finden, und dass Vordenker der extremen Rechten in der Saarbrücker Gemeinde referieren.
Das ist die ideologische Basis, auf der zur Zeit rund 75 Kinder in Saarbrücken vom Grundschulalter an ideologisch geschult und indoktriniert werden. Statt die Schülerinnen und Schüler auf die Herausforderungen und Chancen der modernen Welt vorzubereiten, schürt man Ängste vor dem Bösen, das Draußen überall lauert und vor dem nur die eigene fundamentalkatholische Gemeinschaft Schutz bietet. Kinder sollen nicht zu selbstständig denkenden Individuuen erzogen, sondern zu willfährigen Vollstreckern eines klerikalfaschistischen, menschenverachtenden Weltbildes gemacht werden. Diesem Zweck allein dienen die staatlich anerkannten Schulen der Piusbruderschaft, die „Grundschule St. Arnual“ und die „Herz-Jesu Realschule“ in Fechingen.
Die eher zaghaften Versuche staatlicher Stellen, die Schulen und das Internat nach Misshandlungsvorfällen und Verstößen gegen den Belegungsplan zu schließen, sind letztendlich gescheitert. Seit Anfang 2015 ist das Internat in Fechingen wieder geöffnet. Widerstand gegen diese fundamentalistische Parallelgesellschaft unter staatlicher Aufsicht existiert praktisch nicht.
Für ein Leben und Lieben ohne theokratische Maßregelungen!
Religion raus aus den Schulen und den Köpfen!
„Grundschule St. Arnual“ und „Herz-Jesu Realschule“ dichtmachen!