Aufkleber zu Max Braun [PDF]
Anläßlich der Einweihung des Max-Braun-Platzes am 18.10.2012 neben der Alten Feuerwache in Saarbrücken hat die Antifa Saar / Projekt AK zur Würdigung Max Braun´s ein Flugblatt über seinen politischen Werdegang und den Kampf gegen den Nationalsozialimus an der Saar verfasst.
Das Flugblatt kann hier in Druckqualität heruntergeladen werden oder in gedruckter Fassung bei uns bezogen werden (siehe Kontakt).
In Gedenken an Max Braun
Am 3. Juli 1945 starb der Sozialist und militante Antifaschist Max Braun in seinem Londoner Exil. Als Agitator gegen den Anschluss des Saarlandes an Nazideutschland stellte er eine Ausnahmeerschei- nung in der politischen Landschaft des Saarlandes dar. Doch weder zu Lebzeiten, noch nach seinem Tod wurde sein Einsatz angemessen gewürdigt. An seiner Person lässt sich exemplarisch der skandalöse Umgang des Saarlandes mit Menschen aufzeigen, die ihre antifaschistische Gesinnung nicht erst am 9. Mai 1945 entdeckten.
Mathias Josef, genannt Max, Braun wurde am 13. August 1892 als drittes von vier Kindern in Neuss geboren. Er konnte das Lehrerbildungsseminar besuchen und erhielt 1912 eine Anstellung als Volksschullehrer im rheinischen Overath. Noch vor dem ersten Weltkrieg war Braun der SPD beigetreten und nach Kriegsende zum Vorsitzenden der Sozialdemokraten in Neuss und zum Chefredakteur der örtlichen SPD-Zeitung, des „Freien Sprecher“, gewählt worden. 1923 kam Braun nach Saarbrücken und übernahm die Chefredaktion der SPD-Zeitung „Volksstimme“. Der Journalist und Redner wurde schnell zu einer der Führungspersönlichkeiten der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung an der Saar. 1929 wurde er zum Vorsitzenden der 6.000 Mitglieder zählenden SPD gewählt.
Max Braun war in der politischen Landschaft des Saarlandes eine Ausnahmeerscheinung, da er für eine unbedingte Aussöhnung mit Frankreich eintrat und den deutschen Nationalismus und Militarismus verabscheute. Als er 1925 den gerade zum Reichspräsidenten gewählten ehemaligen kaiserlichen General Paul von Hindenburg als “Junker und Militaristen“ und als „Gamaschenkopf mit dem Brett vor der Stirn“ bezeichnete, war die Empörung groß. Durch den Entrüstungsschrei der politischen Rechten verschreckt, leitete der reichsdeutsche SPD-Vorstand ein Schiedsgerichtsverfahren gegen Braun zur Untersuchung seiner „nationalen Zuverlässigkeit“ ein. Hindenburg ernannte dann acht Jahre später, am 30. Januar 1933 Adolf Hitler zum Reichskanzler und wurde so mitverantwortlich für die Errichtung der NS-Terrorherrschaft.
„Heim ins Reich“ — die Volksabstimmung 1935
Das Saarland entstand als politische und administrative Einheit aus preußischen und bayerischen Gebieten, die im Vertrag von Versailles 1919 unter die Verwaltung der UNO-Vorläuferorganisation „Völkerbund“ gestellt worden waren. Das Gebiet umfasste 1.900 km² und hatte ca. 800.000 Einwohner. Die saarländischen Bergwerke, die größtenteils dem preußischen Staat gehört hatten, wurden der Kontrolle Frankreichs unterstellt. Die Schwächung des deutschen Rüstungspotenzials und materielle Entschädigung für die riesigen Verluste des Krieges, der von 1914–18 auf französischem Territorium ausgetragen worden war, bestimmten die Politik Frankreichs gegenüber der Saarregion. Die Tatsache, dass fast das gesamte Nordfrankreich (über 20 Departements) durch die Kämpfe und die deutsche Ausplünderung des Landes in eine Wüste verwandelt worden war, wird bis heute im Saarland kaum zur Kenntnis genommen.
Die Zeit der Völkerbundverwaltung wurde im Versailler Vertrag auf 15 Jahre festgelegt. Nach Ablauf dieser Zeit sollte eine Volksabstimmung über die weitere Zugehörigkeit des Landes entscheiden. Zur Abstimmung standen drei Möglichkeiten: Anschluss an Frankreich, an Deutschland oder Beibehaltung des bestehenden völkerrechtlichen Zustandes, des „Status Quo“. Bis 1933 war bei allen saarländischen Parteien das zukünftige Votum für das demokratische Deutschland, die „Weimarer Republik“, unumstritten. Doch die Zerschlagung der Republik, die Errichtung der NS-Diktatur, der Massenterror gegen die Arbeiterbewegung und die beginnende Verfolgung der jüdischen Minderheit veränderte die politische Situation schlagartig.
Max Braun lehnte alle Versuche der reichsdeutschen SPD-Führung ab, die Organisation durch Anbiederungsversuche an das Regime vor dem Verbot zu bewahren. Am 13. Januar 1935 entschieden sich 90% der Saarländer_innen nicht trotz, sondern wegen Hitler für den Anschluss an Deutschland. Die historische Niederlage der saarländischen Arbeiterbewegung und antifaschistischen Demokratie bedeutete gleichzeitig die Entfesselung des antisemitischen Terrors an der Saar. Für Braun war die Solidarität mit der bedrohten jüdischen Minderheit ein Bestandteil seiner politischen und publizistischen Praxis.
Gegen Deutschland
Nach dem eindeutigen Votum für Nazideutschland in der Abstimmung am 13. Januar 1935 flüchteten etwa 6.000 Saarländer_innen. Für nahezu 90 Prozent aller Saar-Emigrant_innen war die französische Republik das Fluchtziel. Es war nicht zuletzt den Bemühungen von Max Braun zu verdanken, dass diese nach politischen Debatten einen rechtlichen Sonderstatus erhielten, der ihren Aufenthalt und die Integration in die französische Gesellschaft erleichterte.
Nach der Besetzung Frankreichs gelang Braun die Flucht nach London. Eine Verhaftung durch die Gestapo hätte seinen sicheren Tod bedeutet. Mehr als 200 Saarländer_innen, die Frankreich nicht verlassen konnten, kämpften auf Seiten der französischen Résistance gegen die deutsche Terrorherrschaft in den Jahren 1940–45.
Die saarländischen Antifaschist_innen und ihr Staat
Am 11. Juli 1945, acht Tage nach Brauns Tod im Alter von 52 Jahren in seinem Londoner Exil, hissten französische Truppen die Trikolore der Republik auf dem Saarbrücker Rathausturm. Sie ersetzten die amerikanischen Truppen, die Hitlers Wehrmacht in mehrmonatigen erbitterten Kämpfen um die „Saarfestung“ zerschlagen und Saarbrücken am 21. März 1945 besetzt hatten.
Die Stadt lag in Trümmern und war weitestgehend entvölkert. Nur noch 6.000 Menschen lebten in der Stadt, deren Vorkriegsbevölkerung mehr als 140.000 Einwohner zählte. Die US-Truppen befreiten Tausende von Zwangsarbeiter_innen, Kriegsgefangenen und Häftlinge deutscher Konzentrationslager, die zusammen mit den wenigen deutschen Antifaschist_innen diesen Tag lange herbeigesehnt hatten. Die industriellen Regionen des Saarlandes waren schwer zerstört. Der Anschluss an Deutschland und die Beteiligung an dem ungeheuerlichen Eroberungs- und Vernichtungskrieg hatte Zehntausende Menschen das Leben gekostet und der Welt den politischen und moralischen Bankrott des Landes vor Augen geführt.
Mit der Besatzung durch französische Truppen wurde das Land eng an Frankreich angeschlossen. Für die saarländische Bevölkerung erschien eine Absetzbewegung vom Deutschen Reich sehr attraktiv. Der französische Verzicht auf Demontagen der schwerindustriellen Basis des Landes und Lebensmittelrationen, die weit über denen der hungernden französischen Bevölkerung lagen, machten es leicht sich nun als „Saarfranzosen“ zu definieren. Die Führungsposten der 1946 neu zugelassenen Parteien — Sozialdemokratische Partei Saar, Christliche Volkspartei und Kommunistische Partei Saar — wurden fast ausschließlich von Widerstandskämpfern besetzt. Zum ersten Ministerpräsidenten des Landes wählte eine Koalition aus SPS und CVP Johannes Hoffmann. Dieser hatte nach seiner Flucht aus Frankreich schließlich Asyl in Brasilien gefunden, wo er als Butler für den kanadischen Botschafter arbeitete. Sein Hass galt in den Jahren 1933 bis 1945 der deutschen Staatsdoktrin: der wahnhaften Einteilung der Menschheit in verschiedenwertige Rassen und dem Glauben an die Auserwähltheit Deutschlands unter der Führung Adolf Hitlers. Das Justizministerium wurde von Heinz Braun, dem Bruder von Max, übernommen. Arbeits- und Sozialminister wurde Richard Kirn, der von der „Roten Armee“ 1945 aus dem Zuchthaus befreit wurde, wo er eine achtjährige Strafe wegen Hochverrats verbüßte.
Die Kommunistische Partei Saar (KPS) bildete zunächst die einzige relevante Kraft, die sich gegen eine enge Anbindung an Frankreich aussprach (wegen des sich abzeichnenden imperialen Konflikts zwischen der Sowjetunion und den westlichen Alliierten). Sie bildete die legale deutsche Opposition in der saarländischen Parteienlandschaft. Die politische Grundlinie der KPS stand dabei konträr zur Lebens- und Leidensgeschichte vieler saarländischer Kommunist_innen, die Frankreich als Land der Zuflucht und Deutschland als Ort der Verfolgung und des Terrors erlebt hatten.
Die saarländischen Antifaschist_innen empfanden Max Brauns Tod am 3. Juli 1945 als einen unersetzlichen Verlust für die saarländische Demokratie. Am 19. November 1946 beschloss der Stadtrat von Saarbrücken, die Großherzog-Friedrich-Straße in Max-Braun-Straße umzubenennen, was an seinem 2. Todestag im Jahr 1947 offiziell vollzogen wurde. Im Anschluss an die Gedenkfeiern anlässlich seines 10. Todestages wurde die Urne von Max Braun, die bisher in London aufbewahrt worden war, in Saarbrücken beigesetzt.
Auslöschung der Erinnerung
Der Sieg der prodeutschen Parteien in der Abstimmung über das europäische Saarstatut am 23. Oktober 1955 wurde von diesen als endgültiger Sieg über das verhasste „Separatisten- und Emigranten-Regime” gefeiert. Die so genannten „Heimatbundparteien“ von CDU, DPS (welche 1951 wegen NS-Wiederbetätigung verboten wurde und aus der später die Saar-FDP hervorging) und einer nationalistischen Abspaltung der saarländischen SPS, den so genannten „deutschen Sozialdemokraten“, hatten 67 % der Stimmen erhalten. Sie stilisierten die Volksabstimmung zu einer nationalistischen Generalabrechnung mit der saarländischen Nachkriegsgeschichte und den sie prägenden antifaschistischen Widerstandskämpfer_innen.
Populärer Führer des „Heimatbundes“ war der ehemalige NS-Gauredner und antisemitische Hetzer Heinrich Schneider. Bis heute wird er von der saarländischen FDP als einer ihrer Gründungsväter verehrt. Im Abstimmungskampf formierten sich auf Seiten der deutschen Nationalisten die künftigen Führungsgruppen des Saarlandes, die die Politik über Jahrzehnte bestimmen sollten. Lebensgeschichtlich hatten Sie ihre Erfahrungen auf Seiten der Mehrheit der Saarländer gemacht, als führende Mitglieder der Deutschen Front, als NS-Aktivisten, als Angehörige der Funktions- und Vernichtungselite NS-Deutschlands.
Johannes Hoffmann akzeptierte seine Niederlage und trat zurück. Chef einer parteilosen Übergangsregierung wurde Heinrich Welsch, ehemaliger GESTAPO-Chef von Trier. Seine Nachfolger Egon Reinert und Hubert Ney hatten im Abstimmungskampf an führender Stelle für Deutschland und den Führer gekämpft. Ney empfahl noch 1969, die saarländische NPD zu wählen. Der bis heute Im Saarland hochgeehrte langjährige Ministerpräsident Franz-Josef Röder war 1933 der NSDAP und dem NS-Lehrerbund beigetreten. 1937 wurde er in Den Haag Mitglied der illegalen Naziorganisation und war während der deutschen Besatzungszeit als Funktionär des Deutschen Akademischen Austauschdienstes in den Niederlanden verantwortlich für die Entsendung holländischer Kollaborateure an deutsche Universitäten.
Die erneute Emigration hochrangiger Politiker nach Frankreich wurde mit Genugtuung zur Kenntnis genommen. Verwaltungen, Behörden, Polizei und Justiz wurden im Gefolge der prodeutschen Entscheidung durch Pensionierungen, Versetzungen und bürokratische Willkür von „Separatisten“ gesäubert. Französisch als Unterrichtssprache an der saarländischen Universität wurde abgeschafft. Aber anders als 1935 waren dem Wunsch nach Abrechnung und Ausmerzung enge Grenzen gesetzt.
Die Wut derer, die nach eigener Aussage niemals Nazis waren, entlud sich daher in einem Amoklauf gegen die antifaschistische Erinnerungskultur des Saar-Staates. Unter Führung des neuen Landtagspräsidenten und ehemaligen NSDAP-Gauredners Heinrich Schneider wurde der Kampf für „die Ausmerzung der unter der Regierung Hoffmann obwaltenden antideutschen Instinkte im öffentlichen Raum“ (Heinrich Schneider) geführt. Man begann unverzüglich mit der Umbenennung fast sämtlicher Straßen und Plätze, die nach antifaschistischen Widerstandskämpfer_innen und berühmten Französinnen und Franzosen benannt waren. Im gesamten Saarland wurden mit erheblichen finanziellen Mitteln zerstörte Denkmäler des preußischen und deutschen Militarismus wieder aufgebaut.
Es war Schneider und seinen Nazi-Kumpanen ein besonderes Anliegen, die Erinnerung an Max Braun auszulöschen. Bereits 1933 hatte er ihn als Vaterlandsverräter und „Söldling Frankreichs“ beschimpft. Als Vorsitzender der „Saarbrücker Straßenumbenennungskommission“ sorgte er dafür, dass die öffentliche Erinnerung an Max Braun in Saarbrücken ausgelöscht wurde. Es war eine nachgeholte politische Hinrichtung, als im Herbst 1956 der regionale Feudalherr Großherzog Friedrich wieder zum Namensgeber der zentralen Max-Braun-Straße wurde. Brauns Angehörige verstanden die symbolische Bedeutung der Auslöschung dieses Namens und ließen seine sterblichen Überreste nach Neuss überführen.
Erinnerung heute
Anlässlich des 65. Todestages von Max Braun veranstaltete die Antifa Saar / Projekt AK in Zusammenarbeit mit dem ortsansässigen Verein „CriThink e.V. — Verein zur Förderung kritischen Denkens und Handelns“ einen Vortrag zur Erinnerung an Max Braun, sowie eine Kundgebung und Demonstration. Am 18. Oktober 2012 soll nun auf Initiative der Stadt ein kleiner namenloser Platz an der Großherzog-Friedrich-Straße neben dem Landwehrplatz in „Max-Braun-Platz“ umbenannt werden.
Zwar begrüßen wir es, wenn im Saarbrücker Stadtbild ein Platz an Max Braun erinnert. Allerdings ist es bezeichnend, dass ein unbedeutender Platz seinen Namen tragen soll, anstatt die Umbenennung der Max-Braun-Straße in Großherzog-Friedrich-Straße durch die Altnazis der Heimatbund-Parteien rückgängig zu machen. Weiterhin wäre es notwendig, auch die Auslöschung der Erinnerung an saarländische Antifaschist_innen durch Personen zu thematisieren, die nicht nur oftmals begeisterte Anhänger des Nationalsozialismus waren, sondern die durch Straßen und Plätze, die nach ihnen benannt sind, noch immer geehrt werden. Auch die Vereinnahmung von Max Braun durch die Sozialdemokratie gilt es zu kritisieren. So blieb Max Braun auch innerhalb der saarländischen Sozialdemokratie isoliert. Der Umgang der Stadt mit Max Braun ist auch nach der Einweihung des „Max-Braun-Platz“ in unseren Augen keineswegs ausreichend.
Auch heute…
…ist Antifaschismus mehr als Gedenken. Wir wollen Max Braun nicht nur in Erinnerung halten, sondern wir versuchen, aktiv für die von ihm vertretenen antifaschistischen und humanistischen Ideale einzutreten. In der heutigen Zeit bedeutet dies, sich entgegenzustellen gegen neue und nicht so neue Nazis, aber auch gegen alle anderen den Kampf gegen Aufklärung und Individualismus führenden Kräfte, so wie auch gegen ganz ordinäre Deutschtümler. Dieser Antifaschismus ist nicht staatstragend, er tritt nicht auf als moralisches Feigenblatt einer „geläuterten Nation“, er weigert sich das Alibi für deutsche Großmachtpolitik zu geben und ist daher immer wieder von staatlicher Repression bedroht. Diese Repression besteht neben der Verfolgung antifaschistischer Aktivitäten mit polizeilichen und geheimdienstlichen Mitteln auch in dem Versuch, linke Politik durch den Kampfbegriff des „Extremismus“ zu delegitimieren, indem diese mit dem, was sie bekämpft, in eins gesetzt wird. Die ebenso falsche wie gefährliche Extremismustheorie konstatiert zwei „Extreme“ am rechten und linken Rand der Gesellschaft, die der nicht-extremen „Mitte“ feindlich gegenüber stehen. Dabei macht es für die Verfechter dieser Theorie keinen Unterschied, ob Linke Autoscheiben oder Nazis Schädel einschlagen. Über den Vorwurf des politischen „Extremismus“ kann so jeder Kritik an den bestehenden Verhältnissen begegnet werden. Gleichzeitig wird bewusst ausgeblendet, dass Antisemitismus, Rassismus, Sexismus und andere durch Unterdrückung und Gewalt bestimmte Strukturen tief in dieser „Mitte“ verwurzelt sind und sich aus ihr heraus reproduzieren.
Keinen Kompromiss mit der Barbarei!
Gegen Antisemitismus, Rassismus und Deutschen Nationalismus
Antifa Saar / Projekt AK , Oktober 2012