Ein knappes Dutzend Antifaschistinnen und Antifaschisten machte sich am Montag, dem 3. Oktober 2011 auf relativ spontane Initiative der Antifa Saar / Projekt AK auf nach Bonn, um dort gegen die zentralen Feierlichkeiten zum „Tag der deutschen Einheit“ zu demonstrieren. Neben verschiedenen anarchosyndikalistischen Gruppen und dem UmsGanze-Bündnis gab es auch noch das „Imagine there’s no Deutschland“-Bündnis, dessen Aufruf meines Erachtens der inhaltlich Beste war.
Deshalb entschieden wir uns auch, uns in diesem Block einzureihen und mit dem Transparent „Deutschland denken heißt Auschwitz denken“ auf die nicht trennbare Verknüpfung des postnazistischen Deutschlands mit der Shoah aufmerksam zu machen.
Die Demo begann mit Redebeiträgen einer anarchistischen Jugendgruppe aus Bonn und einer kritischen Auseinandersetzung des „Imagine“-Bündnisses mit dem Aufruftext des „Friede, Freude, Eierkuchen“-Bündnisses. Da am Auftaktkundgebungsort die Demoteilnehmer_innen und die Cops die einzigen waren, die den Beiträgen lauschen konnten, war dies meiner Meinung nach auch der richtige Ort einer inhaltlichen Auseinandersetzung unter den aufrufenden Gruppen.
Mit mehr als einer Stunde Verspätung setzte sich der Demonstrationszug dann in Bewegung. Angeführt wurde er von dem UmsGanze-Bündnis mit ca. 350 Teilnehmer_innen, dann kam der Imagine-Block mit ca 180 Leuten und dann noch ein sogenannter Tanzblock mit nochmal etwa 60 Leuten. Insgesamt dürften es also schätzungsweise 600 Personen gewesen sein. Bedenkt man, dass es vor zwei Jahren in Saarbrücken anlässlich der Einheitsfeierlichkeiten trotz eines regional begrenzten Aufrufs und offener Distanzierungen durch das UmsGanze-Bündnis schon 300 Teilnehmer_innen waren, erscheint diese Zahl auf den ersten Blick eher enttäuschend. Allerdings gab es in Bonn auch am Vortag bereits eine Demo mit schätzungsweise 600 Leuten.
Die Demoroute führte uns – stets begleitet von einem engen Polizeispalier – durch Wohngegenden und teils unbewohntes Gebiet. Bei weit über 25 Grad war es ungewöhnlich heiß für Anfang Oktober , was einige von uns ins Schwitzen geraten ließ. Meine Lieblingsparole an diesem Tag: „Wir sind hier aus purer Feindschaft gegen eure Volksgemeinschaft!“
Zum Kotzen übel wurde mir, als aus dem Lauti des Tanzblocks dann plötzlich mit „Die Gedanken sind frei“deutsches Volksliedgut erklang. Ein Lied, dass in seiner bekanntesten Version 1842 von Hoffmann von Fallersleben in der Sammlung „Schlesische Volkslieder“ veröffentlicht wurde. Von diesem von Fallersleben stammt auch folgender Text: „Deutschland, Deutschland über alles – über alles in der Welt (…)“ — Genau – der Text der deutschen Nationalhymne. „Die Gedanken sind frei“ gehört auch verbändeübergreifend zum Liedgut zahlreicher Studentenverbindungen und repräsentiert im Grunde genommen wie kein anderes das „freiheitliche Deutschland“ gegen das sich als solches Inszenierende zu demonstrieren wir doch eigentlich nach Bonn gefahren sind.
Peinlich, Peinlich…und mehr als dumm!
Irgendwann kamen wir dann in der Nähe des Deutschlandfestes an und es wurde eine Zwischenkundgebung abgehalten. Wohl als Antwort auf die Kritik des Imagine-Bündnisses gedacht, war es nun einem Vertreter des im UmsGanze-Bündnis organisierten AK Antifa aus Köln nicht zu blöd an dem einzigen Ort, wo es nun für Redebeiträge auch Publikum außerhalb der Demoteilnehmer_innen gab, erst einmal davon zu schwadronieren, dass „(…) die antideutsche Linke zu allen passenden und unpassenden Anlässen die Israelfahnen schwenken würde (…)“ und ich meine sogar noch ein paar krassere Sachen von ihm gehört zu haben – aber da warten wir doch lieber mal ab bis der Beitrag in Schriftform vorliegt. Meiner Meinung nach hätte ein solcher Beitrag auf die Auftaktkundgebung gehört. Nunja, offenbar scheint es viele zu stören, dass sich am „Tag der deutschen Einheit“ antideutsche Gruppen positionieren. Ich denke, dass einerseits mangelnde Auseinandersetzung mit „antideutschen“ Positionen gepaart mit einer linksdeutschen Sozialisation zu Ressentiment gegenüber diesen führt. Andererseits erahnen wohl auch viele Bewegungslinke, wie es sie in UmsGanze und um UmsGanze herum zu Hauf zu geben scheint, dass auch dieser Ansatz einer kritischen Überprüfung unterzogen – so nicht standhalten kann.
Statt einem Fazit möchte ich an dieser Stelle darauf hinweisen, dass in Bonn am 15.10.2011 ein Symposium mit sehr interessanten Veranstaltungen stattfinden wird. Als Referenten (Frauen wurden offenbar nicht angefragt) sind Alex Feuerherdt, Stephan Grigat, Bernd Beier und Lars Quadfasel angekündigt. Mehr Infos dazu gibt’s unter: http://symposiumbonn.blogsport.de/
In diesem Sinne: Deutschland verrecke!
Bei dem Beitrag handelt es sich um einen zugesandten Bericht eines Antifaschisten.
Weitere Bilder sind auf dem Blog des “Imagine — there´s no deutschland” Bündnis zu finden.