Am späten Abend des 18.März 2005 wurden in der Nähe des Homburger Jugendzentrums insgesamt 3 Jugendliche von Neonazis angegriffen. Ein junger Mann wurde von den bewaffneten Nazis krankenhausreif geschlagen, 2 junge Frauen wurden gezwungen, ihre T‑Shirts mit dem Aufdruck “Gegen Nazis” auszuziehen. Die T‑Shirts wurden verbrannt, die Frauen wurden sexuell belästigt und bedroht.
Deutsche Zustände
Übergriffe wie diese stellen in Deutschland schon lange keine Ausnahme mehr da, sie sind im Gegenteil eher die Regel. Im Osten Deutschlands befinden sich ganze Dörfer und Stadtteile unter der Hegemonie neonazistischer Gruppen, und auch im Westen werden täglich Menschen beschimpft, bedroht, körperlich angegriffen und schwer verletzt. Mit den Worten “Das ist mein Land! Hier habe ich das Recht!” griffen die 6 Homburger Neonazis am vergangenen Wochenende die BesucherInnen des Jugendzentrums an und führten aus, wozu sie sich verpflichtet glaubten: die physische Bekämpfung und Vertreibung von Menschen, die in ihren Augen “undeutsch” und damit Menschen sind, denen sie das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit absprechen dürfen. Opfer solcher Übergriffe sind oftmals jüdische und dunkelhäutige Menschen, Sinti, Roma, Homosexuelle, Linke oder — wie in Homburg — Jugendliche, die sich der Unterordnung in eine deutsche “Schicksalsgemeinschaft” bewusst versagen und darauf scheißen, deutsch zu sein.
Wer vor einem solchen ideologischen Hintergrund handelt, hat auch keine Hemmungen davor, Menschen umzubringen. Erinnert sei an Samuel Yeboah, Flüchtling aus Ghana, der vor 13 Jahren bei einem Brandanschlag auf eine Asylbewerberunterkunft in Saarlouis ermordet wurde. Erinnert sei auch an Ahmed Sarlak, der im August 2002 auf dem Sulzbacher Salzbrunnenfest im Alter von 19 Jahren von einem stadtbekannten Neonazi erstochen wurde. Ein Mord übrigens, der in keiner Statistik über rechtsradikale Gewalttaten auftaucht: das Gericht konnte oder wollte keinen fremdenfeindlichen Hintergrund erkennen und verbuchte den Fall schließlich als Kirmesschlägerei. Die Zahl der Opfer neonazistischer Gewalttaten dürfte um ein Vielfaches höher liegen, als es die Kriminalitätsstatistiken und die Verlautbarungen der Verfassungsschutz-Ämter angeben.
Überfälle wie der vom 18.März in Homburg gehören 2005 schon lange zum Alltag in der BRD. Längst folgt nicht mehr auf jeden Übergriff eine Demonstration, und längst haben sich viele Menschen mit den Realitäten in diesem Land abgefunden. Heute zog ein solcher Überfall wieder eine Demonstration nach sich, und wir sind froh, dass so viele Menschen aus den unterschiedlichsten gesellschaftlichen Gruppen unser Anliegen unterstützen. Keinesfalls in unserem Interesse läge es jedoch, wenn es am Montag nach der Demonstration aus dem spärlich bewachsenen saarländischen Blätterwald schallen würde: “Homburg setzt Zeichen gegen Neonazis — alles wieder gut”. Wir sind kein Teil von Gerhard Schröders lauthals verkündetem “Aufstand der Anständigen”, der toll klingt und doch nur dazu da ist, ausländische Investoren und Journalisten davon zu überzeugen, dass es hier halt doch nicht so schlimm sei. Wir werden niemals vergessen, wo die Nazis herkamen und wo sie heute immer noch und verstärkt wieder auftreten.
NS-Strukturen zerschlagen!
Während Übergriffe von Neonazis oft und gerne mit zuviel Alkohol, Frustration und Perspektivlosigkeit heruntergespielt werden, zeichnet die Realität ein anderes Bild. Die Täter sind oftmals unter den organisierten Neonazis — zum einen die Salonfaschisten der NPD, zum anderen die militanten Neonazis, die sich in sogenannten “Freien Kameradschaften” organisiert haben — oder in deren Umfeld zu finden. Im Saarland besteht mit der ehemaligen “Kameradschaft Saarlautern” aus Saarlouis, die sich in der vergangenen Woche aus juristisch-taktischen Gründen für aufgelöst erklärt hat, eine der aktivsten Neonazigruppen im südwestdeutschen Raum. Als federführende Gruppe im “Aktionsbüro Saar”, einem Zusammenschluss von Neonazikameradschaften aus Saarlouis, Köllertal, Saarbrücken, Homburg und Neunkirchen, organisieren die Saarlouiser Neonazis vor allem Aufmärsche im Saarland, Rheinland-Pfalz bis nach Hessen und fungieren bei Neonazikonzerten als Saalschutz.
Zwischen militanten Kameradschaften und demokratischen Nazi-Parteien wie der NPD bestehen feste Verbindungen und eine regelmäßige Zusammenarbeit, die sich für die Öffentlichkeit wahrnehmbar z.B. in gemeinsamen Demonstrationen (August 2004 in Völklingen) und Veranstaltungen (Januar 2005 in Fechingen) äußert. Offen propagiertes Ziel dieser Gruppierungen, ganz egal ob parteilos oder ‑gebunden, ist die Wiedererrichtung eines nationalsozialistischen Systems. Gehör finden diese Ideen in einem immer größeren Teil der Bevölkerung, der die NPD im letzten Jahr in den Völklinger Stadtrat und in zwei Saarbrücker Bezirksräte wählte. Diese Menschen wählten die NPD nicht obwohl , sondern eben weil es Nazis sind.
Deutsche Ideologie angreifen!
5000 Neonazis marschierten vor wenigen Wochen durch Dresden, um den deutschen Opfern der Bombardierung der Stadt zu gedenken. Tausende Dresdner Bürger taten im Grunde genommen das Gleiche, auch wenn sie sich von den Nazis erst mal distanzierten. Bundeskanzler Schröder erklärte zu diesem Tag, bezogen auf die NPD: “Geschichtliche Zusammenhänge werden verfälscht, die Schuld und Verantwortung, die Nazi-Deutschland für den Ausbruch des zweiten Weltkriegs, für Vernichtung und Terror hatte, wird gar geleugnet.” Da hat er Recht. Aber wenige Sätze später ging es dann weiter “Brücken bauen, Versöhnung leben — das ist die Botschaft des 13. Februar eine Botschaft die in Dresden ebenso verstanden wird wie in Coventry, Guernica und anderen Orten, die Opfer des Krieges wurden”. Die NS-Stadt Dresden also in einer Reihe mit denjenigen Städten, die Opfer der deutschen Angriffskriege wurden. Der Zeitungsredakteur Hermann Gremliza stellte daraufhin in einer seiner Kolumnen die berechtigte Frage: “Waren die Bewohner Coventrys und Guernicas Mitglieder und Wähler einer Partei, die die sich die Vernichtung der Juden, der Kommunisten, der Sinti und Roma, der Homosexuellen, der Behinderten auf die Fahnen geschrieben hat? Haben auch sie sich an dem Vermögen der vor ihren Augen abgeholten Nachbarn bereichert, dem obersten Mörder zwölf Jahre lang “Wir wollen unsern Führer sehn” zugerufen und auf die Frage, ob sie den totalen Krieg wollten Ja! gebrüllt? Gar auf die Nachfrage “Wollt ihr ihn, wenn nötig, totaler und radikaler, als wir ihn uns heute überhaupt noch vorstellen können?” noch lauter? Wurden sie deshalb Opfer ein und desselben Täters “der Unmenschlichkeit des Krieges” ?” (Konkret März 2005)
Wenn solche Relativierungen zur Mehrheitsmeinung werden, schaffen sie ein gesellschaftliches Klima, das gewaltsame Übergriffe auf für anders erachtete Menschen hervorruft. Diese Täter-Opfer-Verdrehung, wie sie seit einigen Jahren von deutschen Historikern wie Guido Knopp oder dem Autor Jörg Friedrich massenwirksam aufgearbeitet wird, legitimiert die Taten neonazistischer Schläger wie hier in Homburg, denn wer sich selbst als Opfer sieht, nimmt sich das Recht, sich gegen die, die man als Schuldige ausmacht, zu wehren. Mit dem Wissen im Rücken, die Meinung vieler tatkräftig auszuführen, macht sich die deutsche Jugend auch hier in Homburg auf, die Straßen von all dem zu säubern, was ihnen nicht deutsch genug erscheint.
Opfer derselben Ideologie, allerdings durch staatliche Hand, werden Menschen, die aus den verschiedensten Gründen — politische und sexuelle Verfolgung, Armut, dem Wunsch nach einem besseren Leben etc. — nach Deutschland fliehen. Geduldet werden mittlerweile die allerwenigsten, für die meisten heißt es oft schon nach der Ankunft: Abschiebung! Oder wie es im so bürokratendeutsch heißt: “Rückführungen ins Heimatland”. Sie sind an der Tagesordnung in dieser Republik. Jährlich werden Tausende aus ihrem gewohnten Lebensumfeld gerissen, zum Frankfurter Flughafen verfrachtet und in ihr angebliches Heimatland gebracht. Auch dann, wenn sie hier geboren wurden und die Sprache des Landes, in das sie “rückgeführt” werden, gar nicht sprechen können. Auch hierfür gibt es Beispiele. Das bekannteste Beispiel im Saarland ist wohl immer noch die Familie Özdemir. Aber das ist bei weitem nicht der letzte Fall gewesen. Nur die Wenigsten geraten an die daran zum Großteil uninteressierte Öffentlichkeit.
Was in Homburg geschehen ist, ist kein Einzelfall, der für sich alleine steht. Was in Homburg geschehen ist, ist etwas in Deutschland alltägliches. Homburg steht hier stellvertretend für das, was wir als “deutsche Zustände” begreifen. Diesen Zustand gilt es anzugreifen. Wie, dafür haben auch wir kein Patentrezept. Der Publizist Wiglaf Droste hat einmal treffend formuliert: “Verbaler Antifaschismus ist Käse. Militant soll er sein, vor allem aber erfolgreich. Wenn sich dabei herausstellen sollte, dass es sich gegen 50, 60, 70, 80 oder 90 Prozent des deutschen Volkes richtet, dann ist das eben so. Wo Nazis “demokratisch” gewählt werden können, muss man sie nicht demokratisch bekämpfen”.
Antifa Saar / Projekt AK