100 Menschen auf Kundgebung der Seebrücke Saar in St. Ingbert – Antifa Saar / Projekt AK thematisiert die Zusammenhänge zu Samuel Yeboah

Für den Dien­stag, den 29. Sep­tem­ber hat­te die See­brücke Saar nach St. Ing­bert vor die Stadthalle mobil­isiert. Anlaß war, dass dort ursprünglich über einen Antrag der Partei dieLinke, St. Ing­bert zum „Sicheren Hafen“ zu erk­lären, im Stad­trat entsch­ieden wer­den sollte. Um dieses löbliche Unter­fange zu unter­stützen, wurde eine Kundge­bung angemeldet. Der St.Ingberter Ober­bürg­er­meis­ter Ulli Mey­er ließ diesen Antrag aber kurz­er Hand von der Tage­sor­d­nung stre­ichen, so dass auch dieses miese Ver­hal­ten zum The­ma der Kundge­bung wurde.

Knapp 100 Men­schen fan­den sich am frühen Dien­stag Abend in St. Ing­bert ein. Während sich die Vertreter_innen des örtlichen Ord­nungsamtes anfangs mehr als unko­op­er­a­tiv zeigten und der angemeldete Platz wegen dort park­enden Autos nicht zur Ver­fü­gung stand, zog die Kundge­bung dann kurz­er Hand ein paar Meter weit­er Rich­tung Stadthalle und nahm auch die eigentlich frei zu hal­tende Zufahrtsstraße ein. So soll das sein. Während die Ord­nungsamts-Mitar­beit­er_in­nen es sich nehmen ließen, hier und da noch ein paar blöde Bemerkun­gen fall­en zu lassen und sichtlich ver­traut mit den ank­om­menden AfD-Abge­ord­neten zu schäck­ern, wurde die Kundge­bung mit Reden von der örtlichen dieLinke-Stad­trats­frak­tion, Con­n­Act, Sea-Eye, dem lokalen Bünd­nis für Weltof­fen­heit, Vielfalt und Tol­er­anz, sowie der See­brücke Saar fort­ge­set­zt. Auch wir wur­den für einen Rede­beitrag ange­fragt und the­ma­tisierten die Zusam­men­hänge zwis­chen dem Mord an Samuel Yeboah, rechtem Ter­ror und der Stadt St. Ingbert.

Video aus: Aktueller Bericht, SR, 29.09.2020

Lest hier unseren Redebeitrag: 

Rede­beitrag zur See­brücke-Kundge­bung am 29.09.2020 in St. Ingbert

Hal­lo liebe Fre­undin­nen und Fre­unde, Genossin­nen und Genossen,

ich darf euch auch hier und heute im Namen der Antifa Saar / Pro­jekt AK zu dieser wichti­gen Kundge­bung begrüßen. Vie­len Dank an die See­brücke Saar für die Organ­i­sa­tion der heuti­gen Aktion und die Ein­ladung zu sprechen.

Heute vor 10 Tagen waren wir in Saar­louis anlässlich des 29. Todestages des aus Ghana nach Deutsch­land geflüchteten Samuel Yeboah. Viele von Euch waren auch dort, um ihm zu gedenken.

Samuel Yeboah wurde ermordet. Durch einen bis heute nicht aufgek­lärten ras­sis­tis­chen Bran­dan­schlag. Er war mit 20 anderen Geflüchteten aus West­afri­ka und Jugoslaw­ien in einem Hotel im Saar­louis­er Stadt­teil Fraulautern unterge­bracht. In der Nacht des 19. Sep­tem­ber 1991 wurde das Hotel angezündet. 

Samuel Yeboah ver­bran­nte. Zwei weit­ere Men­schen wur­den verletzt. 

Saar­louis war damals eine Hochburg des Nazi-Ter­rors in West­deutsch­land. Noch lange bevor der Begriff der „Nation­al befre­it­en Zone“ pop­ulär wurde, wusste man zumin­d­est im ganzen Saar­land, dass man sich als soge­nan­nter „Aus­län­der“, Skater oder Punker bess­er nicht in Saar­louis blick­en lässt. 

In einem Inter­view im Mag­a­zin Stern von 1986 geben Saar­louis­er Nazis offen zu, auch Morde bege­hen zu wollen. Fünf Jahre später ist es dann soweit. 

In einem „Skin­head-Kalen­der“ wird den Saar­louis­er Nazis sog­ar der Monat Feb­ru­ar gewid­met. Das Bild zeigt ‚wie sie sich am Brun­nen am Großen Markt in stolz­er Pose präsen­tieren. Unter­schrieben ist das Bild mit „Saar­lautern – Skins. Deutsch ist die Saar“. „Saar­lautern“ war der eingedeutschte Name von Saar­louis während des Nationalsozialismus.

Samuel Yeboah ging wenige Stun­den vor seinem gewalt­samen Tod mit einem Fre­und an genau diesem Brun­nen vor­bei und sagte beim Anblick von etwa zwei Dutzend dort herum­lungern­den Nazis: „Irgend­wann wer­den die mich umbringen“. 

Wie reagierte die Saar­louis­er Poli­tik darauf, dass ihre Stadt weit über die Lan­des­gren­zen hin­aus als Nazi-Hochburg bekan­nt war? 

Entsch­ied man sich gegen das Prob­lem anzuge­hen und ein Konzept gegen den recht­en Ter­ror zu entwickeln? 

Ermit­telte die Polizei mit Hochdruck?

Förderte man antifaschis­tis­che Pro­jek­te oder die Inte­gra­tion der Geflüchteten? 

Hörte man ihnen zu?

NEIN! — im Gegen­teil: Es wurde demen­tiert und ver­harm­lost, Ermit­tlun­gen wur­den nicht richtig geführt.

Ich zitiere aus einem TAZ-Artikel vom 26.09.1991, also eine Woche nach dem Mord an Samuel Yeboah:

Alfred Fuß, der dama­lige SPD-Bürg­er­meis­ter: „Eine richtige Szene gibt es hier nicht!“. „Skin­heads? Sicher­lich. Ein paar gebe es. Aber aus­län­der­feindlich sei man ganz bes­timmt nicht.“ und „Sich­er, die vie­len Asyl­be­wer­ber wür­den „natür­lich“ nicht gern gese­hen in der Bevölkerung“

Im gle­ichen Artikel heißt es weit­er „Auch der Vor­standssprech­er der saar­ländis­chen Grü­nen Hubert Ulrich weiß von ein­er recht­en Szene nichts. Daß Skin­heads mal einen Pen­ner im Park zusam­mengeschla­gen haben, ja – aber das ist Ewigkeit­en her“. Der gle­iche Hubert Ulrich, der dann 1997 nach ein­er Massen­schlägerei mit Nazis den einzi­gen antifaschis­tis­chen Tre­ff­punkt in Saar­louis, den Info­laden Bam­bule, schließen ließ. Der gle­iche Hubert Ulrich, unter dessen Fit­tichen der heutige AfD-Chef Dörr sein poli­tis­ches Geschäft gel­ernt hat – ja richtig, der war mal bei den Grü­nen. Der gle­iche Hubert Ulrich der die Frech­heit besitzt vor 10 Tagen auf die Kundge­bung in Saar­louis zu kom­men und sich erneut zu dem Mord an Samuel Yeboah inter­viewen zu lassen.

Ich denke das zeigt jet­zt ein bis­chen die Stim­mung von damals in Saar­louis und die Unver­froren­heit­en bis heute. 

Im Fall Samuel Yeboah wur­den die Ermit­tlun­gen nun wieder aufgenom­men, da Hin­weise vor­liegen, dass es sich um eine „recht­sex­trem­istis­che Tat“ gehan­delt habe. 

Ach was. Darauf kommt man jet­zt – nach 29 Jahren.

Wir fordern die Offen­le­gung der Akten im Fall Samuel Yeboah. 

Wir wollen wis­sen, was die Behör­den und Geheim­di­en­ste wussten, was wurde ver­tuscht, wer war involviert? 

Aber auch St. Ing­bert ist in diese Sache involviert. Denn diese Stadt hat­te eben­falls seine Bedeu­tung im saar­ländis­chen, bun­desweit­en und inter­na­tionalen Zusam­men­hang. Gestern vor 29 Jahren fand näm­lich hier in St. Ing­bert – Has­sel auch ein mehr als denkwürdi­ges Ereig­nis statt. 

9 Tage nach dem Mord an Samuel Yeboah fand dort eines der größten Open-Air-Nazikonz­erte im süd­west­deutschen Raum statt. Etwa 500 Nazis feierten mit den Bands Ton­störung, Radikahl und Skrew­driv­er. Die bei­den erst­ge­nan­nten gehörten zur dama­li­gen Zeit zu den ange­sagtesten deutschen Recht­srock­bands in der Szene — als der Begriff Recht­srock noch gar nicht geprägt war. 

Aber mit Skrew­driv­er gelang es den Organ­isatoren die weltweit ange­sagteste Nazi-Band nach St. Ing­bert zu holen. Ihr Sänger, der mit­tler­weile ver­stor­bene Ian Stu­art Don­ald­son, grün­dete 1986 in Lon­don das berüchtigte Blood & Hon­our (zu deutsch: Blut und Ehre) — Net­zw­erk, dass bis heute weltweit aktiv ist und aus dessen Anhänger­schaft und Umfeld sich zahlre­iche rechte Ter­ror­grup­pen her­aus­bilde­ten – so zum Beispiel Combat18 und in Deutsch­land auch der „Nation­al-Sozial­is­tis­che-Unter­grund (NSU)“.

Skrew­driv­er“ reisten von dem Konz­ert hier in St. Ing­bert weit­er nach Cot­tbus und wer­den dort im Jugend­klub „Sandow“ begrüßt. Der städtis­che Klub ist über Jahre Szen­e­tr­e­ff­punkt und Schau­platz zahlre­ich­er kleiner­er Neon­azikonz­erte: „akzep­tierende Jugen­dar­beit“ heißt das staatliche Umar­mungskonzept, dass Neon­azis Sozialarbeiter*innen zur Seite stellt und sie nach Gut­dünken schal­ten und wal­ten lässt. Am Abend vor dem „Skrewdriver“-Konzert in Cot­tbus ziehen britis­che und deutsche Neon­azis betrunk­en und mit Knüp­peln bewaffnet durch die Stadt. Am alter­na­tiv­en Jugend­klub „Glad­house“, der wenige Tage zuvor schon ein­mal attack­iert wurde, ran­dalieren die Recht­en und sprühen mit Trä­nen­gas. Was dann genau geschieht, wird nie gerichts­fest gek­lärt. Fest ste­ht: Ein lang­haariger 20-jähriger Deutsch­er wird gegen 21 Uhr im Bere­ich der Stadt­prom­e­nade von Cot­tbus durch Messer­stiche in den Rück­en aus der Gruppe der Neon­azis lebens­ge­fährlich ver­let­zt. Das Mess­er soll laut den späteren Ermit­tlun­gen der Staat­san­waltschaft der „Skrewdriver“-Gitarrist Stephen Calla­dine, Spitz­name „Stig­ger“, in der Hand gehabt haben. Acht Per­so­n­en, sieben Briten und ein Deutsch­er, wer­den ver­haftet, darunter auch Ian Stu­art Don­ald­son und seine Fre­undin Diane C. Die bei­den let­zt­ge­nan­nten wer­den einige Stun­den später wegen fehlen­den Tatver­dachts freige­lassen. Die anderen Ver­hafteten sagen in ein­er ersten Vernehmung gegenüber dem Ermit­tlungsrichter aus, sie hät­ten ihr Opfer ange­grif­f­en, weil sie ihn für einen „linken Intellek­tuellen“ gehal­ten hätten. 


In der Nähe des Bahn­hofs St. Ing­bert find­en in dieser Zeit immer wieder Nazikonz­erte in der Kneipe Spin­nräd­chen statt, bis diese dann von Antifaschist_innen mas­siv attack­iert wird.
1998 grün­det sich dann
offiziell die saar­ländis­che Sek­tion von Blood & Hon­our. Ihre Post­fachadresse befand sich – na wo wohl? — Ja – in St. Ing­bert.
Es gibt noch zahlre­iche andere Ereignisse und Hin­weise die aufzeigen, dass St. Ing­bert lange Zeit auch einen Knoten­punkt des inter­na­tion­al ver­net­zten recht­en Ter­rors darstellte. Eine Geschichte, die bis­lang noch nicht erzählt wurde. Die Stadt St. Ing­bert muß sich mit diesem Teil ihrer jün­geren Geschichte auseinandersetzen. 

Samuel Yeboah ist aus Ghana nach Deutsch­land geflo­hen. Er wurde hier ermordet.
Aktuell ertrinken Tausende Men­schen vor den Küsten Europas. Die zivile Seenotret­tung wird nicht etwa unter­stütz
t von der EU oder der BRD, son­dern drangsaliert, sabotiert, bekämpft und mit Repres­sion über­zo­gen, während man die, die es zumin­d­est bis zur Küste geschafft haben, in Lager einpfer­cht und sie weit­ge­hend sich selb­st über­lässt.
Deswe­gen sind wir heute hier und wir danken stel­lvertre­tend den Seenotretter_innen von Sea-Watch für ihre Arbeit. Wir danken der See­brücke Saar, dass sie dieses The­ma im Saar­land mit­tler­weile schon seit mehreren Jahren immer wieder auf die Agen­da setz
t und es schafft so viele Men­schen auf die Straße zu brin­gen, denen das nicht scheiße­gal ist, was im Mit­telmeer und in Lagern wie Moria geschieht.


Es ist richtig und wichtig die antifaschis­tis­chen Kämpfe und die Kämpfe für die Rechte von Geflüchteten zusam­men zu denken und zusam­men zu führen. Es liegt an uns dafür zu sor­gen, dass diejeni­gen, die es bis nach Deutsch­land schaf­fen
und alle andern, die von den Recht­en als „nicht-deutsch“ iden­ti­fiziert wer­den, dann hier NICHT ermordet wer­den:

wie Samuel Yeboah 1991 in sein­er Unterkun­ft,
wie Oury Yal­loh 2005 in ein­er Dessauer Polizeizelle,
wie Halit Yoz­gat 2006 in seinem Inter­net­cafe
in Kas­sel,
wie Mer­cedes Kier­pac in 2020 in Hanau 

Diese Namen ste­hen stel­lvertre­tend für die zahllosen Opfer recht­en Ter­rors in der Bundesrepublik.

Erin­nern heißt Kämpfen!

Den Nazis entschlossen ent­ge­gen­treten. Organ­isiert Euch!

Und St. Ing­bert zum Sicheren Hafen ! Sofort!

Vielen Dank

Quellen:

https://www.antifainfoblatt.de/artikel/das-%E2%80%9Eskrewdriver%E2%80%9C-konzert-brandenburg

https://antifa-saar.org/2020/08/17/wir-fordern-die-offenlegung-der-akten-im-fall-samuel-yeboah/19860100-saarlouis-stern-interview-terror-der-skins‑1/

https://antifa-saar.org/2020/08/17/wir-fordern-die-offenlegung-der-akten-im-fall-samuel-yeboah/19910926-taz-rassismus-in-der-festungsstadt/

https://antifa-saar.org/2012/01/25/dokumentation-der-broschuere-kein-schoener-land/