Die Antifa Saar / Projekt AK thematisierte Polizeigewalt bereits 2018 in einem Artikel über die skandalösen Zustände bei der saarländischen Polizei im zweiten Band der Schriftenreihe “Heimatgeschichten — Schlaglichter auf die extreme Rechte an der Saar”. Zwei Jahre später hat sich nichts zum Positiven geändert. Die Ermordung des 46-jährigen schwarzen Amerikaners George Floyd durch einen weißen Polizisten am 25. Mai 2020 in Minneapolis ist eines der jüngsten Beispiele rassistischer Polizeigewalt, die es nicht nur in den USA, sondern ebenso in Deutschland gibt. Die dadurch ausgelösten weltweiten Proteste gegen rassistische Gewalt durch Polizist_innen stießen auch in Deutschland eine Diskussion über Rassismus bei der Polizei und Gewalt durch Polizist_innen sowie die immer weiter reichenden Eingriffe von Repressionsbehörden in die Freiheit der Menschen an. Die Antifa Saar / Projekt AK veröffentlicht hier den aus 2018 stammenden Artikel als Diskussionsbeitrag.
Kriminalitätsschwerpunkt Polizeiwache
Während sich der saarländische Innenminister Klaus Boullion (CDU) gerne als zupackender law-and-order-Politiker inszeniert und immer neue Verschärfungen des Polizeirechts unter anderem mit der Bekämpfung angeblicher Kriminalitätsschwerpunkte begründet werden, bleibt ein öffentlicher Aufschrei ob der skandalösen Umtriebe der saarländischen Polizei aus. Eine Serie von in den vergangenen Jahren öffentlich gewordenen Straftaten, die von Polizist_innen begangen wurden, dürfte nur die Spitze des Eisbergs darstellen. Die Zustände innerhalb der sich selbst als „Freund und Helfer“ gerierenden Polizei belegen die dringende Notwendigkeit einer tiefgreifenden Kritik. Hierzu zählen die Einführung einer Kennzeichnungspflicht von Polizist_innen und einer unabhängigen, von der Polizei strikt getrennten Institution zur Verfolgung von durch Polizist_innen begangenen Straftaten, um zukünftige Opfer von Polizist_innen diesen und ihren Machenschaften nicht weiterhin wehrlos auszuliefern. Dies forderte zuletzt sogar der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in einem Urteil. Die politisch Verantwortlichen, allen voran Innenminister Boullion, machen indes genau das Gegenteil: Statt Menschen vor Polizeigewalt besser zu schützen, wird der alten Mär der Polizeigewerkschaften von stetig zunehmenden Angriffen auf Polizist_innen willig gefolgt und ein neuer Straftatbestand „Tätlicher Angriff auf Vollstreckungsbeamte“ eingeführt. Damit wird die ursprüngliche Intention des „Widerstandsparagraphen“, nämlich eine strafrechtliche Privilegierung der Bürger_innen gegenüber der Staatsgewalt, ins Gegenteil verkehrt.
Folter durch Polizisten — ein „ungeheuerlicher Vorfall“1
Am Morgen des 9. Februar 2014 kam es in der Diskothek „Unsichtbar“ am Saarbrücker Ludwigskreisel zu Streitigkeiten zwischen dem 26-jährigen rumänisch stämmigen Besucher S. und dem Securitypersonal, die einen Polizeieinsatz nach sich zogen. Die beiden vor Ort befindlichen Polizeikommissare G. und M., 26 und 29 Jahre alt, fesselten S. mit Handschellen, angeblich mit der Absicht, diesen in Gewahrsam zu nehmen und auf die Wache bringen zu wollen.2 Während der Fahrt muss von den beiden Polizisten der Entschluss gefasst worden sein, mit S. nicht auf die Polizeiinspektion St. Johann in der Karcherstraße zu fahren, sondern in ein am anderen Ende der Stadt gelegenes Waldstück in Fechingen, wo sie sich wohl vor Zeugen sicher wähnten. Dort zerrten sie den nach wie vor gefesselten S. aus dem Fahrzeug. Der 29-jährige Polizeikommissar M. soll ihm sodann seine komplette Dose Pfefferspray aus nächster Nähe ins Gesicht gesprüht haben.3 Sein fast leeres Pfefferspray wurde im Rahmen der nach der Tat von der Staatsanwaltschaft eingeleiteten Ermittlungen bei einer Durchsuchung der Polizeiwache Karcherstraße sichergestellt. Anschließend trat der Polizist M. das Opfer mit dem Fuß in den Rücken, woraufhin S. zu Boden fiel. Ein zu seinen Dienststiefeln passender Schuhabdruck konnte auf dem Hemd des Opfers gesichert werden.
Scheinerschießung im Wald mit rassistischem Motiv
Als sei die Folter des wehrlosen, psychisch kranken S.4 mittels Pfefferspray und Tritten noch nicht schlimm genug gewesen, stellte sich Polizeikommissar M. auch noch mit dem Fuß auf den Rücken des Opfers, zog seine Pistole aus dem Holster, richtete sie auf den Kopf des Opfers und lud sie durch. Dazu soll der Polizist den rumänisch stämmigen S. als „Zigeuner“ beschimpft und angeschrien haben, er solle sich zurück nach Rumänien „verpissen“, da er in Deutschland nichts verloren habe. Außerdem soll der Polizeibeamte M. die wohl nicht geladene Pistole sogar abgedrückt haben, um die Todesängste, unter denen das Opfer litt, weiter zu verstärken. Nach den Misshandlungen und der Scheinerschießung ließen die Polizeikommissare das verletzte Opfer hilflos im Wald zurück. Durch die Augenverletzungen aufgrund des Pfeffersprays konnte S. kaum etwas sehen. Dennoch gelang es ihm, sich bis an den Waldrand zu schleppen und auf sich aufmerksam zu machen. Ein Anwohner bemerkte die Schreie des unter Schmerzen und Todesängsten leidenden Mannes und verständigte den Rettungsdienst.
Schläge gegen Unschuldige, Anzeige wegen Widerstand
Die anschließenden Ermittlungen gegen die Kommissare M. und G. ergaben, dass diese am gleichen Tag der Misshandlung des Rumänen S. schon zuvor gegen sieben Uhr morgens zwei Personen auf einem Supermarktparkplatz in Saarbrücken St. Johann angegriffen hatten. Die beiden Männer wurden von den Polizeibeamten kontrolliert, als wohl Kommissar M. die Situation bewusst eskalierte und eine der beiden Personen auf den Boden warf und dessen Begleiter mit der Faust ins Gesicht schlug.5 Die Männer wurden gefesselt und auf die Karcherwache verbracht, wo ein Alkoholtest negativ blieb. Anschließend fertigte Kommissar M. gegen beide Männer eine Strafanzeige wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte. Dies kann als das übliche Vorgehen von Polizeibeamt_innen zur Vertuschung der eigenen Straftaten angesehen werden; Die Opfer von Polizeigewalt haben in aller Regel keine Chance, sich gegen die falschen Anschuldigungen durch Polizist_innen zu wehren und Recht zu bekommen. Der innerhalb der Polizei vorherrschende Korpsgeist führt regelmäßig dazu, dass Kolleg_innen die Straftäter_innen in den eigenen Reihen durch Falschaussagen decken. Nichtsdestotrotz erstatteten die beiden Opfer des Übergriffs Strafanzeige gegen Polizeikommissar M. wegen Körperverletzung im Amt.
Serienstraftäter in Uniform
Bereits vor der Misshandlung der beiden Männer auf dem Supermarktparkplatz und des Rumänen S. am 9. Februar 2014 soll Polizeikommissar M. mehrfach Straftaten begangen haben. In einem Fall wird ihm vorgeworfen, im Dienst einen Mann körperlich misshandelt zu haben, 2013 soll er seine damalige Lebensgefährtin bedroht und misshandelt haben. Auch soll er Rezepte gefälscht haben, um sich Aufputsch- und Beruhigungsmittel zu besorgen.6 Selbst nach seiner Suspendierung im Februar 2014 fällt Polizist M. durch weitere Straftaten auf: Ende März 2015 soll er unter Alkoholeinfluss in einen Verkehrsunfall verwickelt gewesen sein, woraufhin sein Führerschein einbehalten wurde. Im Juli 2015 rief ein Kneipenwirt in Saarlouis wegen des mal wieder stark alkoholisierten Polizisten M. die Polizei um Hilfe. Die Polizeibeamt_innen nahmen ihren eigenen Kollegen zur Ausnüchterung in Gewahrsam. Auf der Polizeiwache versuchte M. jedoch zu fliehen, das anschließende Handgemenge brachte Polizeikommissar M. diesmal selbst eine Strafanzeige wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte ein.
Lügen vor Gericht
Im Laufe der Ermittlungen gegen die beiden Polizeikommissare M. und G. zeigte sich außerdem, dass die Misshandlungen des Rumänen S. auf der Karcherwache zumindest innerhalb der Dienstgruppe bekannt waren. Der Vorgesetzte der Dienstschicht soll von den durch die beiden Kommissare begangenen Straftaten Kenntnis gehabt und es aber unterlassen haben, strafrechtliche Schritte gegen seine beiden Kollegen einzuleiten, wozu er verpflichtet gewesen wäre. In der späteren Gerichtsverhandlung gegen den Hauptbeschuldigten M. log und bestritt der Vorgesetzte, dass es ein entsprechendes Gespräch gegeben habe.7 Außerdem soll er versucht haben, den Kollegen G., der als Belastungszeuge gegen den Hauptangeklagten M. auftrat, unglaubwürdig zu machen.8 Wegen dieser Falschaussage vor Gericht wird der Vorgesetzte des sogenannten „Folter-Polizisten“ schließlich zu einer Geldstrafe von 7.200 Euro (120 Tagessätze) verurteilt und ist somit vorbestraft.
„Nestbeschmutzer“ und „Kameradenschwein“
Der an der Tat beteiligte Polizist G. sagte im Laufe der Ermittlungen gegen seinen Streifenkollegen M. aus. Von Kolleg_innen der eigenen Wache wurde er daraufhin als „Nestbeschmutzer“ und „Kameradenschwein“ beschimpft. Außerdem soll dem Beamten ein Foto von ihm mit abgeschnittenem Kopf gezeigt worden sein – eine Morddrohung, die die beabsichtigte Wirkung nicht verfehlte, wie der Kommissar vor Gericht einräumte: „Ich hatte Angst“ — wohl gemerkt vor den eigenen Kolleg_innen.9 Ein Vorgang, den man eher in einem Mafiafilm als auf einer Polizeiwache erwarten würde und der exemplarisch zeigt, dass der innerhalb der Polizei vorherrschende antidemokratische Korpsgeist die Rechtsstaatlichkeit regelmäßig zu unterminieren in der Lage ist.
Mildes Urteil für den Komplizen
Der 26-jährige Polizist G. wurde im Gegensatz zu seinem Kollegen M. nicht vom Polizeidienst suspendiert, sondern lediglich intern versetzt. Gegen Kommissar G. wurde im August 2015 vom Amtsgericht Saarbrücken ein Strafbefehl über 3500 Euro (50 Tagessätze) erlassen. Der Beamte soll sich lediglich der Körperverletzung durch Unterlassen schuldig gemacht haben. Das milde Urteil gegen Polizeikommissar G. wurde damit begründet, dass dieser sich maßgeblich an der Aufklärung der Taten beteiligt habe und als Kronzeuge den Kollegen M. schwer belastet habe.10 Kommissar G., der als Polizist mindestens die schwere Misshandlung und anschließende Scheinerschießung des Rumänen S. mit ansah und billigte, gilt somit weiterhin als nicht vorbestraft. Auch ist er weiterhin als Polizist tätig.
Zwei Jahre auf Bewährung für Polizeikommissar M.
Im April 2016, mehr als zwei Jahre nach den Taten, kommt es schließlich zum Prozess gegen den nun 31-jährigen Haupttäter, Polizeikommissar M. aus Saarlouis; Vorgeworfen werden ihm gefährliche Körperverletzung im Amt in Tateinheit mit Verfolgung Unschuldiger, Freiheitsberaubung, Sachbeschädigung, Urkundenfälschung, Widerstand gegen die Staatsgewalt sowie Bedrohung.11 In seiner Aussage zu Prozessbeginn bestreitet der Polizist den Vorwurf, dass er das Opfer S. geschlagen, getreten und mit seiner Pistole bedroht habe. Es habe sich um Notwehr gehandelt, als er das Opfer mit Pfefferspray im Wald angegriffen habe. Das Opfer berichtet, es habe unter Todesangst gelitten, leide seither unter Panikattacken und habe Angst vor der Polizei.12 Polizisten der Wache Brebach, die zusammen mit dem Rettungsdienst durch einen Zeugen alarmiert worden waren, sagten vor Gericht aus, dass der Angeklagte Kommissar M. nach der Misshandlung des Opfers vorsorglich in der dem Tatort nahe gelegenen und zuständigen Brebacher Polizeiwache angerufen habe und den Kolleg_innen mitgeteilt habe, sie sollten „dem Rumänen nichts glauben, der sei ein Dummschwätzer“.13 Die Oberstaatsanwältin Sabine Kräuter-Stockton sah nach der Hauptverhandlung die Tatvorwürfe als erwiesen an und forderte eine Freiheitsstrafe von drei Jahren. Das Schöffengericht verurteilte den Angeklagten M. erstinstanzlich zu einer Freiheitsstrafe von zweieinhalb Jahren, die somit nicht zu Bewährung hätte ausgesetzt werden können. Das Gericht sah es unter anderem als erwiesen an, dass der angeklagte Polizist M. sich mit einen Fuß auf den Rücken des Opfers gestellt, mit seiner Dienstwaffe auf den Mann gezielt und die Pistole durchgeladen habe. Gegenteilige Behauptungen seien „fernab jeglicher Logik“.14
Gegen das Urteil legte M. Berufung ein, der Fall landete vor dem Landgericht. Im Rahmen einer Verständigung im Strafverfahren einigten sich vor Beginn der Hauptverhandlung das Gericht, die Staatsanwaltschaft sowie der Angeklagte und sein Anwalt auf einen Deal: Für ein Geständnis, eine Entschuldigung bei den Opfern sowie die Zahlung von Entschädigungen wird die Freiheitsstrafe auf zwei Jahre reduziert und kann somit noch zur Bewährung ausgesetzt werden. Der nun Ex-Polizist verliert seinen Beamtenstatus sowie sämtliche Pensionsansprüche.15 Nachdem sich der Angeklagte im ersten Prozess noch abfällig gegenüber seinem Opfer verhalten hatte, dessen Aussage vor Gericht mit Grinsen und Augenverdrehen kommentierte16 und versucht hatte, dessen Glaubwürdigkeit in Zweifel zu ziehen,17 zeigte Kommissar M. nun Reue, Einsicht und Bedauern. Weder die Oberstaatsanwältin noch die Richter sahen einen Anlass, an der Aufrichtigkeit des Geständnisses oder an der vom Angeklagten gezeigten Einsicht und Reue zu zweifeln, so die Saarbrücker Zeitung.18
Mord an Oury Jalloh – Verbrannt im Polizeigewahrsam
2005 verbrannte der Geflüchtete Oury Jalloh in einer Dessauer Polizeizelle, nachdem er durch Polizeibeamte in Gewahrsam genommen und auf einer schwer entflammbaren Matratze an Händen und Füßen fixiert worden war. Über Jahre behaupteten Polizei, Staatsanwaltschaft und Politik, der Gefangene habe sich trotz Fesselung an Händen und Füßen sowie vorangegangener Durchsuchung mit einem Feuerzeug selbst angezündet. Das angebliche Tatfeuerzeug wurde bei der Tatortsicherung nach dem Brand nicht asserviert und tauchte dann Tage später auf – ohne DNA von Oury Jalloh. Die zum Tatzeitpunkt diensthabenden Polizist_innen verstrickten sich in massive Widersprüche. Dies und eine ganze Reihe anderer Ungereimtheiten und Ermittlungsfehler wurden von den Behörden ignoriert und an der abstrusen These der Selbstentzündung festgehalten. Schon zuvor waren in den Jahren 1997 und 2002 zwei Menschen aufgrund schwerster Verletzungen gestorben, nachdem sie von Dessauer Polizist_innen festgenommen worden waren.19 Einer der Polizisten wurde schließlich angeklagt und in der Revisionsverhandlung wegen fahrlässiger Tötung zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen verurteilt, da er das angeblich vorhandene Feuerzeug bei der Durchsuchung Jallohs übersehen und nicht auf den Feueralarm reagiert habe. In der ersten Instanz des Verfahrens erhob der Richter schwere Vorwürfe gegen die Polizei: “Wir hatten nicht die Chance auf ein rechtsstaatliches Verfahren, auf die Aufklärung des Sachverhaltes. (…) Diese Verhandlung ist gescheitert.“ Die „Falschaussagen der Beamten“ seien „erschreckend“ gewesen.20 Durch die beharrliche Arbeit von Initiativen wie „Break the Silence“21 und privat in Auftrag gegebene Brandgutachten kam es Ende 2017 nach Vorlage eines Gutachtens mehrerer Experten bei der bis dahin zuständigen Staatsanwaltschaft zu einem überraschenden Kurswechsel: Statt an der seit nunmehr zwölf Jahren vertretenen These der Selbstentzündung festzuhalten, geht der leitende Oberstaatsanwalt in Dessau nun von einem begründeten Mordverdacht aus und benennt in den Akten konkret verdächtige Polizisten. Es sei laut Oberstaatsanwalt wahrscheinlich, dass Oury Jalloh bereits vor Ausbruch des Feuers mindestens handlungsunfähig oder sogar schon tot gewesen und mit Brandbeschleuniger besprüht und angezündet worden sei.22 Als Motiv kommt für die Staatsanwaltschaft eine Vertuschung des Vorfalls in Betracht, um neue Ermittlungen zu den früheren Todesfällen zu vermeiden. Das Verfahren wurde der Staatsanwaltschaft Dessau daraufhin entzogen und der Staatsanwaltschaft Halle übertragen, angeblich wegen der hohen dienstliche Belastung der Mitarbeiter_innen in Dessau. Die Ermittlungen wurden daraufhin trotz alledem eingestellt.23 |
Die Spanner-Affäre
Im Mai 2013 fliegt ein 31-jähriger Polizeikommissar auf, nachdem er in 30 Fällen heimlich Videoaufnahmen von entkleideten Kolleginnen in Umkleiden und Toiletten von drei Polizeidienststellen in Saarbrücken mit einer als Kugelschreiber getarnten Minikamera gemacht hatte. Makaberer Weise war er bis dahin ehrenamtlich beim „Weißen Ring“ tätig, einer Organisation, die sich der Unterstützung von Kriminalitätsopfern verschrieben hat.24 Im Februar 2014 wird er zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten auf Bewährung verurteilt. Die Amtsrichterin merkt in der Urteilsbegründung an: “Sie und ihre Kolleginnen sind dazu da, Opfer zu schützen und Straftäter zu überführen. Das haben sie auf den Kopf gestellt.“25 – Mal wieder, möchte man ergänzen.
Prügelorgie im Nauwieser Viertel
Im Juni 2012 wird gegen Beamte der Karcherstraße Strafanzeige erstattet wegen des Vorwurfs der Körperverletzung, Nötigung und Strafvereitelung im Amt. Ein Gast der Kneipe „Kurzes Eck“ wurde durch Polizisten verletzt, als er sich angeblich seiner Festnahme widersetzt haben soll. Er erlitt neben einer Schädelprellung diverse weitere Prellungen und Wunden; Auch ein Polizist soll verletzt worden sein. Gegen die Aussagen der sich wie üblich gegenseitig deckenden Polizeibeamt_innen, nämlich dass die Gewalt gerechtfertigt gewesen sei, da das Opfer Widerstand geleistet habe, lagen mehrere Zeugenaussagen vor, die dieser Darstellung widersprachen. „Der junge Mann habe keinen Widerstand geleistet. Die Polizisten hätten ihn mit dem Gesicht auf den Boden gedrückt, Handschellen angelegt und mit dem Knie auf dem Hals fixiert. Dann hätten sie Verstärkung gerufen. Mehrere Polizeiwagen seien angerückt. Einer der herbeigeeilten Beamten sei ein älterer Polizist gewesen, der den am Boden fixierten Mann mit Schlägen traktiert habe,“ berichtet die Saarbrücker Zeitung.26 Mehrere Zeug_innen des brutalen Vorgehens der Polizist_innen machten mit ihren Handys Videoaufnahmen. Da die Polizeibeamt_innen offenbar Angst hatten, durch die Videoaufnahmen später belastet zu werden, nötigten sie rechtswidriger Weise die anwesenden Zeug_innen, die Aufnahmen von der Gewaltorgie zu löschen. Das Polizeiopfer, gegen das wie üblich Anzeige wegen Widerstands erstattet wurde, wurde in der Gerichtsverhandlung von dem Vorwurf freigesprochen.
Video-Skandal die Zweite: „Do kotzt er“
Im Juni 2013 tauchte ein Video auf Youtube auf. Darin zu sehen ist die entwürdigende Vorführung eines offenbar geistig verwirrten, mutmaßlich unter Drogeneinfluss stehenden Mannes, der sich mit gefesselten Händen auf der Rückbank eines Polizeiwagens befindet.27 Der Staatsanwalt äußerte dazu im späteren Gerichtsverfahren: „Es gibt Leute, die finden so etwas lustig. Einen gefesselten Menschen zu sehen, der nicht bei sich ist und in seiner Not vorgeführt wird. Das ist wie im Mittelalter. Damals hatte man die Jahrmärkte, auf denen man kranke Menschen zur Schau stellte.“ Aufgenommen wurde das Video von einem 44-jährigen Polizeikommissar der berühmt-berüchtigten Wache in der Karcherstraße, der für die Aufnahme des Videos wegen Verrats von Dienstgeheimnissen vom Amtsgericht Saarbrücken zu einer Geldstrafe von 1800 Euro (30 Tagessätze) verurteilt wurde. Wer das Video auf Youtube veröffentlicht hatte, konnte nicht geklärt werden. Erwähnenswert ist die Anwesenheit von 20 überwiegend uniformierten Polizist_innen während der Hauptverhandlung, offensichtlicher Beleg für den Korpsgeist innerhalb der saarländischen Polizei, auch wenn die Unverfrorenheit der Zurschaustellung dessen offenbar selbst den Oberstaatsanwalt gleichermaßen überrascht wie verärgert: „Dazu der Anklagevertreter sinngemäß: ‚Als ich heute Morgen zum Gericht gekommen bin und die ganzen Streifenwagen und Polizisten gesehen habe, dachte ich, dass hier ein Prozess der Schwerkriminalität läuft.‘ Aber nein. Stattdessen säße hier eine fast komplette Dienstgruppe der Polizei, die ihrem Kollegen auf der Anlagebank offenbar den Rücken stärken will. Der Anklagevertreter weiter: ‚Das können Sie machen. Machen sie frei und gehen sie in den Prozess.‘ Zuruf aus dem Zuschauerraum: ‚Wir haben frei.‘ Antwort des Oberstaatsanwaltes: ‚Dann kommen Sie mit dem Privatauto.‘“28 Die damalige Landesinnenministerin Monika Bachmann (CDU) antwortete in Bezug auf das demütigende Video auf die Frage, warum denn ausgerechnet Polizist_innen nicht zwischen Recht und Unrecht unterscheiden könnten: „(…) Wir haben bei uns kein Moralproblem.“29
Kommissar Hitler und der Betrugsskandal
Ein weiterer Höhepunkt eines in Reihen der Polizei offenbar weit verbreiteten kruden Rechtsverständnisses kombiniert mit dem bereits bekannten Korpsgeist offenbarte sich im August 2015 der Öffentlichkeit. Ein 42-jähriger Kriminalkommissar der Polizeiwache Karcherstraße trat in einer Samstagnacht im August 2013 in einer Kneipe in der Bleichstraße volltrunken mit gezogenem Seitenscheitel und geschminktem Oberlippenbart als Adolf Hitler auf. Als Besucher der Kneipe dies zu unterbinden versuchten und ein anwesender Jurastudent dem Polizisten mit einer Anzeige wegen Volksverhetzung drohte, schlug Kriminalkommissar J. diesen nieder.30 Die Polizei wurde alarmiert und nahm den Vorgang um ihren Kollegen auf. Im Anschluss verließ Kommissar J. in Begleitung einer Freundin die Kneipe und traf auf dem Sankt Johanner Markt auf vier französische Jugendliche, die den Auftritt als Hitler ebenso unlustig fanden wie zuvor schon die Studenten in der Kneipe. Es kam zu einer Schlägerei, bei der der stark alkoholisierte Kommissar J. verletzt worden sein soll. Auch dieser Vorgang wurde durch die Polizeikolleg_innen der Karcherstraße aufgenommen.31 Im Nachhinein wurden die Vorkommnisse so dargestellt, als ob es sich um einen Dienstunfall des Kommissars gehandelt habe: Er sei zwar privat unterwegs gewesen, habe sich gegenüber den Jugendlichen auf dem Sankt Johanner Markt aber als Polizeibeamter — mit Seitenscheitel und Hitlerbart — ausgewiesen und diesen einen Platzverweis erteilt, nachdem sie seine Begleiterin beleidigt hätten. Im Rahmen dieser polizeilichen Tätigkeit sei es zu den Verletzungen gekommen, die zur Dienstunfähigkeit geführt hätten. Der Einsatzbericht der sich tatsächlich im Dienst befindenden und hoffentlich nüchternen Beamt_innen zu den beiden Vorfällen in der Kneipe und auf dem Sankt Johanner Markt soll nach Intervention des stellvertretenden Chefs der Karcherwache manipuliert und um den Hitlerauftritt „entschärft“ worden sein. Der volltrunken als Führer auftretende Kriminalkommissar hätte in der Folge von einer Entschädigung von 80.000 Euro und hohen Pensionszahlungen profitiert, in der Summe vermutlich über 700.000 Euro. Im August 2015 ließ die Staatsanwaltschaft die Polizeiwache Karcherstraße sowie drei Privatwohnungen durchsuchen. Die Ermittlungen richteten sich gegen den pensionierten Kriminalkommissar J. sowie gegen vier weitere Polizisten, darunter den stellvertretenden Wachleiter der Karcherstraße, wegen des Vorwurfs von Betrug, Beihilfe zum Betrug, Strafvereitelung im Amt, Urkundenfälschung, Körperverletzung und Volksverhetzung. Völlig überraschend wurden die Ermittlungen gegen den Hitler-Kommissar wie auch gegen die meisten seiner Kollegen 2017 eingestellt, da er sich laut Zeugen gegenüber den Angreifern als Polizist ausgewiesen habe.
„Der Holocaust ist die größte Lüge“
Dass Hitler-Kommissar J. nicht der einzige in den Reihen der Saarländischen Polizei mit einem zweifelhaften Verhältnis zum Nationalsozialismus ist, offenbarte ein von der Staatsanwaltschaft Saarbrücken im September 2016 beantragter Strafbefehl über 5400 Euro (90 Tagessätze) gegen einen 57-jährigen Kriminalbeamten wegen Volksverhetzung.32 Dieser soll öffentlich auf Facebook den Holocaust geleugnet und einen Artikel von „mzw-widerstand.com“ mit der Überschrift „Der Holocaust ist die größte Lüge” verlinkt haben.33 „MZW“ steht für „Mut zur Wahrheit“, auf der Nazi-Seite werden neben Reichsbürgerideologie und rassistischen Hetzartikeln regelmäßig Leugnungen des Holocaust publiziert.34 In seinem Beitrag schrieb der Polizist: ‚Leider wird die geschichtliche Aufklärung, bzw. die Entlarvung der großangelegte Lüge über den politischen Werdegang in den 2. Weltkrieg, sowie dessen Ende, inklusiver der Greultaten (sic) der Alliirten (sic) in den Rheinwiesenlagern, ausschließlich durch ausländische (Israelis, Amerikaner) verbreitet!“ Und weiter: „Wie auch immer, der Plan, Deutschland und die Deutschen zu vernichten ist immer noch nicht aufgegeben: Es ist heute nur viel schwerer, ihn zu verfolgen!!!“
Bereitschaftspolizist schlägt Antifaschisten auf Demonstration bewusstlos
Im Juli 2013 fand eine Kundgebung von Neonazis für die Freilassung des NS-Kriegsverbrechers Erich Priebke vor der Saarbrücker Europagalerie statt. Im Rahmen des antifaschistischen Gegenprotests kam es vor dem Hauptbahnhof zu gewaltsamen Übergriffen von Nazis und Polizist_innen auf Demonstrationsteilnehmer_innen. Dabei schlug ein 32-jähriger Beamter der BFE (Beweissicherungs- und Festnahme-Einheit der Bereitschaftspolizei) mit seinem Schlagstock einem Antifaschisten gezielt und mit voller Kraft gegen dessen Kopf. Das Opfer des Angriffs erlitt ein Schädelhirntrauma, sackte zusammen und musste in ein Krankenhaus gebracht werden. Im Nachgang zu der Demonstration leitete die Saarbrücker Polizei — wie üblich — über ein Dutzend Ermittlungsverfahren gegen Antifaschist_innen ein, um den antifaschistischen Gegenprotest zu kriminalisieren. Die Verfahren, unter anderem wegen des Vorwurfs des Landfriedensbruchs, mussten mit einer Ausnahme alle eingestellt werden. Auch gegen das Opfer des Schlagstockeinsatzes wurde, wie nicht anders zu erwarten, ein Verfahren wegen Landfriedensbruch und Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte eingeleitet; Der Antifaschist habe den Polizisten in „Boxerhaltung attackiert“, sodass der Schlagstockeinsatz notwendig gewesen sei. Zwei weitere Polizisten bezeugten die wahrheitswidrigen Anschuldigungen. Dumm für die beteiligten Polizisten war, dass die gesamte Szene in einem Video35 bestens dokumentiert war und nach Ansicht des Videos kein Zweifel daran bestehen konnte, dass der 32-jährige Polizeibeamte einen Demonstranten grundlos niederschlug. Derartige Videos, die von Polizist_innen begangene Straftaten zeigen, werden von den Ermittlungsbehörden allzu oft verschwinden gelassen. In diesem Fall jedoch wurde das Video durch die Antifa Saar / Projekt AK öffentlich gemacht und somit Druck auf die Behörden erzeugt. Gegen den Beamten der BFE wurde wegen Körperverletzung im Amt und Verfolgung Unschuldiger ein Verfahren eingeleitet; gegen seine Kollegen, die dessen Falschaussage bezeugten, ebenfalls. Der 32-jährige Prügelpolizist wurde schließlich zu einer Freiheitsstrafe von eineinhalb Jahren auf Bewährung und der Zahlung eines Schmerzensgeldes von 2000 Euro an den betroffenen Antifaschisten verurteilt. Der Polizist legte daraufhin Berufung gegen das Urteil ein, auch um das automatische Ausscheiden aus dem Polizeidienst sowie den Verlust aller Pensionsansprüche bei einer Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von über einem Jahr abzuwenden. Doch in der Berufung hatte die Verurteilung zu eineinhalb Jahren auf Bewährung bestand. Der vorsitzende Richter in seiner Urteilsbegründung: „Die Strafbarkeit der Verfolgung Unschuldiger dient nicht primär dem Schutz Betroffener, sondern dem Erhalt des Vertrauens in die staatliche Rechtspflege.“36 Von irgendeinem Vertrauen in den Rechtsstaat kann in Anbetracht der Fülle von durch Polizist_innen begangenen Straftaten und der regelmäßigen ungerechtfertigten Einleitung von Ermittlungsverfahren gegen Antifaschist_innen inklusive sich im Nachhinein als ungerechtfertigt herausstellenden Hausdurchsuchungen keine Rede sein. Das Urteil ist rechtskräftig, die Revision wurde vom Oberlandesgericht zurückgewiesen, was sicher auch auf den durch die Veröffentlichungen der Antifa Saar / Projekt AK erzeugten öffentlichen Druck zurückzuführen ist.37
„Der gute Ruf der saarländischen Polizei steht auf dem Spiel“
Der Ruf der Karcherwache als besonders brutale Polizeiwache besteht bereits seit Generationen. So widmete die Saarbrücker Band „Blackeyed Blonde“ den Bullen der Karcherwache bereits 1995 das Lied „Kämpft“.38
Wer wie SZ-Kommentator Michael Jungmann bei der Fülle von durch Polizist_innen begangenen Straftaten noch von einem „guten Ruf der saarländischen Polizei“ schwadronieren kann39 und behauptet, dass die „Selbstreinigung funktioniert“40, verkennt offenbar vollkommen die Realität. Das Muster bei Polizeiübergriffen ist oftmals dasselbe: Betroffene von Polizeigewalt werden durch Gegenanzeigen zu Täter_innen gemacht und haben bei einem eventuellen Prozess gegen übergriffige Polizist_innen so gut wie keine Chance. Die Polizist_innen decken sich durch abgesprochene Aussagen gegenseitig, und die meisten Richter_innen schenken der Aussage einer Polizist_in grundsätzlich mehr Glauben als der eines „Rowdys“, der zum „Tatzeitpunkt“ möglicherweise auch noch alkoholisiert war oder einfach der falschen Jugendszene angehört und aufgrund dessen in den Augen deutscher Jurist_innen vermehrt zu deviantem Verhalten neige.
Ein gängiges Mittel zur Vertuschung polizeilicher Übergriffe ist die Vernichtung von Beweismitteln durch Polizeibeamt_innen. Ohne juristische Grundlage werden Menschen daran gehindert, polizeiliche Übergriffe zu dokumentieren – das betrifft auch immer wieder Journalist_innen, die von der Polizei an ihrer Arbeit gehindert werden. Bei Zuwiderhandlung drohen die Beamt_innen nicht selten mit dem Einsatz körperlicher Gewalt sowie der Einleitung von Strafverfahren und zwingen Zeug_innen, die Beweismittel zu löschen bzw. zu vernichten. Sollte es doch einmal zu Strafverfahren gegen Polizist_innen kommen (die allermeisten Fälle werden bereits vor einer Gerichtsverhandlung eingestellt), müssen sich die angeklagten Beamt_innen in der Regel keine großen Sorgen machen: Fälle, in denen Polizist_innen tatsächlich angemessen für Übergriffe verurteilt wurden, sucht man wie die sprichwörtliche Nadel im Heuhaufen. Im Regelfall können sich die Schläger_innen auf die Aussagen ihrer Kolleg_innen und das Wohlwollen der Richter_innen verlassen.41
Verstoß gegen Antifolterkonventionen der UN und des Europarats
„Vorwürfe gegen Polizisten wegen übermäßiger Gewalt werden häufig nicht aufgeklärt. Um Täter zur Verantwortung zu ziehen, müssen sie identifiziert werden können. Doch in Deutschland bleiben Polizisten anonym – vor allem wenn sie Helme tragen und in geschlossenen Einheiten agieren. Denn in Deutschland gibt es keine individuelle Kennzeichnungspflicht für Polizisten.“ — So amnesty international in der Kampagne „Mehr Verantwortung bei der Polizei“. Nach der Antifolterkonvention der Vereinten Nationen,42 ein völkerrechtlicher Vertrag, dem auch die Bundesrepublik Deutschland beigetreten ist, sind die Vertragsstaaten verpflichtet sicherzustellen, dass alle Vorwürfe über Misshandlungen durch Polizeibeamt_innen unverzüglich und gründlich von unabhängiger Stelle untersucht werden.43 Dies ergibt sich auch aus der Europäischen Antifolterkonvention des Europarats vom 26.11.1987.44 Ein Verzicht auf individuelle Kennzeichnung stellt einen Verstoß gegen die Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten45 dar, wie einem Bericht46 des Europäischen Ausschusses zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe (CPT) des Europarates an die deutsche Regierung aus dem Jahr 2017 zu entnehmen ist: „In den letzten Jahren gab es in Deutschland eine Reihe von Fällen, bei denen strafrechtliche Ermittlungen gegen Polizeibeamte aufgrund von Vorwürfen übermäßiger Gewaltanwendung oder sonstiger Misshandlungen angeblich deswegen eingestellt werden mussten, da es nicht möglich war, die betreffenden Polizeibeamten namentlich zu identifizieren. Diesbezüglich hat der CPT wiederholt betont, dass geeignete Schutzvorkehrungen etabliert sein müssen die sicherstellen, dass Polizeibeamte, die Masken oder andere Ausrüstung tragen, durch die ihre Identifikation erschwert sein kann, für ihr Handeln zur Verantwortung gezogen werden können (z.B. mit Hilfe einer gut sichtbaren Nummer auf der Uniform). Eine solche Regelung hätte mit großer Wahrscheinlichkeit auch eine vorbeugende Wirkung und würde das Risiko übermäßiger Gewaltanwendung und anderer Formen von Misshandlung beträchtlich verringern.“ Außerdem kritisiert der Ausschuss des Europarates das Fehlen einer unabhängigen Institution zur Verfolgung von durch Polizist_innen begangenen Straftaten: „(…) Mit Blick auf die einschlägige Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte hat der CPT jedoch gewisse Zweifel daran, ob Ermittlungen, die von Ermittlern der zentralen Ermittlungsstellen gegen andere Polizeibeamte durchgeführt werden, tatsächlich als vollständig unabhängig und unparteiisch angesehen werden können – dies gilt umso mehr für Ermittlungen, die von Kriminalbeamten der Landeskriminalämter oder örtlichen Polizeipräsidien durchgeführt werden.“ In dem Bericht wird auch der Fall des Saarbrücker Bereitschaftspolizisten erwähnt, der 2013 einen Antifaschisten während einer Demonstration niederschlug.
In den meisten EU-Ländern gibt es eine Kennzeichnungspflicht für Polizeibeamt_innen, so etwa in Belgien, Frankreich, Polen, Rumänien, Slowakei, Großbritannien, Spanien, Estland, Griechenland, Italien, Litauen, Slowenien, Tschechien, Ungarn und Zypern sowie außerhalb Europas unter anderem in den USA und in Kanada, meist in Form einer deutlich sichtbaren Nummer am Einsatzanzug. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGRM) hat immer wieder unterstrichen, dass Ermittlungsverfahren gegen Polizeibeamt_innen nur dann effektiv sein können, wenn sie zur Identifizierung der Täterin oder des Täters führen. Zuletzt hatten zwei Fußballfans, die grundlos von Beamt_innen des berüchtigten bayerischen „Unterstützungskommandos“ (USK) der Bereitschaftspolizei unter anderem mit Pfefferspray und Schlagstock drangsaliert worden waren,47 bis vor den EGMR geklagt und Recht bekommen: Deutschland hat ihr Recht aus Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention verletzt, das Verbot von Folter und unmenschlicher, erniedrigender Behandlung, und muss dafür Entschädigung leisten. Der EGMR konstatierte in seinem Urteil: „Der Gerichtshof bekräftigt, dass, soweit die zuständigen nationalen Behörden maskierte Polizeikräfte einsetzen (…) diesen Kräften vorgeschrieben sein sollte, sichtbare Unterscheidungsmerkmale wie etwa eine Identifikationsnummer zu tragen. (…) Das [andernfalls] folgende Unvermögen von Augenzeugen und Opfern, Beamt_innen, denen Misshandlungen vorgeworfen werden, zu identifizieren, kann zu einer praktischen Straffreiheit für eine bestimmte Kategorie von Polizeibediensteten führen.”48
Die Hörigkeit der Politik
Die von Seite des Europarats und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte regelmäßig geübte Kritik lässt die Verantwortlichen im Saarland indes völlig unberührt, die skandalösen Zustände innerhalb der Saarländischen Polizei werden weiter ignoriert. Über einen Innenminister Boullion wundert man sich weniger, der jedes Stöckchen prompt überspringt, das ihm von Seiten der Polizeilobby hingehalten wird, um sodann die immer gleiche Sau durchs Dorf zu treiben, nämlich die angebliche Notwendigkeit der Verschärfung des Strafrechts zum Schutz von vermeintlich schutzlosen Polizist_innen,49 wohingegen weder eine Stellungnahme noch gar Konsequenzen beispielsweise nach der Misshandlung und Scheinhinrichtung eines Menschen durch saarländische Polizisten zu vernehmen waren. Auch die SPD ist sich nicht zu dumm, um in den von Polizeigewerkschaften orchestrierten Chor einzustimmen, wie in einer Landtagssitzung 2014 deutlich wurde: „Die Forderung [nach einer Kennzeichnungspflicht für Polizist_innen] taucht auch wie Loch Ness alle Schaltjahre wieder einmal aus dem See der saarländischen Sicherheitsdebatte auf und wieder ab (sic), verschwindet wieder. Sie ist eigentlich nicht nachhaltig, denn (…) es gab in der Vergangenheit keinen einzigen Fall, wo bei einem Zwischenfall zwischen Polizei und beispielsweise Demonstranten oder bei anderen Einsätzen durch eine Kennzeichnungspflicht irgendetwas hätte aufgeklärt werden können, was so nicht aufgeklärt worden ist. Die saarländische Polizei verhält sich in allen Fällen sehr sauber. Wenn bei Einzelaktionen mal etwas danebengeht, wird das konsequent verfolgt und aufgeklärt. Das ist auch beim derzeitigen Stand möglich, ohne die persönliche Kennzeichnungspflicht. Deshalb ist auch die SPD in der Vergangenheit immer gegen diese Kennzeichnungspflicht gewesen und ist es auch heute noch“, so der SPD-Fraktionsvorsitzende Stefan Pauluhn im Mai 2014.50 Eine bemerkenswerte Position der saarländischen SPD, haben doch viele Bundesländer mittlerweile eine Kennzeichnungspflicht eingeführt.51 In Nordrhein-Westfalen hat unterdessen die Lobbyarbeit der Polizeigewerkschaften dazu geführt, dass die schwarz-gelbe Landesregierung gemeinsam mit der AfD die Kennzeichnungspflicht 2017 wieder abgeschafft hat.
Auf die Spitze in Sachen blinder Loyalität gegenüber der Polizei trieb es der Hamburger SPD-Bürgermeister Olaf Scholz nach den G20-Protesten im Juli 2017, als er feststellte: “Polizeigewalt hat es nicht gegeben” — ein klarer Fall von Realitätsverleugnung in Anbetracht einer Unzahl offensichtlicher und gut dokumentierter52 Fälle von Polizeigewalt, die ZEIT ONLINE dazu veranlassten, von Polizist_innen “wie Pitbulls auf Speed” zu berichten.53 Man fragt sich, warum dies alles so ist, warum Politiker_innen sich scheinbar blind und taub vor den Karren einer skandalträchtigen Polizei spannen lassen. Blind, weil die Zustände beispielsweise im Saarland oder während des G20-Gipfels offenbar überhaupt nicht zur Kenntnis genommen werden, wie die SPD-Politiker Pauluhn oder Scholz beweisen. Taub, weil jede Mahnung beispielsweise des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ungehört verhallt.
Die Polizeigewerkschaften: Jammern als Mittel der Politik
Mächtige Akteurinnen auf der politischen Bühne sind die Polizeigewerkschaften. Während in der Küche der Spruch gilt „Wer Koch sein will, muss Hitze ertragen können“, scheint auf Polizeiwachen das Gegenteil zu gelten: Wer Polizist_in sein will muss möglichst laut jammern können. Die Konkurrenz von gleich drei Polizist_innenlobbys (Gewerkschaft der Polizei (GdP), Deutsche Polizeigewerkschaft (DpolG) und Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK)) führt zu einem Wettkampf unter diesen um zahlungskräftige Mitglieder, der zuallererst über mediale Präsenz und öffentliche Wahrnehmung gewonnen wird. Als 2011 der Kriminologe und Dozent an der Akademie der Polizei Hamburg, Prof. Rafael Behr, der Polizei vorwarf, sie jammere zu viel,54 war der Aufschrei groß: Die getroffenen Pitbulls auf Speed bellten los, diagnostizierten einen „Fall akuter Profilneurose“ (GdP) und forderten „die Einleitung dienstrechtlicher Maßnahmen, bis hin zur Ablösung“ (DPolG). Der für gewöhnlich am lautesten bellende dieser Hunde ist Rainer Wendt, seit vielen Jahren Vorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft. Wendt hat kein Problem damit, Jürgen Elsässers rechtem, verschwörungstheoretischem „Compact-Magazin“ oder der neurechten „Jungen Freiheit“ Interviews zu geben. Auch ein Buch hat er mittlerweile geschrieben, in dem der Polizist Wendt seine an die extreme Rechte heran reichenden Überzeugungen zum Besten gibt, so zum Beispiel dass Deutschland „kein Rechtsstaat“ sei und “die Hälfte der Deutschen es satt hat, als Nazis abgestempelt zu werden”.55 Die Position dieser Polzeigewerkschaften zur Kennzeichnungspflicht ist klar: „Die Einführung einer Nummerierung von Polizeibeamten (…) ist eine kollektive Diskriminierung (…) [von] Repräsentanten unseres Rechtsstaats, (…) ein Misstrauensvotum gegen Menschen, die ihr Leben und ihre Gesundheit 365 Tage in Jahr und 24 Stunden am Tag für dieses Land und seine Bürgerinnen und Bürger einsetzen“, jammert die DPolG.56 “Die Polizisten werden durch die Kennzeichnungspflicht unter den Generalverdacht gestellt, sich unrechtmäßig zu verhalten, obwohl es dafür überhaupt keinen Anhaltspunkt gibt”, wendet die GdP in Nordrhein-Westfalen ein.57
Doch was war passiert, dass Prof. Behr sich veranlasst sah, der Polizei Jammern vorzuwerfen und dass die Hunde der Polizist_innenlobby sich in der Pflicht sahen, laut los zu bellen? Behr bestritt das seit Jahrzehnten immer und immer wieder vorgetragene Mantra der Polizeigewerkschaften, nämlich dass die Gewalt gegen Polizist_innen immer größer, schlimmer, häufiger werde. Die Freude der Polzeigewerkschaften an derlei Fakten hielt sich selbstverständlich arg in Grenzen: Beabsichtige Studien, die die Gewalt gegen Polizist_innen untersuchen sollten, wurden von Seiten der Polizist_innenlobby erfolgreich sabotiert.58 Um der Gefahr Herr zu werden, dass die Tatsache, dass es keine Zunahme der Gewalt gegen Polizist_innen gibt, in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird, wurde mit Kampagnen zum öffentlichen Gegenangriff geblasen59 — mit Erfolg. Die exzellente Lobbyarbeit und das ständige Gejammere zeigten schließlich Wirkung. Der damalige Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) wusste nun zu verkünden, was ihm von den Lobbyverbänden der Polizei eingeflüstert worden war, nämlich dass in den letzten Jahren Angriffe gegen PolizeibeamtInnen „permanent zunehmen“ würden.60
Die Fakten
In der vom Bundeskriminalamt (BKA) herausgegebenen Broschüre „Gewalt gegen Polizeivollzugsbeamtinnen/-Beamte – Bundeslagebild 2016“61 sind die Fakten einfach und für jedermann zugänglich zu finden: Die langfristige Entwicklung der klassischerweise als Gewalt gegen Polizist_innen begriffenen Delikte „Widerstand gegen die Staatsgewalt“ bzw. „Landfriedensbruch“ ist auf praktisch gleichbleibendem Niveau unverändert. Für das Saarland zeigt sich im Vergleich zum Vorjahr 2015 sogar ein deutlicher Rückgang der Fälle im Jahr 2016 (-12%). Anzumerken in diesem Zusammenhang ist, dass die Polizeiliche Kriminalstatistik, die Grundlage der Daten ist, nicht tatsächliche Kriminalität abbildet, sondern schlicht Ermittlungsverfahren zählt. Da auch eingestellte Verfahren mitgezählt werden, kann dies zu einer Übertreibung der tatsächlichen Fallzahlen führen. Der Polizeiwissenschaftler Prof. Rafael Behr dazu im WDR-Magazin Monitor: „Wenn wir nüchtern das Material betrachten, ist für Alarmstimmung und für eine Hysterie eigentlich kein Platz. Nur, was wir beobachten ist tatsächlich, dass (…) sich der Diskurs um Gewalt gegen Polizeibeamte verselbstständigt, das heißt, er ist moralisch geworden. Es ist eine gefühlte Gewalt, die interpretiert wird, die gemeint ist, und eben keine statistisch nachweisbare mehr.“62 In einer Stellungnahme für den Deutschen Bundestag kommt der renommierte Strafrechtler Prof. Henning Ernst Müller zu dem Ergebnis, dass „die Kriminalstatistik weder in der Fallzählung noch in der Opferzählung geeignet [erscheint], einen Anstieg der Delinquenz gegen Polizeibeamte in den vergangenen fünf Jahren objektiv zu belegen. (…) Es besteht kein kriminologisches Bedürfnis einer Gesetzesverschärfung nur sechs Jahre nach der vorherigen Verschärfung.“63
Auf dem Weg zum autoritären Staat: Der Paragraph 114
Obwohl also erst 2011 der § 113 des Strafgesetzbuches (StGB) „Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte“ verschärft worden war, konnte sich die Polizist_innenlobby mit ihrem Gejammere gegen die Bedenken von Jurist_innen und Kriminolog_innen durchsetzen und am 27. April 2017 die Änderung des Strafgesetzbuchs mit der Einführung des § 114 „Tätlicher Angriff auf Vollstreckungsbeamte“ 64 erreichen: Zukünftig wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft, „wer einen Amtsträger (…) bei einer Diensthandlung tätlich angreift.“ In einem „besonders schweren Fall“ droht gar Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten bis zu fünf Jahren. Die Koalitionsfraktionen von CDU/CSU und SPD ignorierten im Vorfeld der Gesetzesverschärfung umfangreiche Kritik, so zum Beispiel von Prof. Tobias Singelnstein, Jurist und Kriminologe an der Ruhr-Universität Bochum: „Die Formulierung vom tätlichen Angriff klingt zwar nach einer schweren Tat. Juristen verstehen hierunter jedoch alle gewaltsamen Handlungen, die sich gegen den Körper des Beamten richten, zu Schmerzen oder Verletzungen muss es nicht kommen. So wäre schon das Schubsen eines Polizeibeamten mit mindestens drei Monaten Gefängnis bedroht. Auch der Bereich der ‚besonders schweren Fälle‘ ist schnell erreicht. Hierfür genügt es, wenn man bei der Handlung nicht alleine sondern zu zweit ist. Ebenso reicht es aus, wenn man ein Taschenmesser oder ein anderes ‚gefährliches Werkzeug‘ bei sich trägt — auch wenn man keine Absicht hat, dieses zu verwenden.“65 „Die Schuld des Täters auf der einen Seite und die Strafe, die der Staat auf der anderen Seite dafür androht, müssen in einem angemessenen Verhältnis stehen. Und wenn das Schubsen eines Polizeibeamten mit drei Monaten Mindeststrafe bedroht wird, dann ist das aus meiner Sicht nicht mehr angemessen, sondern außerhalb jeglicher Relation,“ so Singelnstein.66 Abgesehen von der übertriebenen Härte des Gesetzes kritisiert der Jurist vor allem den grundsätzlichen Wandel des Verhältnisses zwischen Polizei und bürgerlichen Freiheitsrechten: „Bis vor ein paar Jahren galt der alte Paragraf zum Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte noch als besonders mild. Das war Absicht: Taten, die in der Hitze der Erregung gegenüber Polizeibeamten bei einer Vollstreckungshandlung begangen werden, sollten nicht so scharf beurteilt werden wie sonstige Nötigungshandlungen. So wollte der Gesetzgeber der Ausnahmesituation Rechnung tragen, in der sich Bürger befinden, die gut ausgerüsteten Vertretern der Staatsgewalt mit besonderen Befugnissen gegenüberstehen. Dieses Verständnis verkehrt der Gesetzgeber mit dem geplanten [und umgesetzten] Paragrafen 114 des Strafgesetzbuchs in sein Gegenteil. An die Stelle der bisherigen Privilegierung der Bürger setzt er einen besonderen strafrechtlichen Schutz der Polizei — ein Privileg der Exekutive, das man sonst eher in autoritären Staaten findet.“67
Fazit
Während im Saarland eine ganze Serie von Polizeiskandalen in den letzten Jahren öffentlich wurde, blieb dies ohne nennenswerte Konsequenzen bezüglich des Polizeiapparates. Eine Serie von durch Polizist_innen begangenen, teils schweren Straftaten, Korpsgeist, Falschaussagen vor Gericht zum Schutz von Kolleg_innen und Nichtidentifizierbarkeit von Täter_innen in Uniform zeigen die dringende Notwendigkeit von Reformen der Polizei, um die Einhaltung demokratischer Mindeststandards zu ermöglichen. Forderungen internationaler Organisationen wie des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte etwa nach Einführung einer Kennzeichnungspflicht verhallen ob des Lamentierens der Polizeigewerkschaften ungehört. Stattdessen wir trotz gegenteiliger Faktenlage den Forderungen der Polizeilobbyist_innen nachgegeben und beispielsweise mit Einführung des § 114 StGB die aus demokratischer Sicht äußerst problematische Verschärfung des Strafrechts durchgesetzt.
Stattdessen ist es geboten, endlich internationalen Verpflichtungen nachzukommen und eine Kennzeichnungspflicht für Polizeibeamt_innen, zumindest durch individuelle Nummern auf der Uniform, auch im Saarland einzuführen. Das Fehlen einer unabhängigen Institution zur Verfolgung von durch Polizist_innen begangen Straftaten, wie beispielsweise Misshandlungen, ist ein rechtsstaatliches Defizit, welches dringend behoben werden muss. Eine derartige Beschwerdestelle könnte in Form einer oder eines Polizeibeauftragten, vergleichbar der oder dem Datenschutzbeauftragten, eingeführt werden. Eine Alternative wäre eine von den jeweiligen Parlamenten gewählte Kommission. Grundvoraussetzung muss eine vollständige Unabhängigkeit von den Ermittlungsbehörden sein; eine entsprechende Institution dürfte also keinesfalls einem Ministerium untergeordnet sein sondern sollte dem Parlament als Kontrollorgan der Exekutive angegliedert sein. Die Beschwerdestelle muss von sich selbst aus oder auf Beschwerde hin tätig werden können und über weitreichende Auskunfts- und Betretungsrechte verfügen sowie mit umfangreichen Ermittlungsbefugnissen wie Zeugenbefragungs- und Durchsuchungsrechten ausgestattet werden. Der § 114 „Tätlicher Angriff auf Vollstreckungsbeamte“ schließlich sollte schnellstmöglich wieder ersatzlos gestrichen werden.
Dabei soll nicht der Eindruck entstehen, die Missstände bei der Polizei könnten durch staatliche Reformen allein bekämpft oder verwässert werden. Es zeigt sich vielmehr, dass seitens des Staates kein Bedürfnis besteht, diese an die Leine zu nehmen, sondern, umgekehrt, dieser sich zum Erfüllungsgehilfen der Bedürfnisse der polizeilichen Verbände zu machen bewegt sieht. Trotz rückläufiger Kriminalitätszahlen, trotz offenkundigen Versagens und trotz deutlich sichtbarer Missstände werden die Befugnisse der Polizei weiter ausgeweitet.
Die Polizei selbst allerdings wirkt angesichts der hier aufgelisteten Vorfälle eher wie eine kriminelle Vereinigung, deren Prioritäten wohl vor allem in der Abwehr von Strafverfahren gegen sie selbst liegen. Oder sehen sich die Beamt_innen eher als Sheriffs, die in ihrem Revier machen können, was sie wollen und hierfür weder vor der Verfolgung Unschuldiger noch vor dem Betrug der für sie zuständigen Stellen zurückschrecken? — So oder so: Unter ihnen herrscht auf allen Hierarchieebenen ein militärisch-kameradenhaft anmutender Korpsgeist, der gleichgesinnte Kolleg_innen bei Dienstvergehen schützt und sogenannte Querulant_innen bedroht und einschüchtert. Nicht erwähnt wurden in der Auflistung die zahlreichen Fälle, in denen Polizist_innen gezielt wegschauten und Straftaten wie beispielsweise im Mai 2018 im Falle des sog. Ku-Klux-Klan-Vorfalls in Cottbus bewusst ignorierten.68 Allein diese zeugen wenn nicht von der Bereitschaft wegzuschauen so doch zumindest von der Inkompetenz dieser Polizist_innen.
All diese Vorfälle zeigen letzten Endes, dass seitens des Staates kein Interesse daran besteht, die Rechte des Individuums zu stärken und dass stattdessen eine schlampig agierende und gewaltaffine Polizei weiterhin in ihrer Willkür und Nachlässigkeit unterstützt wird.
Für den antifaschistischen Selbstschutz bedeutet dies, dass sich die Gefahr vergrößert, dieser Willkür und staatlichen Repression noch stärker ausgesetzt zu sein. Nicht nur bringt militantes Vorgehen gegen Neonazis ein umso höheres Kriminalisierungsrisiko mit sich, sondern, wie die zahlreichen Übergriffe zeigen, ist das leibliche Wohl von Antifaschist_innen immer stärker bedroht. Polizist_innen gehen immer rücksichtsloser vor und schützen sich gegenseitig vor internen Ermittlungen, während Antifaschist_innen, nicht zuletzt um sich vor Repression zu schützen, auf Anzeigen gegen Beamt_innen lieber verzichten.
Es dürfte daher in Zukunft schwieriger werden, sich Nazis bei ihren Aktionen in den Weg zu stellen oder antifaschistische Versammlungen in Sicht- und Hörweite zu veranstalten, ohne dabei Gefahr zu laufen, sich zum Objekt staatlicher Repression oder zum Opfer polizeilicher Gewaltexzesse zu machen. Angebote, bei denen sich Nazigegner_innen hingegen weit abseits von Naziveranstaltungen aufstellen dürfen, gewinnen somit sicher weiterhin an Popularität. Es dürfte kein Zufall sein, dass beispielsweise das Saarbrücker Bündnis „Bunt statt Braun“ von einem Polizisten geleitet wird. So macht sich der Staat dadurch, dass er die Polizei immer wohlwollender pampert, auch gleichzeitig zum Garanten erfolgreicher Naziaktionen, die bisher vor allem durch entschlossenen antifaschistischen Widerstand gestoppt werden konnten.
1Polizeipräsident Norbert Rupp am 10.04.2014 in der Saarbrücker Zeitung
2Saarbrücker Zeitung vom 10.04.2014;
https://www.saarbruecker-zeitung.de/saarland/stwendel/nohfelden/kommissar-vom-dienst-suspendiert_aid-1103561 (abgerufen am 28.11.2017)
3http://www.spiegel.de/panorama/justiz/polizei-im-saarland-kommissar-soll-26-jaehrigen-gefoltert-haben-a-963603.html (abgerufen am 28.11.2017)
4Saarbrücker Zeitung vom 23.04.2016;
https://www.saarbruecker-zeitung.de/saarland/saarbruecken/saarbruecken/saarbruecken/die-polizei-wollte-mich-toeten_aid-1698850 (abgerufen am 28.11.2017)
5https://www.saarbruecker-zeitung.de/saarland/saarbruecken/saarbruecken/saarbruecken/kommissar-droht-mehrjaehrige-haftstrafe_aid-1442119 (abgerufen am 28.11.2017)
6https://www.saarbruecker-zeitung.de/saarland/saarbruecken/saarbruecken/saarbruecken/neue-vorwuerfe-suspendierter-polizist-soll-autofahrer-misshandelt-und-ex-freundin-bedroht-haben_aid-1309929 (abgerufen am 28.11.2017)
7https://www.saarbruecker-zeitung.de/saarland/saarland/polizist-wegen-falschaussage-verurteilt_aid-1925673 (abgerufen am 28.11.2017)
8Saarbrücker Zeitung vom 04.05.2017;
https://www.saarbruecker-zeitung.de/saarland/saarbruecken/saarbruecken/saarbruecken/anklage-polizist-soll-ins-gefaengnis_aid-1703765 (abgerufen am 28.11.2017)
9Saarbrücker Zeitung vom 21.04.2016;
https://www.saarbruecker-zeitung.de/saarland/saarbruecken/saarbruecken/saarbruecken/kommissar-legt-teilgestaendnis-ab_aid-1697677 (abgerufen am 28.11.2017)
10https://www.saarbruecker-zeitung.de/saarland/saarbruecken/saarbruecken/saarbruecken/strafbefehl-gegen-polizist-rechtskraeftig_aid-1581358 (abgerufen am 28.11.2017)
11Saarbrücker Zeitung vom 21.04.2016;
https://www.saarbruecker-zeitung.de/saarland/saarbruecken/saarbruecken/saarbruecken/kommissar-legt-teilgestaendnis-ab_aid-1697677 (abgerufen am 28.11.2017)
12Saarbrücker Zeitung vom 23.04.2016;
https://www.saarbruecker-zeitung.de/saarland/saarbruecken/saarbruecken/saarbruecken/die-polizei-wollte-mich-toeten_aid-1698850 (abgerufen am 28.11.2017)
13Saarbrücker Zeitung vom 27.04.2016;
https://www.saarbruecker-zeitung.de/saarland/saarbruecken/saarbruecken/saarbruecken/zehn-polizeibeamte-im-zeugenstand_aid-1700505 (abgerufen am 28.11.2017)
14Saarbrücker Zeitung vom 10.04.2016;
https://www.saarbruecker-zeitung.de/saarland/saarbruecken/saarbruecken/saarbruecken/kommissar-zu-gefaengnisstrafe-verurteilt_aid-1705868 (abgerufen am 27.11.2017)
15https://www.saarbruecker-zeitung.de/saarland/saarbruecken/saarbruecken/saarbruecken/kommissar-wieder-auf-der-anklagebank_aid-1749317 (abgerufen am 28.11.2017)
16Saarbrücker Zeitung vom 23.04.2016;
https://www.saarbruecker-zeitung.de/saarland/saarbruecken/saarbruecken/saarbruecken/die-polizei-wollte-mich-toeten_aid-1698850 (abgerufen am 28.11.2017)
17Saarbrücker Zeitung vom 29.04.2017;
https://www.saarbruecker-zeitung.de/saarland/saarbruecken/saarbruecken/saarbruecken/anwalt-des-polizisten-fordert-gutachten-ueber-glaubwuerdigkeit-des-opfers_aid-1701706 (abgerufen am 28.11.2017)
18https://www.saarbruecker-zeitung.de/saarland/saarbruecken/saarbruecken/saarbruecken/saarbruecker-polizist-zu-zwei-jahren-auf-bewaehrung-verurteilt_aid-1749883 (abgerufen am 28.11.2017)
19http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2017–12/oury-jalloh-rassismus-mord-beamte-generalbundesanwaltschaft-ermittlungen (abgerufen am 21.01.2018)
20https://www.welt.de/politik/article2847307/Wutausbruch-nach-Polizistenfreispruch-in-Dessau.html (abgerufen am 21.01.2018)
22https://www1.wdr.de/daserste/monitor/extras/pressemeldung-oury-jalloh-100.html (abgerufen am 21.01.2018)
23http://www.deutschlandfunk.de/fall-oury-jalloh-staatsanwaltschaft-halle-sieht-keine-neuen.2852.de.html?dram:article_id=400783 (abgerufen am 21.01.2018)
24https://www.saarbruecker-zeitung.de/saarland/saarbruecken/saarbruecken/saarbruecken/polizist-filmte-kolleginnen-in-der-umkleide_aid-1031805 (abgerufen am 29.11.2017)
25https://www.saarbruecker-zeitung.de/sz-spezial/recht/land-leute-gerichtsurteile/bewaehrungsstrafe-fuer-den-spanner-polizisten_aid-18969 (abgerufen am 29.11.2017)
26https://www.saarbruecker-zeitung.de/saarland/saarbruecken/saarbruecken/saarbruecken/staatsanwaltschaft-ermittelt-gegen-polizei_aid-1435791 (abgerufen am 29.11.2017)
27Saarbrücker Zeitung vom 15.06.2013;
https://www.saarbruecker-zeitung.de/saarland/saarland/neuer-video-skandal-bei-der-saar-polizei_aid-616349 (abgerufen am 29.11.2017)
28https://www.saarbruecker-zeitung.de/sz-spezial/recht/aktuell-vermischtes/polizist-wegen-da-kotzt-er-video-auf-youtube-zu-geldstrafe-verurteilt_aid-23724 (abgerufen am 29.11.2017)
29Saarbrücker Zeitung vom 15.06.2013
30https://www.saarbruecker-zeitung.de/saarland/saarbruecken/saarbruecken/saarbruecken/betrug-bei-der-polizei_aid-1573419 (abgerufen am 29.11.2017)
31https://www.saarbruecker-zeitung.de/saarland/saarbruecken/saarbruecken/saarbruecken/durchsuchungen-bei-saarbruecker-polizeibeamten_aid-1573645 (abgerufen am 29.11.2017)
32https://www.saarland.de/dokumente/dienststelle_staatsanwaltschaft_saarbruecken/Pressemitteilung_11-2016.pdf (abgerufen am 29.11.2017)
33https://m.saarbruecker-zeitung.de/saarland/saarbruecken/saarbruecken/saarbruecken/strafbefehl-gegen-polizisten-wegen-volksverhetzung-beantragt_aid-1333104 (abgerufen am 29.11.2017)
34Übersicht über „MZW“: https://igstoppmissbrauch.wordpress.com/category/facebook-nazis-npd/
36http://www.sol.de/archiv/news/Berufung-zurueckgewiesen-Pruegelnder-Polizist-scheitert-vor-Gericht,27035 (abgerufen am 30.11.2017)
37http://www.sr.de/sr/home/nachrichten/panorama/polizeiuebergriff100.html (abgerufen am 30.11.2017)
39Saarbrücker Zeitung vom 11.04.2014
40https://www.saarbruecker-zeitung.de/saarland/saarbruecken/saarbruecken/saarbruecken/durchsuchungen-bei-polizisten_aid-1573919 (abgerufen am 30.11.2017)
41Flugblatt „Video dokumentiert Polizeigewalt gegen antifaschistische Demonstrant_innen“ der Antifa Saar / Projekt AK. Abzurufen unter https://antifa-saar.org/2014/04/23/flyer_polizeigewalt/.
42https://treaties.un.org/Pages/showDetails.aspx?objid=080000028003d679 (abgerufen am 30.11.2017)
43Art. 12 und 16 der Antifolterkonvention der Vereinten Nationen.
44Marco Noli: Kennzeichnungspflicht von Polizeibeamten, in: Freispruch, Heft 6, Februar 2015;
http://www.strafverteidigervereinigungen.org/freispruch/texte/noli_h6_kennzeichnungspflicht.html (abgerufen am 30.11.2017)
47http://www.sueddeutsche.de/muenchen/urteil-am-menschengerichtshof-watschn-fuer-die-muenchner-polizei‑1.3743073 (abgerufen am 02.12.2017)
49https://www.saarbruecker-zeitung.de/saarland/bouillon-fordert-haertere-strafen_aid-2560888 (abgerufen am 02.12.2017)
50http://www.spd-fraktion-saar.de/parlamentsarbeit/die-reden-im-landtag/detail-reden/artikel/201/debatte-zur-12.html?tx_ttnews[pointer380]=2&cHash=b0d81030e75d17eef1aa2c14dea03dce (abgerufen am 02.12.2017)
51Kennzeichnungspflicht für PolizistInnen in Berlin, Brandenburg, Bremen, Hessen, NRW, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und Thüringen (Stand 09/2017)
52https://g20-doku.org/ (abgerufen am 02.12.2017)
53http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2017–07/g20-gipfel-polizei-gewalt-olaf-scholz/komplettansicht (abgerufen am 02.12.2017)
54https://www.abendblatt.de/hamburg/kommunales/article108087768/Hamburger-Kriminologe-Die-Polizei-jammert-zu-viel.html (abgerufen am 02.12.2017)
55Rainer Wendt: Deutschland in Gefahr: Wie ein schwacher Staat unsere Sicherheit aufs Spiel setzt. Riva Verlag 2017.
56DPolG Baden-Württemberg, http://dpolg-bw.de/kennzeichnungspflicht-73.html (abgerufen am 04.12.2017)
57http://www.zeit.de/politik/deutschland/2017–07/kennzeichnungspflicht-polizisten-nrw-abgeschafft-debatte (abgerufen am 04.12.2017)
58http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/gewalt-gegen-polizisten-heule-heule-gaenschen-12092159.html?printPagedArticle=true#pageIndex_0 (abgerufen am 03.12.2017)
59So etwa mit der Kampagne „Auch Mensch“ der Gewerkschaft der Polizei; http://www.auchmensch.de/
60Bundesjustizminister Heiko Maas am 17.02.2017 im Deutschen Bundestag.
61https://www.bka.de/SharedDocs/Downloads/DE/Publikationen/JahresberichteUndLagebilder/GewaltGegenPVB/GewaltGegenPVBBundeslagebild2016.html;jsessionid=5A95372130D410EA04B453175EFFF15A.live0601?nn=60092
62Monitor vom 09.03.2017; https://www1.wdr.de/daserste/monitor/sendungen/gewalt-gegen-polizisten-102.html (abgerufen am 03.12.2017)
63https://www.bundestag.de/blob/499236/16b128a08cd347480cbe33a15344730d/mueller-data.pdf (abgerufen am 03.12.2017)
65http://www.sueddeutsche.de/politik/2.220/aussenansicht-respekt-entsteht-nicht-durch-drohungen‑1.3360909 (abgerufen am 04.12.2017)
66Monitor vom 09.03.2017; https://www1.wdr.de/daserste/monitor/sendungen/gewalt-gegen-polizisten-102.html (abgerufen am 03.12.2017)