Für den Samstag, 10. Januar 2015 riefen wir, die Antifa Saar / Projekt AK, Vertreter der Kurdische Jugend im Saarland, die Aktion 3. Welt Saar und der Bundestagsabgeordnete Thomas Lutze (dieLinke) zu einer gemeinsamen Kundgebung vor dem französischen Konsulat in Saarbrücken auf. Anlass war der Angriff auf die französische Satirezeitschrift Charlie Hebdo und die Ermordung von 12 Menschen durch islamistische Terroristen.
Die Idee zu der Kundgebung entstand wenige Stunden nach dem Bekanntwerden des terroristischen Angriffs und wurde noch am selben Abend von Vertreter_innen der oben genannten Gruppen und mehreren Einzelpersonen beschlossen und gemeinsam vorbereitet. Zu diesem Zeitpunkt erreichten uns auch die ersten Meldungen über ein von BokoHaram verübtes Massaker. Die unterschiedlichen Presseagenturen nannten Zahlen von mehreren Hundert bis hin zu zweitausend Toten.
Der Charakter unserer Kundgebung sollte von Anfang an ein politischer sein. Eine Beschränkung auf eine Schweigeminute und/oder das bloße Niederlegen von Blumen und Anzünden von Kerzen war von Anfang an nicht geplant.
Noch Mittwochs Nachts stellten wir unseren Aufruf online und mobilisierten zu unserer Kundgebung zu der wir etwa 30 bis 80 Teilnehmer_innen aus unserem direkten Umfeld erwarteten.
Kritik an unserer Kundgebung gab es dann vor, während und vor allem nach der Kundgebung.
Im Vorfeld kam diese aus unserer eigenen Gruppe und es ging um den gewählten Ort. Es gäbe keinen Grund vor das französische Konsulat zu gehen, da wir als Antifa Saar / Projekt AK keine Forderungen an den französischen Staat hätten. Das Vorgängermagazin von Charlie Hebdo sei schließlich von eben diesem Staat verboten worden und Kondolenzerklärungen an den französischen Staat oder das französische Volk seien Aufgabe staatlicher Organe. Vielmehr sollten wir den Charakter von Satire, Meinungs- und Pressefreiheit betonen und eine fundierte Islamkritik öffentlichkeitswirksam auf die Straße bringen statt allein irgendwo in Alt-Saarbrücken herumzustehen.
Wir lassen diesen Aspekt unserer internen Diskussion nicht unerwähnt, da er durchaus einige unserer eigenen Widersprüche darstellt. Nichtsdestotrotz entschieden wir weiter zu dem bereits angekündigten Ort zu mobilisieren und es sollte sich auch anders entwickeln. Gingen wir mittwochs noch davon aus, dass das Thema bald vergessen sei und das Entsetzen schnell wieder dem Alltag weichen würde, ging der Terror in Frankreich weiter. In Paris wurde eine Polizistin durch einen weiteren Attentäter ermordet, der anschließend zahlreiche Geiseln in einem jüdischen Supermarkt nahm und vier von ihnen ermordete. Weitere Geiseln überlebten vermutlich nur, weil sie von einem jungen muslimischen Mitarbeiter des Supermarktes, Lassana Bathily, im Kühlraum versteckt wurden und es zu einer Befreiungsaktion durch französische Einsatzkräfte kam, die auch gleichzeitig die beiden Attentäter aus den Redaktionsräumen von Charlie Hebdo bei einem Einsatz erschossen und deren Geiseln befreien konnten.
Diese Ereignisse und eine sich weit verbreitende „Je suis Charlie“- Welle ließen die Ereignisse von Paris nicht schnell vergessen, sondern rückten sie in den Fokus der Weltöffentlichkeit. Es zeichnete sich dann ab, dass vermutlich mehr Menschen als von uns erwartet zum französischen Konsulat kommen würden.
Und so war dann auch der Kundgebungsort vor dem französischen Konsulat gut gefüllt, als wir kurz nach 12 Uhr mit unserem Redebeitrag begonnen haben. Das französische Konsulat hatte anlässlich der Kundgebung auch an diesem Samstag geöffnet und empfing die Menschen, die das Bedürfnis verspürten sich in ein Kondolenzbuch einzutragen.
Nach Angaben der Polizei und der Medien versammelten sich etwa 1000 Menschen vor dem Konsulat. Ausnahmsweise müssen wir mal die Zahlen nach unten korrigieren. Es dürften etwa 500 Menschen gewesen sein, unterschiedlichster Motivation. Neben den Fahnen der Veranstalter_innen, waren noch die der DKP und eine große Europafahne zu sehen. Zudem gab es zwei Transparente von uns. Nachdem wir unseren Redebeitrag beendet hatten, wurden die uns zu diesem Zeitpunkt bekannten Namen der Opfer verlesen und eine Schweigeminute abgehalten.
Danach redete eine Vertreterin der Aktion 3. Welt Saar. Der Redebeitrag machte bereits, ähnlich wie unserer, auf den islamistischen Terror aufmerksam und benannte auch den Islam als „rückwärtsgewandte Ideologie“. Außerdem warnte die Rednerin vor „falscher multikultureller Toleranz“ und stellte klar:
„Wir treten für eine solche multikulturelle Gesellschaft ein, die allen Menschen, ein Leben in Frieden und Freiheit ermöglicht. Es geht um ein gutes Leben für alle Menschen. Es kann nicht um den Erhalt des Abendlandes gehen, sondern um die Verteidigung und die Durchsetzung zivilisatorischer Mindeststandards. Hinter diese darf es kein Zurück geben.“1
Während dieses Redebeitrags kam es dann auch zu einigen „Buh-“ und „Aufhören“-Rufen durch Kundgebungsteilnehmer_innen. Vor allem um die Fraktion der „Europa-Fahnen“-Träger_innen. Darauf angesprochen, äußerten sie, dass es sich bei den Attentätern um Faschisten und nicht um die Anhänger einer Religion handeln würde und dass durch diese Rede Öl ins Feuer gegossen würde. Das Angebot im Anschluss an den Redebeitrag öffentlich mit der Rednerin diese Frage zu diskutieren wurde nicht angenommen. Etwa 100 bis 150 Menschen verließen den Platz zu diesem Zeitpunkt. Wie späteren Äußerungen zu entnehmen war, sahen sie darin das Andenken an Charlie Hebdo durch uns politisch missbraucht und sie wären sowieso nur gekommen um sich ins Kondolenzbuch einzutragen. Andere hingegen lobten ausdrücklich den politischen Charakter der Kundgebung und gaben zu verstehen, dass sie das weitaus besser fänden als die schweigenden Massenversammlungen in Frankreich, die sie bislang in ihren Heimatorten erlebt hätten.
Anschließend hielt noch ein Vertreter der Kurdischen Jugend im Saarland eine sehr kämpferische Rede und im Namen des Offenen Antifa Treffens Saarbrücken wurde ein Beitrag verlesen, der die Geschichte der Satirezeitschrift Charlie Hebdo darstellte. Den Schluss durfte dann Thomas Lutze machen mit seiner Rede in dem er unter anderem auch einen Stopp der Waffenlieferungen aus Deutschland an islamistische Regime forderte.
Nach etwa 90 Minuten erklärten wir dann unsere Kundgebung für beendet.
Im Nachgang zu der Kundgebung berichteten die saarländischen Medien von einem Eklat bei der Kundgebung (Saarbrücker Zeitung) und beim SR-Fernsehen kamen vor allem der französische Konsul und einige „wichtige Leute“ zu Wort. Das ging dann soweit, dass es in dem Fernsehbeitrag an einer Stelle sogar hieß, dass für die nationale Einheit Frankreichs demonstriert worden wäre.
Fazit:
Uns war es wichtig, diese Kundgebung durchzuführen. Wir finden es gut, dass so viele Menschen gekommen sind. Auch viele, die sich sonst sicherlich nie mit unseren politischen Aussagen auseinandersetzen. Und wir stellen uns auch hinter den viel kritisierten Redebeitrag der Aktion 3. Welt Saar.
Ihre Kritik an dem politischen Islam teilen wir, ebenso wie die an der Multikulti-Gesellschaft, die nicht das Individuum in den Mittelpunkt stellt. Wie eine Kritik eben jener aussehen kann, ist sowohl in dem Redebeitrag der Aktion 3. Welt Saar nachzulesen als auch ausführlicher in deren Flugschrift „Bye, Bye Multikulti! – Es lebe Multikulti!“ aus dem Jahre 2009, wo es unter anderem heisst:
„Der in Teilen der linken und liberalen Szene herrschende Kulturrelativismus widerspricht der ursprünglichen Intention der multikulturellen Gesellschaft. Er teilt die Menschen per Geburt in verschiedene Gruppen ein, für die jeweils spezielle Rechte gelten sollen. Jeder Mensch muss entscheiden können, ob er die Riten einer gewissen Kultur ausüben möchte oder nicht. Man darf weder übersehen, dass der in der Mehrheitsgesellschaft verbreitete Rassismus den Rückzug vieler Stigmatisierter in „ihre eigenen” Zwangskollektive befördert, noch ignorieren, dass Zwangskollektive immer antiemanzipatorisch sind.“2
Die Kritik an dem Konzept der „multikulturellen Gesellschaft“ aus linker und linksradikaler Sicht ist nicht neu und weist in eine ganz andere Richtung als die rassistische Hetze von NPD über Pegida, über CDU bis hinein in alle Schichten der Bevölkerung. Wir möchten zum Beispiel die Rest-Autonomen unter unserer Leser_innenschaft und die, die es interessiert an die Flugschrift „Schafft die antifaschistische Einheit – 14 Thesen zum Imperialismus“ der damals nicht ganz unbedeutenden Autonomen Antifa (M) aus dem Jahre 1992 erinnern. Schon dort hieß es unter der Überschrift „Wider die multikulturelle Gesellschaft“ im damals üblichen Duktus:
„Die Multikulturelle Gesellschaft ist kein antirassistisches Konzept, sondern beruht auf ökonomischen Notwendigkeiten des Imperialismus. Klartext: Scheinbare Toleranz im Innern Europas unter optimaler Ausnutzung der Arbeits- und Fachkraft der dort lebenden Menschen und gleichzeitig Abschottung Europas nach außen.“3
Damit wollen wir nicht auffordern auf politische Positionen von Anfang der 90er Jahre zurückzugreifen, sondern darauf hinweisen, dass es auch und gerade in der autonomen Antifa-Bewegung schon vor 23 Jahren massive und berechtigte Kritik am Multikulti-Zirkus und den Lichterketten-Deutschen gab.
Aber offenbar muss auch diese Kritik weiterentwickelt und vor allem weiter vermittelt werden.
Denen, die uns vorwerfen, die Trauer der Menschen an diesem Tag vor dem Konsulat ausgenutzt zu haben, können wir nur sagen, dass wir Euch nicht vorschreiben wie Ihr auf die Ereignisse von Paris zu reagieren habt. Ob mit Schweigen oder mit „Je suis Charlie“-Selfies.
Wir haben mit einer politischen Kundgebung reagiert und damit unsere Wut und Trauer zum Ausdruck gebracht. Und genau das hatten wir auch so angekündigt.
Diejenigen, die ein ernstes Interesse an einer inhaltlichen Auseinandersetzung zu dieser Thematik mit uns haben sind dazu recht herzlich eingeladen.
Wie Ihr uns erreichen könnt, ist auf unserer Homepage unter Kontakt nachzulesen.
In diesem Sinne:
Keinen Kompromiss mit der Barbarei! Islamismus und Rassismus bekämpfen!
Dokumentation der uns schriftlich vorliegenden Reden:
Antifa Saar / Projekt AK
Aktion 3. Welt Saar
Thomas Lutze
Vertreter der Kurdischen Jugend im Saarland [PDF]
Pressemeldungen:
Saarbrücker Zeitung vom 12.01.2014: Eklat bei Frankreich-Mahnwache
Fußnoten:
1: Redebeitrag von Gertrud Selzer: “Rockin’ in the free world / Liberté – Egalité – Fraternité”
2: Flugschrift Aktion 3. Welt Saar: Bye bye Multikuli – Es lebe Multikulti [PDF]