Über 120 Menschen folgten am Samstag, dem 10. April 2021 dem Aufruf des Bündnis Zero Covid Saarland, der Seebrücke Saar, ConnAct Saar und der Antifa Saar / Projekt AK zu einer Kundgebung für einen solidarischen Lockdown auf den Saarbrücker Ludwigsplatz vor die saarländische Staatskanzlei. Die Kundgebung fand im Rahmen des Internationalen Aktionstags der Kampagne #ZeroCovid statt.
Es gab Reden von Michael Quetting (Pflegebeauftragter Verdi), ConnAct Saar, Seebrücke Saar, Waltraud Andruet vom Friedensnetzwerk, der linksjugend Saar und der Antifa Saar / Projekt AK. Über eine Stunde lang wurde die Forderung nach einem solidarischen Lockdown aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet. So machte Michael Quettting deutlich, dass die Überlastung der Pflege schon längst Realität ist – und die Pflege auch schon vor der Krise überlastet war. Von daher sei es ein Hohn, wenn die sogenannte “Saarland-Ampel” im Rahmen der saarländischen Öfffnungsoffensive schon von Anfang an auf Rot stehen müsste. Die Vertreterin von ConnAct Saar zeigte auf, dass bereits seit über einem Jahr klar sei, dass Strategien wie „flatten the curve“ zum Scheitern verurteilt sind und dass die gegenwärtige Krise bereits bestehende Klassenwidersprüche in der kapitalistisch strukturierten Gesellschaft nur verschärft. Die linksjugend machte auf die Absurdität aufmerksam sich versammeln zu müssen, um einen Lockdown zu fordern. Die Seebrücke Saar thematisierte die Situation von Geflüchteten und forderte einmal mehr die sofortige Schließung des Lagers in Lebach. Die Rolle der Bundeswehr und ihren Einsatz im Innern wurde durch das Friedensnetzwerk kritisch beleuchtet. Zum Abschluss durften auch wir als Antifa Saar / Projekt AK unsere Einschätzung der aktuellen Situation vortragen und dem interessierten Publikum unserer Forderungen präsentieren.
Danke an alle, die heute da waren und mit denen zusammen wir diese Kundgebung organisieren durften.
Wir veröffentlichen hier unseren Redebeitrag der Antifa Saar / Projekt AK.
Die Lage ist erschreckend: Die weltweite SARS-CoV-2-Pandemie ist weiterhin außer Kontrolle. Über 130 Millionen Infizierte, fast 3 Millionen Tote innerhalb eines Zeitraums von etwas mehr als einem Jahr. Hinzu dürfte eine beträchtliche Dunkelziffer an ungezählten Infizierten und Verstorbenen kommen. Das Leid der Erkrankten, die Verzweiflung der Angehörigen ist nicht in Zahlen zu fassen. Es sterben Menschen, weil es an Sauerstoff fehlt. Im Jahr 2021. Die Zustände in den letzten Tagen und Stunden des Lebens sind oft unwürdig: Menschen sterben alleine, einsam, ohne Beistand. Wenn es hauptsächlich die Älteren sind, die sterben, so ist es allerdings mitnichten so, dass jüngere Menschen nicht betroffen sind. Auf den Intensivstationen werden auch 30- und 40-jährige Erkrankte behandelt, die schwere Verläufe erleiden und mitunter wochenlang beatmet werden müssen. Sie leiden ganz besonders an den Folgen der Infektion, auch noch Monate, nachdem sie in der Statistik als „Genesene“ vermerkt werden. Die Lungen scheinen zum Teil unheilbar geschädigt. Die Folge ist Atemnot bei geringster Belastung; eine fortdauernde, für viele unvorstellbare Lebenseinschränkung.
Es ist also unzweifelhaft, dass es sich um eine Katastrophe epochalen Ausmaßes handelt, die großes Leid verursacht. Auch unzweifelhaft sollte sein, dass alle Anstrengungen darauf verwendet werden sollten, dieser Pandemie Einhalt zu gebieten, Neuinfektionen zu verhindern und Erkrankten die bestmögliche Therapie und Fürsorge zukommen zu lassen.
Die politisch Verantwortlichen geben indes in den letzten Wochen und Monaten ein zu großen Teilen erschreckendes Bild ab. In Deutschland herrscht ein föderales Chaos vor mit unterschiedlichen Regelungen von Landkreis zu Landkreis, von Bundesland zu Bundesland. Als ob ein Virus sich an solche Grenzen halten würde. Eine weltweite Pandemie innerhalb der Grenzen eines Landkreises bekämpfen zu wollen ist eine noch dümmere Idee als dies innerhalb der Grenzen eines Nationalstaats zu versuchen. Der Rat von Wissenschaftler*innen wird größtenteils ignoriert. Die dritte Welle der Pandemie ist längst da und zeigt das Scheitern der „flatten the curve“-Strategie eindrucksvoll. Der seit der zweiten Welle in Deutschland beschlossene und immer wieder verlängerte sogenannte Lockdown hat vor allem das Ziel, die Produktion von Waren möglichst nicht zu beeinträchtigen. Während Unternehmen und Konzerne uneingeschränkt weiter produzieren können, sind die Einschränkungen im privaten Leben erheblich. Die Folgen der Pandemie weitaus stärker zu spüren als die meisten Großkonzerne bekommen so auch Kinder und Jugendliche, deren Bildung und soziales Leben in einer extrem wichtigen Phase ihres Lebens in erheblichem Maße eingeschränkt wird. Auf europäischer Ebene mangelt es an Zusammenarbeit und Koordination. Statt gemeinsamer europaweiter Lockdown-Maßnahmen zur drastischen Verringerung der Infektionszahlen erleben wir nationalistische Reflexe wie Grenzschließungen oder Einreisebeschränkungen.
Während die Infektionszahlen aktuell wieder massiv ansteigen und in anderen Regionen Lockdown-Maßnahmen verschärft werden, geht das Saarland indes seinen ganz eigenen Weg: Steigende Infektionszahlen werden irrwitzigerweise mit einem Zurücknehmen von Eindämmungsmaßnahmen beantwortet. „Großes entsteht immer im Kleinen“, so auch die nächste große Welle der Pandemie. Absehbare Folge wird eine weitere Überlastung der Intensivstationen sein. Das von Ministerpräsident Tobias Hans großspurig angekündigte „Saarland-Modell“ wird also auf Kosten der im Gesundheitswesen, insbesondere auf Kosten der auf den Intensivstationen Arbeitenden gehen. Der Stufenplan der Landesregierung, die „Saarland-Ampel“, sieht erst bei einer „drohenden Überlastung des Gesundheitswesens“ die „Rücknahme aller Öffnungsschritte“ und einen „konsequenten Lockdown“ vor. Die Lage auf den Intensivstationen war indes schon dramatisch, lange bevor das SARS-CoV-2-Virus überhaupt existierte und bevor zu den Intensivpatient*innen noch mehrere Tausend an Covid-19 Erkrankte hinzukamen. Somit müsste die Landesregierung alleine schon deswegen die Stufe 3 ihrer „Saarland-Ampel“ ausrufen und einen konsequenten Lockdown verfügen.
Schon ohne Covid-19 leidet vor allem das Pflegepersonal auf den Intensivstationen unter chronischer Überlastung. Die Empfehlungen der Fachgesellschaft, wie viele Intensivpatient*innen durch eine Pflegekraft betreut werden sollen,1 wurden schon vor Covid-19 in aller Regel nicht eingehalten. Der Teufelskreis aus stetig steigender Arbeitsbelastung und sich verschlechternden Arbeitsbedingungen sorgt dafür, dass immer mehr Pflegekräfte kündigen.2 Die Hashtags #pflexit und #pflegteuchdochselbst sorgten für kurze mediale Aufmerksamkeit.3 Geändert hat sich nichts. Folge des Exodus der Pflegenden sind mittlerweile regelhaft wegen Personalmangels gesperrte Intensivbetten. „Gesperrte Intensivbetten“ ist die Bezeichnung für zwar vorhandene, mit teurer und exklusiver Technik vollausgestattete Intensivbehandlungsplätze, die allerdings aufgrund des Personalmangels nicht betrieben werden können.4 In Kenntnis des Zustands, dass bereits die normalerweise in Deutschland vorhandenen rund 27.000 Intensivbetten wegen Personalmangels zum Teil nicht belegt werden können, entpuppen sich die für Covid-19-Patient*innen angeblich vorgehaltenen Notfallreserven von rund 11.000 Intensivbetten als Potemkinschen Dörfer.
Während die politisch Verantwortlichen also bestenfalls planlos agieren, versuchen sogenannte „Querdenker*innen“ ihren Nutzen aus der Pandemie zu schlagen. Wissenschaftsleugner*innen, Esoteriker*Innen, Impfgegner*Innen, Verschwörungsgläubige und Nazis gehen gemeinsam auf die Straße. Auch in Saarbrücken versammeln sie sich regelmäßig unter dem Vorwand, gegen die Einschränkung der Grundrechte zu demonstrieren. Unter den Demonstrierenden finden sich altbekannte Nazis, die zuletzt noch gegen Geflüchtete auf den Straßen hetzten, darunter zum Beispiel Jaqueline Süßdorf oder Matthias Treinen. Immer öfter zeigt sich der antisemitische Charakter, wenn sich etwa Impfgegner*innen mit Anne Frank oder Sophie Scholl vergleichen oder wenn von „Corona-KZ“ die Rede ist. Viele der Coronaleugner*innen behaupten, hinter der SARS-CoV-2-Pandemie steckten geheime Organisationen, die im Hintergrund das Geschehen lenkten – seien es „die Pharmalobby“, Bill Gates, die WHO, „die Rothschilds“, eine geheime Weltregierung oder doch lieber gleich „die Juden“. Antisemitismus ist das zentrale Bindeglied der Anti-Corona-Proteste. Das Gerücht über die Jüdinnen und Juden verbindet die politischen Milieus zwischen Nazis auf der einen Seite über besorgte Bürger*innen bis hin zu linken Esoteriker*innen und Antiimperialist*innen auf der anderen Seite.
Von der Polizei werden die Proteste in aller Regel mindestens geduldet wenn nicht gar wohlwollend begleitet, auch wenn gegen fast alle zuvor erlassenen Auflagen und Verbote regelhaft verstoßen wird. Egal ob in Kassel oder in Stuttgart: Verbote und Auflagen ignorierend ziehen zehntausende Corona-Leugner*innen durch die Straßen. Statt dem Treiben Einhalt zu gebieten macht sich die Polizei zum Büttel der Corona-Leugner*innen und prügelt lieber Gegendemonstrant*innen aus dem Weg, damit wie in Kassel die wohlgemerkt verbotene „Querdenker*innen“-Demonstration möglichst ungestört laufen kann.5 Hinzu kommen öffentliche Solidaritätsbekundungen von Polizist*innen mit den Verschwörungsanhänger*innen. Bei der letzten großen Demonstration am 3. April in Stuttgart wurden die Auflagen zum Infektionsschutz von ca. 15.000 Demonstrierenden ignoriert, Journalist*innen wurden angegriffen, sodass sogar eine Live-Übertragung der Tagesschau abgebrochen werden musste.6 Carsten Höfler, Einsatzleiter der Polizei Stuttgart, erklärte das Nichtstun seiner Beamt*innen so: „Bei weit über 10.000 Menschen kann man natürlich nicht mit einer Robustheit und Härte gegen die Versammlungsteilnehmer vorgehen.“7 Natürlich nicht, denn wenn Nazis und sonstige Menschenfeinde demonstrieren, drückt die Polizei gerne mal beide Augen zu. Die selbe Stuttgarter Polizei hatte bei der Räumung zum Bau des neuen Hauptbahnhofs „Stuttgart 21“ noch wenig Hemmungen, mit „Robustheit und Härte“ gegen Schüler*innen und Rentner*innen vorzugehen.
Lasst mich zum Ende kommen und zu unseren Forderungen, wie die Pandemie gebrochen werden kann.
1. Wir fordern einen konsequenten Lockdown, um die Ansteckungswelle zu brechen. Jetzt. Für alle Bereiche, auch und vor allem die Wirtschaft. Und für ganz Europa, denn Viren kennen keine Grenzen. Das sollte uns gerade hier im Saarland klar sein. Damit können die Fallzahlen in Richtung Null reduziert werden. Dass dieses Ziel erreichbar ist und die Strategie gut ist, hat gerade Portugal eindrucksvoll bewiesen. Der Irrsinn des „Saarland-Modells“ ist sofort zu stoppen! Wenn die Zahlen unten sind, können in einem zweiten Schritt Einschränkungen mit Bedacht gelockert werden.
2. Eine nachhaltiger Sieg über die Pandemie kann nur durch Impfungen erreicht werden. Impfstoffe gehören keinen Konzernen, Impfstoffe sind Allgemeingut! Die Forschung wurde mit öffentlichen Geldern finanziert, die Gewinne werden nun privatisiert und fließen in die Kassen der Konzerne. Das ist illegitim und muss gestoppt werden! Patente müssen ausgesetzt und die Impfstoffe der privaten Profiterzielung entzogen werden! Impfstoffe müssen außerdem allen Menschen auf der gesamten Welt schnellstmöglich zu Verfügung gebracht werden. Das ist moralische Verpflichtung. Und das ist außerdem schlichte medizinische Notwendigkeit, um in ungeimpften Populationen die Ausbildung von Mutationen mit Resistenzen gegen Impfstoffe zu verhindern.
3. Gesundheit ist keine Ware! Die Organisation des Gesundheitssystems nach marktwirtschaftlichen Prinzipien ist eine Farce, die dringend beendet werden muss. Die Finanzierung von Krankenhäusern über sogenannte Fallpauschalen führt zu krassen Fehlanreizen und muss sofort beendet werden. Krankenhäuser gehören vergesellschaftet, Privatisierungen sind rückgängig zu machen! Nur mit besserer Bezahlung und besseren Arbeitsbedingungen kann der #pflexit gestoppt werden! Die Arbeitsbedingungen im Gesundheitswesen, insbesondere für die Pflege und insbesondere auf Intensivstationen müssen sofort verbessert werden. Mehr Personal muss eingestellt werden! Die Löhne sind deutlich zu erhöhen!
4. Reaktionäre Verschwörungsgläubige, Antisemit*innen und Nazis bekämpfen! Antisemitische Gerüchte verbinden die reaktionären Kräfte, die die Existenz oder die Gefährlichkeit von SARS-CoV‑2 leugnen. Sie müssen konsequent bekämpft werden, wo immer sie versuchen ihre Hetze auf die Straße zu bringen!
1 Empfehlungen der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) zur Struktur und Ausstattung von Intensivstationen.
https://www.divi.de/empfehlungen/publikationen/viewdocument/96/empfehlungen-zur-struktur-von-intensivstationen-langversion
2 Schon vor SARS-CoV‑2 sind in zahlreichen Krankenhäusern Intensivbetten gesperrt, weil es zu wenig Pflegekräfte gibt. Eine Umfrage unter Intensivpflegenden zeigte schon damals, dass sich die Situation weiter zuspitzen würde. Um den Status der intensivmedizinischen Versorgung zu halten, seien grundlegende Änderungen notwendig, forderten die Autor*innen schon 2019 im Deutschen Ärzteblatt.
https://www.aerzteblatt.de/archiv/205989/Intensivmedizin-Versorgung-der-Bevoelkerung-in-Gefahr
3 https://www.spiegel.de/karriere/pflegteuchdochselbst-darum-schmeissen-pfleger-ihren-job-hin-a-6fcf927a-0fdd-4f46-91fc-0b2e293cde69
4 Nach im Deutschen Ärzteblatt veröffentlichten Erhebung aus dem Jahr 2018 mussten 76% der Intensivstationen in Deutschland Betten wegen fehlendem Personal sperren.
https://www.aerzteblatt.de/archiv/196797#lit