Der saarländische Hetz-Wahlkampf hat begonnen: Mit einer obskuren Aktion zum katholischen Brauchtum des St. Martinsfestes versucht die Saar-CDU die saarländische Rechte hinter sich zu bringen.
Es ist schon fast ein alter Hut. Seit einigen Jahren macht auf Social-Media-Portalen die Meldung die Runde, dass das St. Martinsfest, welches in der letzten Woche im katholischen Milieu gefeiert wurde, aus Rücksicht auf andere Kulturen abgeschafft würde. Diese Falschmeldung wird vor allem von Nazis und anderen rechten Seiten immer wieder gerne verbreitet, um Stimmung gegen Muslime zu machen.1 Die Vorstellung, dass ein katholisches Brauchtum, das auf einer Legende über den Bischof von Tours (gestorben 397 nach Christus) beruht, von Muslimen entweiht werden könnte, ist für die rechten Hetzer jeden Brauntons Anlass genug, die Bedrohung des „christlichen Abendlandes“ durch angebliche „islamische Invasoren“ heraufzubeschwören.
Diesen mittlerweile zum rechten Topos verkommenen Internetmythos greift die CDU Saar in einem jüngst erschienenen Flugblatt auf.2 Sie fordert dort: St. Martin solle St. Martin bleiben. Wer auf die Martinstradition verzichte und ein „Sonne-Mond-und-Sterne-Fest“ feiern wolle, gäbe eine Tradition auf, die für die deutsche Gesellschaft heute wichtiger denn je sei.
Tobias Hans, der Kreisvorsitzender der CDU Neunkirchen, der Landtagsabgeordnete Roland Theis und andere CDUler verteilten das lügnerische Hetzblatt u.a. in den Fußgängerzonen von Homburg und Neunkirchen.3
Auch vom saarländischen Lokaljournalismus wurde das Thema unterstützend aufgenommen. Yvonne Handschuher und Marco Reuther werteten hierzu eine nicht repräsentative „SZ-Umfrage“ aus, in der sich eine große Mehrheit für die Beibehaltung des Festnamens aussprach. Dort hieß es in der ursprünglichen Version des Artikels, dass das Fest „meist“ umbenannt werde, was von der Redaktion mittlerweile in „mancherorts“ umgeändert wurde.4
An der Meldung selbst ist freilich nichts dran. Recherchen des SR ergaben, dass von den knapp 140 (!) im Saarland stattfindenden Umzügen der Jahreszeit gerade mal drei tatsächlich in „Dunkel-Funkel-Fest“ oder „Lichterfest“ oder ähnlich fantasievoll klingende Namen umbenannt wurden.5 Nicht nur das: Das oft zitierte Dunkel-Funkel-Fest in SB-Scheidt beispielsweise, das von MdL Roland Theis als Beispiel genannt wurde, fand in diesem Jahr am 3.11.2016 statt.6 Dem gegenüber standen jedoch am selben Ort ganze drei Martinsumzüge der Katholischen Pfarreiengemeinschaft Scheidter Tal am 10. und 11.11.2016.7 Von einer Abschaffung des Festes kann also gar keine Rede sein.
Es handelt sich um eine offensichtliche Presse-Ente. Dabei wäre es sicher angemessen, in einer Zeit, in der religiöser Fundamentalismus auf dem Vormarsch ist, diese katholische Sitte zu hinterfragen, einen spätantiken Bischof aufgrund einer erfundenen Erzählung mit einem Laternenfest zu feiern. Die Geschichte von der Teilung des Mantels beruht selbstverständlich auf einer Legende und ist ebenso frei erfunden wie die Hetze der CDU. Die Hagiographien8 der Spätantike waren Lebensbeschreibungen, die den damaligen Christen das „vorbildliche Leben“ der Heiligen vor Augen führen sollten und keine historische Beschreibung des Lebens dieser Menschen.9
Es könnte so erheiternd sein, dass die CDU Saar keine andere Sorge als ein harmloses Kinderfest hat, das auf christlicher Fiktion beruht. Es könnte nicht mehr als eine weitere Peinlichkeit sein, die dem provinziellen Charakter der Partei nur zu gut stünde. Dies wäre jedoch zu kurz gegriffen. Die CDU Saar greift das Thema offensichtlich auf, um mit einer rassistischen Presselüge voll in den Wahlkampf für das Jahr 2017 einzusteigen.
Im Zusammenhang mit den jüngsten Erfolgen autoritärer und rassistischer Parteien in Europa und anderswo hat die CDU Saar erkannt, dass sie im kommenden Wahljahr Gefahr läuft, ihren rechten Bodensatz an die AfD zu verlieren. Die rassistische Lüge über das „aus falsch verstandener Toleranz“10 bedrohte St. Martinsfest soll die Ängste der weißen Mehrheitsgesellschaft schüren. Es wird konstruiert, dass aus Rücksichtnahme auf die Muslim_innen in Deutschland das kulturelle Antlitz der Nation gefährdet sei. Diese Lüge ist nicht nur ein Zerrbild der deutschen Realität, sie ist ein Schlag ins Gesicht all der Migrant_innen, die nicht nur heute ständigen Anfeindungen und Übergriffen ausgesetzt sind. Alleine im letzten Jahr gab es rund 1000 Straftaten gegen Flüchtlinge und ihre Unterkünfte.11 Die gegenwärtigen Berichte aus Bautzen und anderen deutschen Städten lassen für 2017 das Schlimmste erwarten. In Gefahr ist nicht die deutsche Mehrheitsgesellschaft, sondern die von ihr umzingelten Menschen, die nicht in jenes rassistische Weltbild passen.
Die CDU Saar dockt mit dieser bösartigen Stimmungsmache selbstverständlich an zahlreiche länger zurückliegende fragwürdige Äußerungen und Aktionen an. Erst im letzten Jahr unterstützten Abgeordnete der Partei in Riegelsberg in Schulterschluss mit lokalen Nazis den geplanten Bau eines Wehrmachtsdenkmals.12 Im selben Jahr machte Annegret Kramp-Karrenbauer bundesweit mit homophoben Kommentaren auf sich aufmerksam.13 Sie verglich damals die zur Debatte stehende Homo-Ehe mit Inzucht und Vielehe. Diese Traditionen der Homophobie, des Revisionismus und des Rassismus reichen weit zurück.
Der menschenfeindliche Grundton zieht sich wie ein roter Faden durch die Geschichte der Partei. Ein Tiefpunkt der rechten Stimmungsmache war erreicht, als zwei Vertreter der CDU Saar 1999 eine Anzeige in der Saarbrücker Zeitung schalteten, die gegen die damals in Saarbrücken stattfindende Wehrmachtsausstellung hetzte und sich dabei auch Nazi-Rhetorik bedienten. Alte und neue Nazis stimmten in den Tenor mit ein. Wenige Tage später wurde ein Bombenanschlag auf die Ausstellung verübt.14
Die braune Vergangenheit der CDU im Saarland lässt sich bis zu ihren Anfängen zurückverfolgen. Im ersten bundesrepublikanischen Landtag waren über die Hälfte der Fraktion ehemalige NSDAP-Mitglieder.15 Doch nicht nur viele Abgeordnete der Partei, sondern auch der ehemalige saarländische Ministerpräsident Franz Josef Röder (1959–1979) war ein Mitglied der NSDAP. Röders Rolle im deutschen Vernichtungskrieg konnte bis heute nicht restlos geklärt werden. Demgegenüber setzte er sich zeitlebens dafür ein, dass alte NS-Kriegsverbrecher im Saarland rehabilitiert werden konnten.16
Es bleibt abzuwarten, wie sich die CDU Saar mit den anderen rechten Parteien im kommenden Wahljahr messen wird. Allein schon aus ihrer braunen Tradition heraus ist sie gut aufgestellt. Die Newcomer der AfD werden nicht nur aufgrund ihrer parteiinternen Querelen keinen leichten Stand haben. Eine viel größere Herausforderung ist und bleibt für die Rechten an der Saar, dass die CDU für diese immer die erste und zuverlässigste Adresse war, wenn es um die Verteidigung der weißen Mehrheitsgesellschaft mit all ihren Widerwärtigkeiten ging.
Antifa Saar / Projekt AK
1Die Seite Mimikama hat hierzu bereits 2013 entsprechende Recherchen veröffentlicht, die den Mythos widerlegen. <http://www.mimikama.at/allgemein/st-martinsfest-die-angebliche-umbenennung-des-sankt-martinsfest-sorgt-fr-wirbel-auf-facebook/> (gesichtet am 15.11.2016).
2Das Flugblatt auf der Facebookseite der CDU Saar. <https://www.facebook.com/cdusaar/photos/a.10150237120980420.367983.334120300419/10154604186835420/?type=3&theater> (gesichtet am 15.11.2016).
3Die Facebookseite der CDU Saar dokumentiert die Verteilaktion in Neunkirchen <https://www.facebook.com/cdusaar/posts/10154614178280420> und Homburg <https://www.facebook.com/cdusaar/posts/10154608146810420> mit mehreren Bildern (gesichtet am 15.11.2016).
4Reuther, Marco: Leser brechen Lanze für St. Martin. In: Onlineausgabe der Saarbrücker Zeitung am 9.11.2016 <http://www.saarbruecker-zeitung.de/saarland/saarbruecken/saarbruecken/saarbruecken/Regionalverband-Buerger-Kinder-und-Jugendliche-Kindergaerten-Kirchen-und-Hauptorganisationen-einzelner-Religionen-Leser-Traditionen-Umfragen;art446398,6298875> (gesichtet am 15.11.2016); Handschuher, Yvonne: Bürger halten an St. Martin fest. In: Onlineausgabe der Saarbrücker Zeitung. Regionalteil St. Ingbert am 10. November 2016 <http://www.saarbruecker-zeitung.de/saarland/homburg/sanktingbert/sanktingbert/Buerger-Kindergaerten-Leser-Migranten-Religionen-Umfragen-St-Ingbert;art446871,6300023> (gesichtet am 15.11.2016).
5Der saarländische Rundfunk recherchierte dies mit Hilfe einer Rundrufaktion, vergaß jedoch, die Gesamtzahl an Umzügen im ganzen Saarland in Erfahrung zu bringen. Diese sollte erheblich größer sein. <http://www.sr.de/sr/home/nachrichten/politik_wirtschaft/martinsumzuege_lichterfeste_cdu_kritik_spott100.html> (gesichtet am 15.11.2016).
6Kirch, Daniel: Wie gefährdet ist St. Martin wirklich? CDU startet Aktion gegen „Sonne-Mond-und-Sterne-Feste“. In: SOL am 8.11.2016. <http://www.sol.de/neo/nachrichten/saarbruecken/Saarbruecken-Kirchen-und-Hauptorganisationen-einzelner-Religionen-Traditionen-Wie-gefaehrdet-ist-St-Martin-wirklich-CDU-startet-Aktion-gegen-Sonne-Mond-und-Sterne-Feste;art34275,4811165> (gesichtet am 15.11.2016).
7Onlineterminkalender der Pfarreiengemeinschaft Scheidter Tal. <http://www.pfarreiengemeinschaft-scheidter-tal.de/index.php?id=92> (gesichtet am 15.11.2016).
8Hagiographie bezeichnet die Erforschung und Beschreibung von Heiligenleben.
9Breukelaar, Adriaan: Martinus von Tours. In: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon (BBKL). Band 5. Herzberg 1993, Sp. 949–955; Wikipediaartikel zum Heiligen Martin von Tours <https://de.wikipedia.org/wiki/Martin_von_Tours> (gesichtet am 15.11.2016)
10Das Flugblatt auf der Facebookseite der CDU Saar. <https://www.facebook.com/cdusaar/photos/a.10150237120980420.367983.334120300419/10154604186835420/?type=3&theater> (gesichtet am 15.11.2016).
11Siehe hierzu unter anderem Zeit Online: Fünfmal mehr Straftaten gegen Flüchtlingsunterkünfte. In: Onlinepräsenz der Zeit am 28. Januar 2016. <http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2016–01/fluechtlingsunterkuenfte-straftaten-zunahme-anschlaege-bka-zahlen> (gesichtet am 15.11.2016).
12Vgl hierzu die umfangreichen Recherchen der Antifa Saar <https://antifa-saar.org/kein-wehrmachtsdenkmal-in-riegelsberg/> (gesichtet am 15.11.2016).
13Meldung bei Zeit Online am 3.6.2016: <http://www.zeit.de/politik/deutschland/2015–06/homo-ehe-kramp-karrenbauer> (gesichtet am 15.11.2016).
14Vgl. hierzu: Antifaschistisches AutorInnenkollektiv in Zusammenarbeit mit der Antifa Saar: Kein schöner Land… Berlin 2000, S.8 f. <https://www.antifa-saar.org/KEINSCHOENERLAND.pdf> (gesichtet am 15.11.2016).
15Klausch, Hans-Peter: Braune Spuren im Saar-Landtag. Die NS-Vergangenheit saarländischer Abgeordneter. Saarbrücken 2013. <http://www.linksfraktion-saarland.de/fileadmin/fraktion/Download/Braunes%20Erbe.pdf> (gesichtet am 15.11.2016).
16Vgl. hierzu: Später, Erich: Der Landesvater. Die NS-Vergangenheit Franz-Josef Röders. In: Saarbrücker Hefte Nr. 110/111 — Sommer 2014, S. 7–14. <http://boell-saar.de/wp-content/uploads/2017/03/saarbrueckerhefte110roeder.pdf> (gesichtet am 15.11.2016).