Gegen Antisemitismus und Volksstaat
Schon 100 Jahre vor der Wannseekonferenz forderte der Trierer Karl Marx im Jahre 1848 “Krieg den deutschen Zuständen”. Diese Forderung ist heute, 66 Jahre nach der Reichspogromnacht und 15 Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer, aktueller denn je. Offen verbalisierter Antisemitismus ist in Deutschland längst nicht mehr unschicklich. Die Hetzreden von Hohmann, Möllemann oder einem Martin Walser haben den allgemein herrschenden Antisemitismus wieder salonfähig gemacht.
Die Verfechter der Schlussstrichdebatte, die wir am rechten Stammtisch ebenso wie in Teilen der Linken finden, üben jetzt gemeinsam den Schulterschluss zur deutschen Volksgemeinschaft. Eine halluzinierende deutsche Volksmasse, die für ihr Fortbestehen eine Abgrenzung zu allem Fremden, Jüdischen, benötigt, da sie weder eine gemeinsame Geschichte noch eine geglückte Revolution zur Herstellung einer Nation heranziehen kann, braucht äußere Feinde wie auch Feinde im Inneren. Diese völkischen Mechanismen dienen einzig und allein den Apologeten der Blut- und Boden Theorie. Dieses Prinzip fand im Holocaust seinen Höhepunkt und ist im deutschen Staatsbürgerrecht (Art.116 Grundgesetz) noch heute vertreten. Deutsche Identität war und ist ohne Antisemitismus nicht denkbar, seit Auschwitz wird es das auch in Zukunft nicht sein.
Wie jedoch lässt sich das Erstarken von Antisemitismus im wiedervereinigten Deutschland erklären?
In ihrem Streben nach Rehabilitierung und Normalisierung der eigenen Geschichte fühlen sich die Deutschen, durch jüdisches Leben und jüdische Kultur immer wieder an die deutsche Vernichtungspolitik erinnert, gestört. Die Menschen, die den industriellen Massenmord in Auschwitz-Birkenau, Sobibor, Majdanek und all den anderen Konzentrations- und Vernichtungslagern, überlebt hatten sowie deren Nachkommen werden zum Hassobjekt, gerade weil sie an die deutschen Täter und ihre Taten erinnern.
Das weltverschwörerische Bild von den Juden ist alt. Anonyme Mächte, hereinprojiziert in ein übermächtiges “Weltjudentum”, das Großkapital oder Israel selbst, versuchten die Deutschen zu denunzieren, zu quälen und sich dabei zu bereichern.
So stilisieren sich die Täter zu Opfern, und das neue deutsche Opferkollektiv kann das eigene Leid beklagen und Auschwitz vergessen. Bei der Denunzierung der als angebliche Kriegsverbrechen entlarvten Bombenangriffe auf deutsche Großstädte ist konsequenterweise die Anerkennung und Aufarbeitung der eigenen Geschichte nur hinderlich. Deshalb muss der heimatbewusste Deutsche heute den Aufstand proben. Bedenken sollte man dabei, dass der letzte Aufstand des deutschen Selbstbewusstseins in der industriellen Massenvernichtung von Millionen Menschen gipfelte.
Um weiter am nationalen Mythos vom starken Volk zu basteln, wird dem 9. November in großdeutscher Tradition als Tag des wiedervereinigten Deutschlands gedacht; für die Erinnerung an brennende Synagogen und den marodierenden und mordenden Volksmob ist kein Platz mehr. Die Nacht vom 8. auf den 9.November 1938 war das offizielle Signal zur größten Menschenvernichtung in der Geschichte der Menschheit. Bis Ende der 1980er Jahre markierte der 9.November einen Tag, der den Tätern von damals ihr Tun vor Augen hielt. Doch mit dem Fall der Mauer am 9.November 1989 bekam dieser Tag im kollektiven Gedächtnis eine andere Bedeutung: Volksfeststimmung löste unbequemes Erinnern ab. Mit dem Ende der Berliner Mauer als Anfang vom Ende der DDR wurde der Grundstein für ein neues deutsches Selbstbewusstsein gelegt.
Dies zeigt sich nicht zuletzt durch das Tolerieren neofaschistischer Gruppen wie der sogenannten “Freien Kameradschaften” und der NPD, und das Transportieren ihrer menschenverachtenden Ideologie in die Mitte der Gesellschaft, sichtbar für alle in den Wahlerfolgen von NPD und DVU in diesem Jahr.
Beflügelt durch die hohen Stimmgewinne bei den vergangenen Landtagswahlen forcieren die Neofaschisten nun auch ganz offen ihr Konzept “Kampf um die Straße, die Köpfe und die Parlamente”. Der Schulterschluss mit den nationalsozialistischen “Freien Kameradschaften” wird jetzt auch ganz offen propagiert, kürzlich wurde der vorbestrafte Neonazi Thorsten Heise auf dem NPD-Parteitag in Leinefelde in den Bundesvorstand gewählt. Die “Volksfront von rechts” aus NPD, DVU und den militanten “Freien Kameradschaften” ist ebenso besiegelt worden. Im Saarland existiert mit der sog. “Kameradschaft Saarlautern” aus Saarlouis ein der aktivsten und bedeutendsten Neonazigruppen im südwestdeutsche Raum. Saarlouiser Neonazis meldeten in diesem Jahr mehrere Aufmärsche sowohl innerhalb als auch außerhalb des Saarlandes an, so z.B. am 19.Juni im rheinland-pfälzischen Alzey, mehrere Aufmärsche zwischen August bis Oktober im hessischen Odenwald oder die Kundgebungen im September hier in Trier.
Das Saarland war 2004 Wahlkampfschwerpunkt der NPD, deren Bundesvorsitzender Udo Voigt für das Amt des Oberbürgermeisters der Stadt Saarbrücken kandidierte. Der saarländische Landesvorsitzende Peter Marx rangiert in der parteiinternen Hierarchie der NPD weit oben.
Die organisierte Rechte hat längst nicht mehr das antisemitische Monopol, wenn sie es denn überhaupt je gehabt haben soll. Auch in vielen “linken” Kreisen wird der zunehmende Antisemitismus gerne verharmlost oder mitgetragen. Offen antisemitische Positionen äußern sich, nicht nur in großen Teilen der globalisierungskritischen Bewegung, in antizionistischer Kritik an Israel. Selbsternannte Friedensfreunde und Weltverbesserer machen den Staat Israel verantwortlich für das Scheitern der Friedensprozesse in Nahost. Das kleine Land Israel wird neben den USA als größte Gefahr für den Weltfrieden eingestuft. Dieser alltägliche Zustand antisemitischer Angriffe erfordert eine radikale Kritik an eben denjenigen, die nicht verstehen, dass Israel die einzige Konsequenz ist, die aus Auschwitz zu ziehen war in einer Welt, die nicht bereit war, Konsequenzen zu ziehen. Israel war und ist der einzige existierende Staat, dessen Staatsräson darin besteht, Jüdinnen und Juden Schutz zu bieten, dass sich Auschwitz oder ähnliches nicht wiederhole. Nur ein starker Staat Israel kann dem antisemitischen Vernichtungswahn Grenzen setzen.
Das Phänomen des Antisemitismus in der bürgerlichen Gesellschaft lässt sich nur in der Überwindung derselben bekämpfen. Eine Emanzipation der Deutschen als Deutsche vom Antisemitismus ist nicht möglich, und so bleibt als einzig sinnvolle Konsequenz die Emanzipation vom Deutschtum.
Für all diejenigen, die danach streben, in einer Gesellschaft zu leben, in der der Mensch nicht länger als geknechtetes, verachtetes und verwertbares Wesen existiert, kann die Konsequenz daher nur eine seine: Krieg den deutschen Zuständen.
Deshalb: Kampf den deutschen Verhältnissen — Gegen jeden Antisemitismus und Antizionismus.
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