Redebeitrag der Antifa Saar / Projekt AK zur Kundgebung in Gedenken an Samuel Yeboah am 19.09.2022 in Saarlouis

Am 19. Sep­tem­ber 1991 wurde Samuel Kofi Yeboah hier vor Ort bru­tal ermordet. Er wurde Opfer ein­er Welle ras­sis­tisch motiviert­er Bran­dan­schläge auf Asylbewerber:innenunterkünfte, die in den 90ern die Bun­desre­pub­lik Deutsch­land über­rollte. Jahre­lang hat­te die soge­nan­nte Mitte der Gesellschaft Neid, Ver­ach­tung, Miss­gun­st und Hass auf Asylbewerber:innen geschürt. Vom Spiegel bis zur Bild-Zeitung, von der SPD bis zur CDU waren sich alle einig, dass Recht auf Asyl werde aus­genutzt und müsse weg.

Samuel Kofi Yeboah wurde ermordet in einem kleinen Vorort von Saar­louis, wo die Welt noch in Ord­nung schien. Nazis wollte man hier nur aus Geschichts­büch­ern ken­nen, nicht aus der Gegen­wart, nicht aus Saarlouis.

Jahre­lang mussten Antifaschist:innen, linke Organ­i­sa­tio­nen, der Flüchtlingsrat, die Aktion 3te Welt Saar und Betrof­fene zusam­men mit vie­len weit­eren Bündnispartner:innen aber ohne Unter­stützung der großen poli­tis­chen Parteien, ohne die soge­nan­nte Mitte der Gesellschaft, das Gedenken an diese men­schen­ver­ach­t­ende Tat aufrechter­hal­ten. Man hat­te es uns nicht leicht gemacht.

Ignori­ert, ver­leumdet und der Lüge bezichtigt wur­den wir, weil wir das offen­sichtliche aussprachen: Das waren Nazis! Nazis von hier!

Diejeni­gen die es wagten, eine Verbindungslin­ie herzustellen, von der bürg­er­lichen Het­ze gegen das Grun­drecht auf Asyl zu den Bran­dan­schlä­gen wur­den schikaniert und ausgegrenzt.

Jet­zt haben sie ihn also ver­haftet. Den mut­maßlichen Täter Peter Wern­er Schlap­pal oder Schröder, wie er heute heißt. „Drin­gen­der Tatver­dacht“ ste­ht im Haft­be­fehl. „Flucht­ge­fahr“ schlussfol­gert der Bun­des­gericht­shof und bestätigt die Ver­wahrung des Verdächti­gen im Knast, bis zur Ver­hand­lung, die mut­maßlich im Novem­ber begin­nt. 40 Zeu­gen sind nach Koblenz geladen, wo der Prozess stat­tfind­et, weil die Bun­de­san­waltschaft involviert ist.

Es ist also nicht mehr von der Hand zu weisen, was seit Jahren hätte klar sein müssen: Samuel Kofi Yeboah wurde von Nazis ermordet.

Und jet­zt kommt also der Moment der Ein­hegung. Der Vere­in­nah­mung des Gedenkens an seine Ermor­dung. Jet­zt wo es nicht mehr von der Hand zu weisen ist.

Der Rechtsstaat wird gesiegt haben. Auf die eine oder andere Weise. So wird man es uns verkaufen. Wird der mut­maßliche Täter verurteilt, wird man sagen, der Rechtsstaat habe gesiegt, weil er „DEN Täter“ gefasst und verurteilt hat. Wird er nicht verurteilt, wird er gesiegt haben, weil zumin­d­est auf Bun­de­sebene und in der einge­set­zten Ermit­tlungs­gruppe anerkan­nt wurde, dass es wohl vielle­icht doch Nazis gab in Saar­louis und dass diese vielle­icht doch wirk­lich einen Men­schen ermordet haben. Man hat es dann ver­sucht. Der Staat und seine Organe haben sich gewan­delt, wird man sagen.

Und es ist ja wirk­lich eine andere Polizei, die da heute ermit­telt. Der schnauzbär­tige Dorf­bulle der 90er, der selb­st Repub­likan­er wählt und vom Fußball her die lokalen Nazis ken­nt, ist vielle­icht noch nicht aus­gestor­ben, aber er ist nicht mehr der Pro­to­typ des deutschen Polizis­ten, dem sog­ar Men­schen, die sich heute ins kon­ser­v­a­tive Lager zählen, rück­blick­end zutrauen wür­den, dass er im Falle eines Bran­dan­schlages auf eine Asylbewerber:innenunterkunft nicht ganz so gründlich gegen die Jungs aus der Gegend ermit­telt; also die Nazis geschützt hat.

Nein heute ist das anders. Da set­zt der Rechtsstaat eine Ermit­tlungs­gruppe ins Feld und die Bun­de­san­waltschaft ist zuständig, wenn es darum geht einen ras­sis­tis­chen Mord aufzuk­lären, der vor mehr als 30 Jahren began­gen wurde.

Alles gut also im geläuterten Deutsch­land. Man hat hier gel­ernt und ist ja auch Welt­meis­ter im Erin­nern, was den Holo­caust ange­ht zum Beispiel. Geläutert zu sein, sich und allen anderen einzure­den aus der Geschichte gel­ernt zu haben, ist was die neuen, die besseren Deutschen von allen anderen unter­schei­det. Was sie bess­er macht, als alle anderen. Die Aufk­lärung und das Wis­sen über den Holo­caust, über die jahre­lange Tol­er­anz gegenüber All­t­agsras­sis­mus sind zum ide­ol­o­gis­chen Kap­i­tal dieser schein­bar geläuterten Repub­lik geworden.

Und deshalb müssen wir uns über das Gedenken an Opfer ras­sis­tis­ch­er Gewalt und unsere Rolle als Antifaschist:innen Gedanken machen. Weil die Welt sich verän­dert hat. Wir sagen nicht verbessert, aber verän­dert. Wir möcht­en hier nie­man­den vor den Kopf stoßen, aber wir hal­ten es für notwendig über einige Punk­te offen zu sprechen, um zu ver­hin­dern, dass das was wir hier tun, die Erin­nerungsar­beit und die Aufk­lärung über Ras­sis­mus und seine Ursachen, vere­in­nahmt wer­den von der Ide­olo­gie eines besseren Deutschlands.

Ide­olo­gie, das ist das falsche Bewusst­sein ein­er Gesellschaft. Die jew­eils dom­i­nan­ten gesellschaftlichen Grup­pen bee­in­flussen die Ide­olo­gie ein­er Gesellschaft. Ide­olo­gie dient dazu die Herrschaft dieser jew­eils dom­i­nan­ten Gruppe zu recht­fer­ti­gen. Und die Dom­i­nanzver­hält­nisse haben sich seit der Ermod­ung Samuel Yeboahs ja wirk­lich verän­dert. Wir sagen nicht verbessert oder ver­schlechtert, aber verändert.

Eine ganze Menge Ideologiearbeiter:innen, zu denen man bei genauerem Hin­se­hen auch einige von uns wird zählen müssen, wird großzügig aus Steuer­mit­teln ver­sorgt, um die Ide­olo­gie der neuen Nor­mal­ität in den Köpfen zu ver­ankern. Nicht obwohl auf Ras­sis­mus hingewiesen wird, son­dern weil auf eine bes­timmte Art und Weiße über Ras­sis­mus gesprochen wird. Weil das was ver­mit­telt wird, nicht an der Idee des Volk­skör­pers kratzt, son­dern ihr nur weit­ere Facetten hinzufügt. Weil es gut ins Bild der neuen, der besseren Deutschen passt. Diese Ide­olo­gie der besseren, geläuterten Deutschen wird beispiel­sweise pro­duziert in Kul­tursen­si­bil­isierungswork­shops für den Polizei­di­enst. Bei der Zusam­me­nar­beit von ehe­mals antifaschis­tis­chen NGOs mit dem Ver­fas­sungss­chutz und lei­der auch durch Bil­dung­spro­gramme in Betrieben und Schulen. Alles für die Gute Sache.

Schön. Es sind nicht mehr die 90er. Heute beschützen Schläger:innentrups mit weib­lichen Robo­cops die Nazi­aufmärsche. Geläuterte Deutsche bericht­en von Ihren ein­drucksvollen Erfahrun­gen im Ras­sis­mus­work­shop, um uns dann zu erk­lären, dass es eben die Kul­tur „der Araber“ sei, ihre Frauen zu ver­hüllen. Dass es uns nicht zuste­he uns einzu­mis­chen, wenn wieder eine ermordert wurde, weil sie den Schleier abgelegt hat. Heute ermit­teln Polizist:innen mit Migra­tionsh­in­ter­grund gle­icher­maßen gegen Nazis und Linke wie gegen soge­nan­nte „krim­inelle Clanstruk­turen“. Heute set­zen Polizisti:innen mit Migra­tionsh­in­ter­grund gemein­sam mit ihren biodeutschen Koleg:innen Abschiebun­gen und Zwangsräu­mungen durch.

Jet­zt kommt es also zum Prozess gegen den Schlap­pal, oder Schröder. Gegen den Nazi, den sie gefun­den haben; der es wom­oglich war; der Samuel Yeboah ermordet hat. Das ist gut. Die Täter zur Rechen­schaft ziehen, das haben wir immer gesagt. Gerechtigkeit für Samuel Yeboah haben wir gefordert.

Aber lassen wir uns nicht irre führen, von diesem Prozess, der auch ein Prozess der Selb­stvergewis­serung der besseren Deutschen sein wird.

Angeklagt ist hier nur einer.

Angeklagt sind nicht diejeni­gen, die ihm geholfen haben, die ihm Schutz geboten haben, die ihn ide­ol­o­gisch und materiell unter­stützt haben.

Angeklagt ist nicht der Bürg­er­meis­ter, der nichts davon wis­sen wollte, dass es in sein­er Stadt Nazis gibt und jeden Ver­such eines würdi­gen Gedenkens mit Repres­sion beant­wortet hat. Der eine Gedenk­tafel für Samuel Yeboah ent­fer­nen ließ und diejeni­gen vor Gericht zer­rte, die sie ange­bracht hatten.

Angeklagt sind nicht diejeni­gen, die noch bis in die frühen 2000er in Saar­louis akzep­tierende Jugen­dar­beit mit Nazis gepredigt und prak­tiziert haben.

Angeklagt sind nicht diejeni­gen, auch Grüne wohlge­merkt, die Antifaschist:innen hier in Saar­louis sabotiert haben, wenn diese auf die Ver­strick­un­gen von Stadt und Naziszene aufmerk­sam gemacht haben.

Angeklagt sind nicht der Ver­fas­sungss­chutzpräsi­dent und seine Scher­gen, die jahre­lang Infor­ma­tio­nen über rechte Struk­turen um Saar­land zurück­ge­hal­ten haben

und stattdessen lieber jede Gele­gen­heit genutzt haben, um diejeni­gen zu diskred­i­tieren, die ein würdi­ges Gedenken an Samuel Yeboah und andere Opfer rechter Gewalt organ­isiert haben.

Angeklagt sind nicht diejeni­gen, die in Reak­tion auf die Bran­dan­schläge über­all in Deutsch­land die Dreistigkeit besaßen das Grun­drecht auf Asyl so sehr zu ver­stüm­meln, dass man von ein­er fak­tis­chen Abschaf­fung sprechen muss.

Angeklagt ist der mut­maßlich Täter, der Nazi, den sie gefun­den haben.

Gut so. Doch das ist nicht das Ende. Wir lassen uns nicht blenden von ihrer Erzäh­lung eines besseren Deutsch­lands. Wenn ab Novem­ber im Koblenz ver­han­delt wird, wird dort nicht der Mord an Samuel Yeboah ver­han­delt, son­dern die Beteili­gung des Nazis, den sie gefun­den haben. Vor Gericht wird es keinen Raum geben für die Umstände, die zu sein­er Ermor­dung führten. Den müssen wir schaf­fen! Wir wer­den darüber reden müssen, was geschehen ist, dass es so weit kom­men kon­nte. Und wir wer­den darüber reden müssen welche Verdeck­ungs- und Ein­hegungsmech­a­nis­men heute genutzt wer­den, um das Gedenken an die Ermor­dung von Samuel Kofi Yeboah einzugliedern in die Erzäh­lung eines besseren Deutschlands!

Es gibt noch viel zu tun. Die Offen­le­gung aller Akten zum Fall Samuel Yeboah und die Abschaf­fung des Ver­fas­sungss­chutzes wären ein guter Anfang!

Antifa Saar / Pro­jekt AK