Am 19. September 1991 wurde Samuel Kofi Yeboah hier vor Ort brutal ermordet. Er wurde Opfer einer Welle rassistisch motivierter Brandanschläge auf Asylbewerber:innenunterkünfte, die in den 90ern die Bundesrepublik Deutschland überrollte. Jahrelang hatte die sogenannte Mitte der Gesellschaft Neid, Verachtung, Missgunst und Hass auf Asylbewerber:innen geschürt. Vom Spiegel bis zur Bild-Zeitung, von der SPD bis zur CDU waren sich alle einig, dass Recht auf Asyl werde ausgenutzt und müsse weg.
Samuel Kofi Yeboah wurde ermordet in einem kleinen Vorort von Saarlouis, wo die Welt noch in Ordnung schien. Nazis wollte man hier nur aus Geschichtsbüchern kennen, nicht aus der Gegenwart, nicht aus Saarlouis.
Jahrelang mussten Antifaschist:innen, linke Organisationen, der Flüchtlingsrat, die Aktion 3te Welt Saar und Betroffene zusammen mit vielen weiteren Bündnispartner:innen aber ohne Unterstützung der großen politischen Parteien, ohne die sogenannte Mitte der Gesellschaft, das Gedenken an diese menschenverachtende Tat aufrechterhalten. Man hatte es uns nicht leicht gemacht.
Ignoriert, verleumdet und der Lüge bezichtigt wurden wir, weil wir das offensichtliche aussprachen: Das waren Nazis! Nazis von hier!
Diejenigen die es wagten, eine Verbindungslinie herzustellen, von der bürgerlichen Hetze gegen das Grundrecht auf Asyl zu den Brandanschlägen wurden schikaniert und ausgegrenzt.
Jetzt haben sie ihn also verhaftet. Den mutmaßlichen Täter Peter Werner Schlappal oder Schröder, wie er heute heißt. „Dringender Tatverdacht“ steht im Haftbefehl. „Fluchtgefahr“ schlussfolgert der Bundesgerichtshof und bestätigt die Verwahrung des Verdächtigen im Knast, bis zur Verhandlung, die mutmaßlich im November beginnt. 40 Zeugen sind nach Koblenz geladen, wo der Prozess stattfindet, weil die Bundesanwaltschaft involviert ist.
Es ist also nicht mehr von der Hand zu weisen, was seit Jahren hätte klar sein müssen: Samuel Kofi Yeboah wurde von Nazis ermordet.
Und jetzt kommt also der Moment der Einhegung. Der Vereinnahmung des Gedenkens an seine Ermordung. Jetzt wo es nicht mehr von der Hand zu weisen ist.
Der Rechtsstaat wird gesiegt haben. Auf die eine oder andere Weise. So wird man es uns verkaufen. Wird der mutmaßliche Täter verurteilt, wird man sagen, der Rechtsstaat habe gesiegt, weil er „DEN Täter“ gefasst und verurteilt hat. Wird er nicht verurteilt, wird er gesiegt haben, weil zumindest auf Bundesebene und in der eingesetzten Ermittlungsgruppe anerkannt wurde, dass es wohl vielleicht doch Nazis gab in Saarlouis und dass diese vielleicht doch wirklich einen Menschen ermordet haben. Man hat es dann versucht. Der Staat und seine Organe haben sich gewandelt, wird man sagen.
Und es ist ja wirklich eine andere Polizei, die da heute ermittelt. Der schnauzbärtige Dorfbulle der 90er, der selbst Republikaner wählt und vom Fußball her die lokalen Nazis kennt, ist vielleicht noch nicht ausgestorben, aber er ist nicht mehr der Prototyp des deutschen Polizisten, dem sogar Menschen, die sich heute ins konservative Lager zählen, rückblickend zutrauen würden, dass er im Falle eines Brandanschlages auf eine Asylbewerber:innenunterkunft nicht ganz so gründlich gegen die Jungs aus der Gegend ermittelt; also die Nazis geschützt hat.
Nein heute ist das anders. Da setzt der Rechtsstaat eine Ermittlungsgruppe ins Feld und die Bundesanwaltschaft ist zuständig, wenn es darum geht einen rassistischen Mord aufzuklären, der vor mehr als 30 Jahren begangen wurde.
Alles gut also im geläuterten Deutschland. Man hat hier gelernt und ist ja auch Weltmeister im Erinnern, was den Holocaust angeht zum Beispiel. Geläutert zu sein, sich und allen anderen einzureden aus der Geschichte gelernt zu haben, ist was die neuen, die besseren Deutschen von allen anderen unterscheidet. Was sie besser macht, als alle anderen. Die Aufklärung und das Wissen über den Holocaust, über die jahrelange Toleranz gegenüber Alltagsrassismus sind zum ideologischen Kapital dieser scheinbar geläuterten Republik geworden.
Und deshalb müssen wir uns über das Gedenken an Opfer rassistischer Gewalt und unsere Rolle als Antifaschist:innen Gedanken machen. Weil die Welt sich verändert hat. Wir sagen nicht verbessert, aber verändert. Wir möchten hier niemanden vor den Kopf stoßen, aber wir halten es für notwendig über einige Punkte offen zu sprechen, um zu verhindern, dass das was wir hier tun, die Erinnerungsarbeit und die Aufklärung über Rassismus und seine Ursachen, vereinnahmt werden von der Ideologie eines besseren Deutschlands.
Ideologie, das ist das falsche Bewusstsein einer Gesellschaft. Die jeweils dominanten gesellschaftlichen Gruppen beeinflussen die Ideologie einer Gesellschaft. Ideologie dient dazu die Herrschaft dieser jeweils dominanten Gruppe zu rechtfertigen. Und die Dominanzverhältnisse haben sich seit der Ermodung Samuel Yeboahs ja wirklich verändert. Wir sagen nicht verbessert oder verschlechtert, aber verändert.
Eine ganze Menge Ideologiearbeiter:innen, zu denen man bei genauerem Hinsehen auch einige von uns wird zählen müssen, wird großzügig aus Steuermitteln versorgt, um die Ideologie der neuen Normalität in den Köpfen zu verankern. Nicht obwohl auf Rassismus hingewiesen wird, sondern weil auf eine bestimmte Art und Weiße über Rassismus gesprochen wird. Weil das was vermittelt wird, nicht an der Idee des Volkskörpers kratzt, sondern ihr nur weitere Facetten hinzufügt. Weil es gut ins Bild der neuen, der besseren Deutschen passt. Diese Ideologie der besseren, geläuterten Deutschen wird beispielsweise produziert in Kultursensibilisierungsworkshops für den Polizeidienst. Bei der Zusammenarbeit von ehemals antifaschistischen NGOs mit dem Verfassungsschutz und leider auch durch Bildungsprogramme in Betrieben und Schulen. Alles für die Gute Sache.
Schön. Es sind nicht mehr die 90er. Heute beschützen Schläger:innentrups mit weiblichen Robocops die Naziaufmärsche. Geläuterte Deutsche berichten von Ihren eindrucksvollen Erfahrungen im Rassismusworkshop, um uns dann zu erklären, dass es eben die Kultur „der Araber“ sei, ihre Frauen zu verhüllen. Dass es uns nicht zustehe uns einzumischen, wenn wieder eine ermordert wurde, weil sie den Schleier abgelegt hat. Heute ermitteln Polizist:innen mit Migrationshintergrund gleichermaßen gegen Nazis und Linke wie gegen sogenannte „kriminelle Clanstrukturen“. Heute setzen Polizisti:innen mit Migrationshintergrund gemeinsam mit ihren biodeutschen Koleg:innen Abschiebungen und Zwangsräumungen durch.
Jetzt kommt es also zum Prozess gegen den Schlappal, oder Schröder. Gegen den Nazi, den sie gefunden haben; der es womoglich war; der Samuel Yeboah ermordet hat. Das ist gut. Die Täter zur Rechenschaft ziehen, das haben wir immer gesagt. Gerechtigkeit für Samuel Yeboah haben wir gefordert.
Aber lassen wir uns nicht irre führen, von diesem Prozess, der auch ein Prozess der Selbstvergewisserung der besseren Deutschen sein wird.
Angeklagt ist hier nur einer.
Angeklagt sind nicht diejenigen, die ihm geholfen haben, die ihm Schutz geboten haben, die ihn ideologisch und materiell unterstützt haben.
Angeklagt ist nicht der Bürgermeister, der nichts davon wissen wollte, dass es in seiner Stadt Nazis gibt und jeden Versuch eines würdigen Gedenkens mit Repression beantwortet hat. Der eine Gedenktafel für Samuel Yeboah entfernen ließ und diejenigen vor Gericht zerrte, die sie angebracht hatten.
Angeklagt sind nicht diejenigen, die noch bis in die frühen 2000er in Saarlouis akzeptierende Jugendarbeit mit Nazis gepredigt und praktiziert haben.
Angeklagt sind nicht diejenigen, auch Grüne wohlgemerkt, die Antifaschist:innen hier in Saarlouis sabotiert haben, wenn diese auf die Verstrickungen von Stadt und Naziszene aufmerksam gemacht haben.
Angeklagt sind nicht der Verfassungsschutzpräsident und seine Schergen, die jahrelang Informationen über rechte Strukturen um Saarland zurückgehalten haben
und stattdessen lieber jede Gelegenheit genutzt haben, um diejenigen zu diskreditieren, die ein würdiges Gedenken an Samuel Yeboah und andere Opfer rechter Gewalt organisiert haben.
Angeklagt sind nicht diejenigen, die in Reaktion auf die Brandanschläge überall in Deutschland die Dreistigkeit besaßen das Grundrecht auf Asyl so sehr zu verstümmeln, dass man von einer faktischen Abschaffung sprechen muss.
Angeklagt ist der mutmaßlich Täter, der Nazi, den sie gefunden haben.
Gut so. Doch das ist nicht das Ende. Wir lassen uns nicht blenden von ihrer Erzählung eines besseren Deutschlands. Wenn ab November im Koblenz verhandelt wird, wird dort nicht der Mord an Samuel Yeboah verhandelt, sondern die Beteiligung des Nazis, den sie gefunden haben. Vor Gericht wird es keinen Raum geben für die Umstände, die zu seiner Ermordung führten. Den müssen wir schaffen! Wir werden darüber reden müssen, was geschehen ist, dass es so weit kommen konnte. Und wir werden darüber reden müssen welche Verdeckungs- und Einhegungsmechanismen heute genutzt werden, um das Gedenken an die Ermordung von Samuel Kofi Yeboah einzugliedern in die Erzählung eines besseren Deutschlands!
Es gibt noch viel zu tun. Die Offenlegung aller Akten zum Fall Samuel Yeboah und die Abschaffung des Verfassungsschutzes wären ein guter Anfang!
Antifa Saar / Projekt AK