Heute folgten 400 Menschen dem Aufruf der Seebrücke Saar unter dem Motto: “Festung Europa einreißen — Leben retten”.
Wir dokumentieren hier den Aufruf der Seebrücke und den Redebeitrag der Antifa Saar / Projekt AK.
Der Aufruf zur Demonstration:
Der türkische und griechische Staat sorgen in diesen Tagen für die bewusste Eskalation der von den europäischen Staaten und Deutschland verursachten humanitären Katastrophe an Europas Außengrenzen. Anstatt Menschen, die vor Armut, Krieg und Verfolgung fliehen, Schutz zu bieten, legt die Abschottung der Festung Europa weiter an Grausamkeit zu: An der türkischen Grenze schießt die europäische Grenzschutzagentur Frontex gemeinsam mit dem griechischen Militär mit Tränengas, Blendgranaten und Wasserwerfern auf Schutzsuchende, vor Lesbos ließ die griechische Küstenwache ein kleines Kind ertrinken. Auf Lesbos selbst marodiert ein faschistischer Mob.
Diese mörderische Abschottungspolitik nehmen wir nicht hin! Während an der Grenze Familien, Kinder und Jugendliche militärisch bekämpft werden, stehen in Deutschland und anderen Ländern Aufnahmeeinrichtungen leer und hunderte Städte sind aufnahmebereit.
Lasst uns darum am Freitag, den 6. März 2020 zusammen in Saarbrücken auf die Straßen gehen.
Wir fordern:
Sofortige Evakuierung der Menschen an der türkisch-griechischen Grenze und und den angrenzenden griechischen Inseln!
Sichere und legale Fluchtwege!
Ein Ende der menschenverachtenden Zustände!
Festung Europa einreißen – Grenzen auf! Leben retten!
Redebeitrag Antifa Saar / Projekt AK zur Seebrücke-Demonstration – Der Krieg gegen Flüchtlinge.
Es herrscht Krieg. Seit die Armeen des türkischen Präsidenten Erdogan seit 2019 rücksichtslos in Syrien gegen die dort lebenden Kurdinnen und Kurden vorrückten, flüchteten über dreihunderttausend Menschen über die Grenzen des Landes. In türkischen Lagern saßen über 3,5 Millionen Geflüchtete fest. Es gab keinerlei Infrastruktur, keine Toiletten, kein frisches Wasser und zu wenige Lebensmittel. Auf Menschen, die die Grenze zu Griechenland überqueren wollten, wurden Warnschüsse mit Maschinengewehren abgegeben. Die Situation in den Lagern spitzte sich in den letzten Jahren immer mehr zu und das unter den Augen der EU. Diese hat seit 2016 mit Erdogan einen Deal: Solange er möglichst viele Geflüchtete in der Türkei aufnimmt, halten sich Deutschland und die EU mit Kritik am Aufbau seiner Autokratie und an der Eskalation des syrischen Bürgerkrieges zurück. Um die Lage der geflüchteten Menschen in den türkischen Lagern scherte sich die EU nur wenig. Sie überließ Griechenland und der Türkei das Feld, und finanzierte an der syrisch-türkischen Grenze noch eine fast unüberwindliche Mauer mit, an der Menschen, die vor Assads Truppen fliehen, in einer tödlichen Falle enden.
Jetzt hat die Türkei die Grenzen geöffnet und es zählt für die EU nur eine Maxime: Flüchtlinge abwehren und das mit allen Mitteln. Es reicht offensichtlich nicht mehr aus, die Menschen an den EU-Außengrenzen abzuwehren, jetzt werden sie auch aktiv bekämpft. Über 400 Frontex-Söldner wurden in dieser Woche bereits an die griechische Grenze verlagert, um die Menschen, die nach Europa weiterflüchten wollen, abzuwehren. Auf der Gegenseite lässt die Türkei über 1000 militärisch aufgerüstete Spezialpolizisten am Evros aufmarschieren, um die Zurückgedrängten daran zu hindern, wieder in die Türkei zurück zu kommen. Das, was an Europas Außengrenzen gerade geschieht, kann man im Grunde genommen als nichts anderes als einen Krieg bezeichnen. Einen Krieg gegen Menschen auf der Flucht.
Bei den Innenministern der EU herrscht Einigkeit über das Vorgehen: Illegale Grenzübertritte sollen verhindert werden. Alle nötigen Maßnahmen sollen dafür getroffen werden, damit kein Geflüchteter und keine Geflüchtete in Europa um Asyl bitten darf. Bundesinnenminister Seehofer spitzt die Unmenschlichkeit in Europa zu: Erst solle Ordnung an den Grenzen herrschen, dann erst „wenden wir uns diesem Thema der Humanität zu und zwar zeitnah.“ CSU-Europapolitiker Manfred Weber spricht da schon deutlichere Töne: Er fordert bereits ein Sofortprogramm zum Ausbau von Frontex auf 10.000 Mann, um den Zug der Migrant_innen zu stoppen und spricht sogar von einer „finalen Lösung der Flüchtlinge“.
Immerhin haben einige Ministerpräsidenten angeboten, zumindest minderjährige Flüchtlinge aus griechischen Lagern in ihren Bundesländern aufzunehmen. Daniel Günther, Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, bot beispielsweise an, Geflüchtete aufzunehmen. Doch selbst das Einhalten eines zivilisatorischen Mindeststandards, Menschen in Not zu helfen, geht manchen Parteigenossen Daniel Günthers zu weit. Der CDU-Obmann im Innenausschuss Armin Schuster kritisiert diese bloße Geste der Humanität als „falsche Signale“. Er befürchtet, dass die ausgestreckte Hand der Ministerpräsidenten zu einem Lockruf werde, der „den Flüchtlingsstrom verstärkt“. Europas Nazis schreiten unterdessen schon zur Tat. Auf der Insel Lesbos haben organisierte Nazi-Schlägertrupps offensichtlich die Kontrolle übernommen und attackieren sowohl Flüchtlinge als auch ihre Helfer_innen. Die Hilfsorganisationen ziehen ihr Hilfspersonal, darunter auch Klinikpersonal, von der Insel ab, um ihre Sicherheit nicht zu gefährden. Auch Angriffe auf die Presse, die von der Lage berichten will, sind an der Tagesordnung. Und auch auf dem europäischen Festland haben sich bereits radikale Nazis wie der Österreicher Identitäre Martin Sellner in Richtung Griechenland aufgemacht, um dort gegen Flüchtlinge vorzugehen.
Es herrscht Krieg. Schon lange reicht es nicht mehr, seine wirtschaftliche Vormachtstellung an den Außengrenzen zu verteidigen. Schon lange reicht es nicht mehr, Menschen in Lager zu sperren ohne Aussicht auf ein Leben in Frieden und ohne Not. Schon lange reicht es nicht mehr, in den bürgerlichen Feuilletons darüber zu streiten, ob es richtig sei, Menschen im Meer ertrinken zu lassen. Schon lange reicht es offensichtlich nicht mehr, die Seenotrettung zu kriminalisieren und ihre Aktivist_innen einzusperren. Schon lange reicht es nicht mehr, den Mördern von Morgen in Talkshows und Leitartikeln eine Stimme zu geben.
Es herrscht Krieg und das nicht nur an den EU-Außengrenzen! Angriffe auf Menschen mit Migrationshintergrund sind in Deutschland zur Realität verkommen. Erst jüngst ermordete der Rechtsradikale Tobias Rathjen in Hanau zehn Menschen. In seinem Manifest ruft er dazu auf, ganze Völker komplett zu vernichten und alle straffälligen Ausländer „außer Landes zu schicken“. Stephan Balliet, der Attentäter von Halle, phantasierte von der jüdischen Weltverschwörung, die zur Masseneinwanderung führe.
Der Neonazi Stephan Ernst, Mörder des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke, hasste den Politiker wegen dessen Engagements für Flüchtlinge. Die Amadeu Antonio-Stiftung zählt aktuell seit der Wiedervereinigung mindestens 208 Todesopfer rechtsextremer Gewalt. Mehr als Betroffenheit haben die politisch Verantwortlichen dabei nicht zu bieten. Nach dem großen Bedauern, dem obligatorischen Besuch von Trauerfeiern, Gedenkminuten und Beileidsbekundungen sowie dem Aufruf zur Solidarität folgt wie jedesmal die Untätigkeit gegenüber den Nazis. Wenn das letzte Pogrom vollendet und die Krokodilstränen getrocknet sind, dann erfolgt gleich die nächste Hetze gegen Shishabars, die nächste Debatte über Clankriminalität und das nächste Fanal im Abwehrkampf an den EU-Außengrenzen.
Wer etwas gegen Nazis unternehmen möchte, der kann sich auf den Staat nicht verlassen. Denn er bereitet mit seinem brutalen Vorgehen gegen Geflüchtete und seiner aggressiven Abwehrpolitik an den EU-Außengrenzen bereits die Stimmung für den nächsten rassistischen Anschlag, die nächste Hetzjagd und den nächsten Mord vor!
Stattdessen gilt es, dass wir uns selbst organisieren, um den Nazis Einhalt zu gebieten. Erteilt denen eine Absage, die auf nicht anderes vertrauen als konsequent abzuschieben oder Grenzen militärisch abzuriegeln. Erteilt denen eine Absage, die untätig bleiben, wenn wieder der nächste Brandsatz in ein Asylbewerber_innenheim fliegt oder gleich von der Schusswaffe Gebrauch gemacht wird. Es gilt, dass wir uns zusammenschließen, um diesen Zuständen als Zivilgesellschaft etwas entgegenzusetzen. Unser Ziel ist eine Gesellschaft, in der alle nach ihren Fähigkeiten und ihren Bedürfnissen glücklich werden können. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen wir all jene mit unserem Widerstand konfrontieren, die das Schlechte durch etwas noch Schlechteres ersetzen wollen und von denen im schlimmsten Falle eine handfeste Bedrohung für uns alle ausgeht. Organisiert den antifaschistischen Selbstschutz, reicht allen Geflüchteten die Hand zur Hilfe und zum Schutz und macht Saarbrücken zu einem sicheren Hafen!