Insgesamt drei Veranstaltungen führten wir gemeinsam mit der Arbeitsgruppe Saar der Deutsch-Israelischen Gesellschaft (DIG), der Heinrich Böll-Stiftung Saar, der linksjugend [solid] Saar und der Saarbrücker Gesellschaft zur Förderung des kritischen Denkens und Handelns – CriThink e.V. im Rahmen unserer Reihe „40 Jahre Deutscher Herbst – ein Beitrag zur kritischen Aufarbeitung“ durch.
Am Donnerstag, dem 21. September kamen 50 Interessierte zu der Auftaktveranstaltung unserer Reihe und lauschten den Ausführungen von Erich Später, Autor des im Konkret-Verlag erschienen Buches „Villa Waigner – Hanns Martin Schleyer und die deutsche Vernichtungselite in Prag 1939 – 45“. Später schilderte wie er bei seinen Recherchen zu dem Buch über den Prozess der Entrechtung, Enteignung, Deportation und Ermordung der tschechischen Jüdinnen und Juden auf Dokumente stieß, die einen Einblick darin geben, wie Schleyer, dessen Foto als Geisel der Roten Armee Fraktion (RAF), wie kein anderes für den sogenannten „Deutschen Herbst“ steht, darin verwickelt waren. Anhand seiner Recherchen machte er deutlich wie tief verstrickt er und seine Ehefrau in das Vernichtungsprogramm der Nazis im „Reichsprotektorat Böhmen und Mähren“ waren. In der anschließenden Diskussion wurden Fragen behandelt, wie es dazu kommen konnte, dass ein Nazifunktionär wie Schleyer nach 1945 in solche hohe Positionen gelangen konnte und inwiefern seine Ermordung durch ein Kommando der RAF mit seiner Vergangenheit in Zusammenhang stand. Es gab auch Hinweise aus dem Publikum darauf, dass die in Prag damals ansässigen deutschen Burschenschaften, die maßgeblicher Bestandteil des Germanisierungsprojekts der Nazis waren, auch heute noch aktiv sind. So handelt es sich beim kurze Zeit später in den Bundestag gewählten saarländischen Abgeordneten der AfD, Christian Wirth, um ein Mitglied der Saarbrücker Burschenschaft Ghibellinia zu Prag.
Mit der Veranstaltung ist es gelungen den Mythos um Hanns Martin Schleyer, nach dem nach wie vor Straßen oder sogar ganze Hallen benannt werden zu dekonstruieren. Ausschnitte aus dieser Veranstaltung gibt es auf diesem Video zu sehen.
Schon eine Woche später durften wir dann Martin Jander aus Berlin begrüßen, der uns seine Thesen zu dem Verhältnis der RAF und dem Staat Israel darlegte und zur Diskussion stellte. Weit über 80 Interessierte kamen an diesem Abend, so dass sogar einige wegen Platzmangel wieder gehen mussten. In einem interessanten Vortrag beleuchtete er die ideologischen Kernelemente der sich antiimperialistisch wähnenden bewaffneten Gruppen in der BRD der 70er Jahre, wie beispielsweise den Tupamaros Westberlin und ihrem antisemitischen Kern. Ihr Besuch der gleichen Ausbildungslager in Palästina wie Angehörige der Wehrsportgruppe Hoffmann waren genau so Thema wie der versuchte Bombenanschlag auf das jüdische Gemeindehaus in Berlin und der Anschlag auf ein von Jüdinnen und Juden bewohntes Seniorenwohnheim in München. „Als entschiedene Gegner_innen der Nazis von gestern und heute, ist es unmöglich sich mit Gruppen zu solidarisieren, die es auf das Leben der Überlebenden des Holocaust abgesehen haben. Egal unter welchem ideologischen Deckmantel dies geschieht“ könnte man das Resümee der Veranstaltung zusammenfassen. In der anschließenden Diskussion ging es dann vor allem darum, inwiefern von einem bürgerlichen Staat wie der Bundesrepublik, der die ehemaligen Täterinnen und Täter hofiert und in Amt und Würden hält erwartet werden kann, eben diese zu verfolgen und zu bestrafen. Durchaus kontroverse Ansichten zu dem Thema führten zu einer sehr interessanten Debatte an diesem Abend. Die versprochene Literaturliste zu dem Vortrag findet ihr am Ende des Textes.
Den Abschluss der Reihe bildete dann Anfang November ein Vortrag mit Martin Kloke. Sein Thema war etwas allgemeiner gehalten und es ging dabei um den „Antisemitismus von Links“. Etwa 65 Menschen fanden sich dazu ein. Zu Beginn lieferte er seine Definition von Antisemitismus und nannte einige Kriterien anhand derer man sogenannte „Israelkritik“ auf ihren antisemitischen Gehalt überprüfen könne. Er sparte auch nicht mit Hinweisen auf entsprechende Indizien bei den Veranstalter_innen des Abends. So wurde auf den aktuellen Fall des Chef des Linken-Stadtverbands Saarlouis, Mekan Kolasinac eingegangen der auf sich aufmerksam machte als er den Linken-Bundesparteichef Bernd Riexinger als „Falsche(n) hinterlistige/n) Jude(n)“ bezeichnete. Aber auch das Wirken der Böll-Stiftung wurde an einigen Stellen kritisch beleuchtet. Mit dem gut strukturierten und leicht verständlichen Vortrag wurden vor allem Grundlagen gelegt um sich mit dem Antisemitismus im Allgemeinen und bei der Linken im Besonderen auch zukünftig auseinandersetzen zu können. Auch bei der anschließenden Frage- und Diskussionsrunde glänzten Teilnehmende und Referent mit guten Beiträgen und interessanten Fragen.
Wir als Antifa Saar / Proket AK freuen uns sehr, dass wir diese Veranstaltungsreihe gemeinsam mit der DIG AG Saar, linksjugend [solid] Saar, CriThink! e.V. und der Heinrich Böll-Stiftung Saar gemeinsam durchführen konnten und so viele sich für das Thema interessierten.. Die veranstaltenden Gruppen waren sich auch in der Nachbesprechung einig, die Kooperation fortführen zu wollen.
Antifa Saar / Projekt AK im November 2017
Literaturtipps von Martin Jander:
- Barry Rubin, Revolution Until Victory?, London 1994 (Geschichte der PLO)
- Benny Morris, Rightrous Victims. A History of the Zionist-Arab Conflict 1881–2001, New York 1999
- Stefan Aust, Der Lockvogel, Reinbek 2002
- Wolfgang Kraushaar, Die Bombe im Jüdischen Gemeindehaus, Hamburg 2005
- Wolfgang Kraushaar (Hrsg.), Die RAF und der linke Terrorismus, (2 Bände), Hamburg 2006
- Meir Litvak and Esther Webman, From Empathy to Denial. Arab Responses to the Holocaust, London 2009
- Wolfgang Kraushaar, „Wann endlich beginnt bei euch der Kampf gegen die heilige Kuh Israel“, Reinbek 2013
- Jeffrey Herf, Undeclared Wars with Israel, Cambridge 2016
- Siehe auch meine Vorträge bei academia.edu