Völklingen: Verdrängen, Leugnen, Reinwaschen
Weltkulturerbe Völklinger Hütte: Ort der Ausbeutung und NS-Kriegswirtschaft
Die Völklinger Hütte, die nach ihrer Stilllegung 1986 viele Jahre vor sich hin rostete, hat sich in den vergangenen Jahren als Zentrum saarländischer „Industriekultur“ zu einer der wichtigsten touristischen Sehenswürdigkeiten des Saarlandes entwickelt. Mehrere hunderttausend Besucher_innen locken die verschiedenen Ausstellungen, Musik-Festivals und das Ferrodrom jährlich in die alten Anlagen der Völklinger Stahlproduktion, die eine imposante Kulisse für Pop-Art, Ethno-Kitsch und moderne Musik bieten. Auch zur Funktionsweise der alten Anlage können die Besucher_innen so manches lernen, speziell für Kinder wird die zugrunde liegende Technik, Chemie und Physik im Ferrodrom erlebbar gemacht. Die Völklinger Hütte, 1994 von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt, gilt im Saarland als Paradebeispiel für den erfolgreichen Strukturwandel, weg von der Schwerindustrie hin zu einem modernen Dienstleistungs- und Tourismusstandort. Doch der schöne Schein hat so manchen Makel.
Denn neben all der Inszenierung von Industriegeschichte und modernen Künsten scheint es sich der Generaldirektor der Völklinger Hütte, Meinrad Maria Grewenig, zur Hauptaufgabe gemacht zu haben, die Geschichte des Völklinger Stahlbetriebes und der Eigentümerfamilie Röchling möglichst stark zu verklären und die „dunklen Seiten“, von denen es mehr als genug gibt, kleinzureden oder ganz zu leugnen. In schlechter saarländischer Tradition werden die Röchlings wie auch die andere große saarländische Industriellenfamilie Stumm, die Eisenwerke in Saarbrücken und Neunkirchen betrieb, zu fürsorglichen Arbeitgebern verklärt, die ihren Arbeitern Lohn, Brot und einen bescheidenen Reichtum ermöglicht hätten. Dass Röchlings wie auch Stumms vielmehr autoritär-patriarchalische Ausbeuter waren, deren immenser Reichtum auf dem Rücken zehntausender saarländischer Arbeiter_innen erbeutet wurde, kommt im Saarland, wo der Ausgebeutete seit jeher den Schulterschluss mit seinem Ausbeuter sucht, kaum jemandem über die Lippen. So ist auch die Ausstellung „Die Röchlings und die Völklinger Hütte“, die am 19. Juni 2016 nach fast zweijähriger Laufzeit zu Ende geht, vielmehr eine Glorifizierung der Leistungen der Völklinger Stahlmagnaten und ihrer vorgeblichen Wohltaten für die Stadt, als eine ernsthafte wissenschaftliche und kritische Auseinandersetzung mit der Familien- und Industriegeschichte der Hütte.
Die „guten“ Röchlings und die unbequeme Vergangenheit
Nur wenige Hinweise, und diese auch eher versteckt, findet man in Völklingen auf die Bedeutung der Hütte in der Zeit des Nationalsozialismus. Etwa darauf, dass Hermann Röchling als Wehrwirtschaftsführer und Generalbevollmächtigter für die Eisen- und Stahlindustrie in Lothringen großen Anteil an der Waffen- und Kriegsproduktion des „Dritten Reiches“ hatte. Hermann Röchling war nicht etwa ein opportunistischer Geschäftsmann, dem sein finanzieller Gewinn am Herzen lag; Röchling war ein enger Vertrauter Adolf Hitlers, auch schon vor der Machtübernahme der NSDAP, deren Mitglied er im Jahre 1935 wurde. Im Vorfeld der Saarabstimmung 1935 engagierte sich Röchling für die Deutsche Front, die den Anschluss des Saargebietes an Nazideutschland propagierte. Röchling verfasste mehrere Denkschriften für Hitler, so etwa 1936 seine „Gedanken über die Vorbereitung zum Kriege und seine Durchführung“, in der er den Krieg gegen die Sowjetunion und das „Weltjudentum“ forderte. In seinem Stahlwerk mussten über 12.000 Sklavenarbeiter_innen und Kriegsgefangene, vor allem aus der Sowjetunion, Polen und Frankreich, schwerste Zwangsarbeit verrichten, ungezählte Menschen verloren dabei ihr Leben. Zur Disziplinierung der Zwangsarbeiter_innen unterhielten die Röchling’schen Eisen- und Stahlwerke im Köllerbacher Stadtteil Etzenhofen ein eigenes sogenanntes Arbeitserziehungslager, wo die internierten Frauen und Männer bei mangelhafter Ernährung den Drangsalierungen und Misshandlungen des Wachpersonals ausgesetzt waren. Eine ausführliche wissenschaftliche Aufarbeitung von Zwangsarbeit und Mord in Röchlings Fabriken fehlt bis zum heutigen Tag.
Nach dem Krieg wurden Hermann Röchling, sein Neffe, sein Schwiegersohn und die beiden Direktoren der Völklinger Hütte verhaftet und wegen „industrieller Ausbeutung der besetzten Gebiete, Erhöhung des Kriegspotentials des Deutschen Reichs und Einfluss auf die Verschleppung von Personen zur Zwangsarbeit“ angeklagt. Röchling wurde am 25. Januar 1949 wegen Verbrechen gegen die Menschheit von einem französischen Militärgericht in Rastatt zu zehn Jahren Haft verurteilt, aus der er bereits 1951 wieder vorzeitig entlassen wurde. Doch statt in Hermann Röchling nun endlich einmal den Ausbeuter und Kriegsverbrecher, der er war, zu sehen, machte man sich in Völklingen alsbald an die Arbeit, Hitlers Wehrwirtschaftsführer reinzuwaschen. Im Jahre 1956, ein Jahr nach Röchlings Tod, wurde die „Bouser Höhe“, ein Stadtteil Völklingens, in „Hermann-Röchling-Höhe“ umbenannt. Dass Röchling für tausendfache Versklavung und Tod verantwortlich war – für Völklingen kein Argument gegen die Ehrung eines verurteilten Kriegsverbrechers. Als Anfang der 2000er Jahre diese Namensgebung sowie die Ehrenbürgerschaft Hermann Röchlings bundesweit in die Kritik geriet, regte sich in Völklingen breiter Widerstand. Doch nicht etwa gegen den Namenspatron, sondern gegen jene, die dem Nazi und Ausbeuter Röchling an die weiße Weste wollten. Parteiübergreifend betonte man in Völklingen die sozialen Errungenschaften, die die Stadt ihrem Stahlpatron zu verdanken habe. Zwangsarbeiter, Ausbeutung, Vernichtung durch Arbeit? In Völklingen noch nicht einmal Fußnoten der Geschichte. Meinrad Maria Grewenig, Generaldirektor des Weltkulturerbes und enger Freund der Familie Röchling, verstieg sich sogar zu der Behauptung, eine Umbenennung der „Hermann-Röchling-Höhe“ würde den Status des Weltkulturerbes Völklinger Hütte gefährden. Anfang 2013 einigte sich der Völklinger Stadtrat nach jahrelangem Geplänkel schließlich auf einen Kompromiss: aus der „Hermann-Röchling-Höhe“ wurde nun die „Röchlinghöhe“ — mit dem Nebeneffekt, dass man nun nicht mehr einem, sondern drei verurteilte Kriegsverbrecher der Röchling-Dynastie zu Ehren verhalf.
Brandstifter im Parlament, Brandstifter auf den Straßen
Dabei pflegt man in Völklingen nicht nur mit „alten“ Nazis einen merkwürdigen Umgang: in der Stadt, in der seit Jahren Nazis der NPD in den kommunalen Parlamenten sitzen (2004 holte die NPD 9% der Wählerstimmen), gingen zwischen 2006 und 2011 mindestens 15 Häuser, die mehrheitlich von Menschen mit Migrationshintergrund bewohnt sind, in Flammen auf. Auch eine Gartenlaube in Großrosseln wurde niedergebrannt, auf die Ruine ein Hakenkreuz geschmiert. Die Vorgehensweise der Täter war in vielen der Fälle sehr ähnlich, genauso wie die Reaktion der Völklinger Polizei: während sich viele Betroffenen sicher waren, dass die Täter aus rassistischen oder nationalsozialistischen Motiven gehandelt haben mussten, beschritten die ermittelnden Völklinger Beamten den gleichen Weg wie auch die mit der NSU-Mordserie befassten Ermittler. Ein neonazistischer oder rassistischer Hintergrund wurde von Anfang an kategorisch ausgeschlossen, stattdessen wurde die Schuld bei den Betroffenen selbst gesucht, indem man ihnen kriminelle Motive unterstellte und Versicherungsbetrug witterte – Betroffene, die oft nur durch Glück mit ihrem Leben davon gekommen waren, wurden unter Generalverdacht gestellt und waren teilweise Objekt umfangreicher polizeilicher Überwachungsmaßnahmen – wenig überraschend blieben diese ergebnislos. Ein rechtes oder rassistisches Motiv wurde von den Ermittlern dagegen nie auch nur in Betracht gezogen, geschweige denn Tatverdächtige ermittelt. Dabei könnte es sich lohnen, mal einen genaueren Blick zu wagen auf die extrem rechte Szene der Stadt. Nicht nur sitzt hier die NPD seit Jahren in den kommunalen Parlamenten und Gremien; auch die „Freie Bürger Union – FBU“, die sich größtenteils aus ehemaligen NPDlern rekrutiert und federführend bei „Sagesa“ involviert ist, hat ihren Stammsitz in Völklingen. Nicht zuletzt waren und sind Völklingen und die umliegenden Orte auch ein Schwerpunkt der subkulturell geprägten Neonaziszene – etliche Mitglieder etwa der Neonazikameradschaften „Tollwütige Wölfe“ und „Sturmdivision Saar“ stammen von hier, ebenso der langjährige Landesvorsitzende und aktuelle Bundesvorsitzende der NPD, Frank Franz.
Dass man in Völklingen mit inhaltsleerer Industriekultur, großen Events und pompösen Ausstellungen versucht, einer strukturschwachen Region durch Umstrukturierung und Tourismusförderung wirtschaftliche auf die Beine zu helfen, ist ja an und für sich keine schlechte Sache. Wenn dies jedoch auf dem Rücken der Opfer und unter Verleugnung der „Schattenseiten“, nämlich NS-Rüstungsproduktion, Ausbeutung und Mord, geschieht und man sich so vehement weigert, einem verurteilten NS-Täter die posthume Verehrung zu versagen, dann wird klar, dass nicht nur der Strukturwandel, sondern vor allem ein gesellschaftlicher Sinneswandel in Völklingen nötig ist. Im Rahmen der Kampagne HASSHATKONSEQUENZEN treten wir für ein würdiges Gedenken an die Opfer rechten Terrors ein. Anlässlich des 25. Todestages von Samuel Yeboah, der am 19. September 1991 bei einem rassistischen Brandanschlag in Saarlouis ermordet wurde, rufen wir die Erinnerung an die zahlreichen Betroffenen und Todesopfer rechter Gewalt im Saarland wach und treten für eine gesellschaftliche Auseinandersetzung mit den Taten und der ihnen zugrunde liegenden gesellschaftlichen Stimmung ein. Wir fordern jede_n Einzelne_n dazu auf, auch gerade angesichts des wieder erstarkenden rechten Straßenmobs, die notwendigen Konsequenzen zu ziehen.
Keine Ehrung von NS-Verbrechern! Für eine vorbehaltlose wissenschaftliche Erforschung der Sklavenarbeit und der Morde in den Röchling’schen Eisenwerken! Für ein würdiges Gedenken der Opfer nationalsozialistischer Vernichtungspolitik! Aufklärung jetzt!
Antifaschistische Kundgebung | Sonntag, 19. Juni 2016 | 14 Uhr | Völklinger Hütte