Das Stadion, unendliche Weiten. Wir schreiben das Jahr 2016. Überall in Deutschland brennen Flüchtlingsunterkünfte. Die rechtsradikale Partei AfD feiert den Einzug in mehrere Landesparlamente und das gesellschaftliche Klima in Deutschland ist zunehmend geprägt von rassistischer Mobilmachung. Die Regierung schränkt das ohnehin kaum noch vorhandene Recht auf Asyl weiter ein. Doch vielerorts regt sich Widerstand. Menschen organisieren sich, um gegen Nazis und Brandstifter in Nadelstreifen aktiv zu werden. Im kleinen Saarland macht derweil die Antifa Saar / Projekt AK auf Verbindungen zwischen lokalen Nazis und diversen Fangruppierungen des 1.FC Saarbrücken aufmerksam.
Das Saarland — von vielen auch verächtlich „der Osten des Westens“ genannt — macht seinem Schmähnamen daraufhin wieder einmal alle Ehre. Während bundesweit gerade auch Fußballfans dieser Tage immer wieder Haltung zeigen und sich gegen Nazis und Rassisten in ihrem Stadion aussprechen, möchte man sich im Saarland die Kuschelatmosphäre mit den benannten Nazis nicht kaputt machen lassen. Zu lange hat doch „alles gut funktioniert“. Und schließlich geben die Mörder von Morgen ihre Gesinnung ja bekanntlich am Stadiontor ab. Stattdessen wendet man sich in bester „Kill the Messenger“-Manier gegen vermeintliche und tatsächliche Antifaschist_innen, die statt der Nazis aus dem Stadion geworfen, eingeschüchtert und angegriffen werden. Diese Situation wirft Fragen auf, die Alexander Breser, Pressesprecher der Antifa Saar / Projekt AK, im folgenden Interview beantwortet.
Frage: Hallo Alexander, ihr habt kürzlich in einer eurer Veröffentlichungen auf Verbindungen zwischen Fangruppierungen des 1. FC Saarbrücken und der saarländischen Naziszene hingewiesen. Worum ging es bei dieser Veröffentlichung?
Wir haben bei unseren Recherchen festgestellt, dass es ein Erstarken der rechten Szene innerhalb des Stadions gibt. Lokale Nazigrößen, wie etwa Jacky Süßdorf, sind erschreckend gut mit der Fanszene vernetzt, was dazu führt, dass die saarländische Naziszene immer offensiver auch im Stadion auftritt. Aus diesem Grund haben wir auf die personellen Überschneidungen aufmerksam gemacht und wollten damit zum einen die Öffentlichkeit informieren, zum anderen aber auch den antifaschistischen Teilen der Fanszene eine Hilfestellung geben. Konkret konnten wir belegen, dass nicht nur der „Supportersclub 95“, genannt „SC 95“, und die Hooligantruppe „Saarlandbrigade“ Verbindungen in die rechte Szene haben, sondern auch die „Saarbrücker Jungs“ sowie die „Crusaders“. Das Problem mit Nazis unter den Fans des FCS gibt es aber schon seit Jahren, insofern waren die Erkenntnisse nicht wirklich überraschend, sondern eher eine Bestätigung unserer langjährigen Beobachtungen. Überraschend war eher was nach der Veröffentlichung passierte.
Frage: Du spielst auf die Reaktionen an, wie sind die ausgefallen?
Die Reaktionen waren heftig und sehr gemischt. Auf der einen Seite haben wir viel Zuspruch erfahren und viele Leute waren erleichtert, dass die Antifa Saar auch über die Nazis beim Fußball berichtet. Aber es gab auch sehr ernüchternde Reaktionen. So haben die „Boys“, eine Ultragruppe, die sich „contre le racisme“ auf die Fahnen geschrieben hat, ein gemeinsames Transparent mit dem „SC 95“ im Stadion gezeigt, auf dem zu lesen war:„Leute denunzieren & Müll von sich geben – so ist das saarländische Antifa-Leben“. Diese offene Solidarisierung mit den ganzen fragwürdigen Clubs hat uns dann doch sehr gewundert, zumal offenbar nicht geleugnet wird, dass es sich bei den geouteten Personen um Nazis und ihre Freunde handelt. Eigentlich hatten wir darauf gehofft, dass die „Boys“ und andere Ultras den Worten auf ihren Bannern Taten folgen lassen und klar machen, dass sie keinen Bock auf Nazis und ihre Freunde in der Kurve haben. Als vor wenigen Monaten die beiden Nazis Jacky Süßdorf und Andreas Kraul (HoGeSa) die Virage Est besuchen wollten, wurde dies von einigen Ultras noch verhindert. Mit ihrer Transparent-Aktion haben die „Boys“ jetzt aber klar gemacht, dass sie offenbar nur gegen Nazis sind, wenn ihnen dafür selbst keine Unannehmlichkeiten drohen. Das ist nicht aufrichtig von den „Boys“ und für diejenigen Leute in der linken Szene, die die Fanszene des FCS nicht schon vor Jahren aufgegeben haben, eine herbe Enttäuschung. Immerhin haben einige Leute innerhalb der „Boys“ deutlich gemacht, dass sie diese Aktion nicht mittragen und haben den Club verlassen. Aber problematisch ist nicht nur das Verhalten der „Boys“, auch andere Gruppen aus der „Virage Est“ scheinen es „der Antifa“ übel zunehmen, dass sie auf die Nazis innerhalb der Fanszene aufmerksam gemacht hat. So haben diverse Leute Drohungen ausgesprochen, vermeintliche Antifas wurden aus dem Stadion geworfen und es gab zumindest mehrere versuchte Übergriffe.
Frage: Du hast gesagt es gab eine gemeinsame Aktion der „Boys“ und des „SC 95“, der laut eurer Veröffentlichungen auch Verbindungen zur Naziszene hat. Könntest du nochmal kurz zusammenfassen welche Erkenntnisse die Antifa Saar über den „SC 95“ hat?
Wir kennen einige Akteure des „SC 95“ seit mehr als zehn Jahren. So stammen beispielsweise Daniel Zanner und Boris Schellenberg aus der rechten Szene und haben sich irgendwann stärker dem Fußball zugewendet. Daniel Zanner und Boris Schellenberg sind aber keine Aussteiger aus der rechten Szene, sondern lediglich Leute, die nicht mehr ganz so offen als Nazis auftreten. Boris Schellenberg hat zum Beispiel nach wie vor Kontakte in die rechte Szene, was unter anderem an seinen Facebook-Bekanntschaften deutlich wird. Auf Schellenbergs Oberarm ist weiterhin eine Schwarze Sonne tätowiert, die nur als Bekenntnis zum Nationalsozialismus interpretiert werden kann. Daniel Zanner war zusammen mit einem weiteren Mitglied des „SC 95“, Jörn Bußmann, noch am 15. August 2013 an einem Übergriff auf Antifaschist_innen vor der Saarbrücker Garage beteiligt und hat gemeinsam mit Asif „Heiko“ Khan im Jahr 2007 das Jugendzentrum Neunkirchen angegriffen. Die Betroffenen bei dem Vorfall im August 2013 wurden unter anderem mit dem Worten „Scheiß linke Zecken“ beschimpft und einer mehrfach zu Boden geschlagen. Dass es sich bei den genannten Personen nicht um Mitglieder einer Kameradschaft oder der NPD handelt, ändert nichts daran, dass sie sich an Übergriffen beteiligen und eine Türöffnerfunktion für offensichtliche Nazis innerhalb der „Virage Est“ darstellen. Denn während andere Gruppen innerhalb der Kurve Hemmungen haben, sich mit offenkundigen Nazis wie den „Saarbrücker Jungs“ einzulassen, macht der „SC 95“ hier keine Unterschiede.
Frage: Du hast gerade erwähnt, dass du Daniel Zanner und Boris Schellenberg nicht als Aussteiger aus der Naziszene betrachtest. Warum nicht?
Sowohl Boris Schellenberg als auch Daniel Zanner waren Teil der rechten Kameradschaftsszene und haben mit dieser nie gebrochen. Wer behauptet, mit Nazis nichts mehr zu tun haben zu wollen, muss seinen Aussagen auch Taten folgen lassen. Es reicht nicht, sich einen „französischen“ Lifestyle zuzulegen und im Stadion die Füße still zu halten, wenn Kontakte zur rechten Szene weiterhin aufrecht erhalten werden und man sich außerhalb des Stadions an Übergriffen auf Andersdenkende beteiligt. Wer mit der rechten Szene nichts mehr zu tun haben will, muss alle Kontakte dahin abbrechen und seine alten Freunde und Kameraden hinter sich lassen. Viele Aussteiger-Programme fordern genau das. Nur so ist der Weg zurück in die rechte Szene verbaut und ein Ausstieg glaubwürdig.
Frage: Welche Einschätzung hat die Antifa Saar zu Asif Khan?
Antwort: Asif Khan war wie bereits erwähnt zusammen mit Daniel Zanner an einem Angriff auf das Jugendzentrum Neunkirchen beteiligt. Des Weiteren hat er seinen Nazifreunden in einem zwischenzeitlich eingestellten Ermittlungsverfahren wegen einer Veröffentlichung zum Übergriff vor der Saarbrücken Garage im Jahr 2013 die Treue gehalten und für sie bei der Polizei eine unwahre Aussage gemacht. Das führte dazu, dass bei dem betroffenen Antifaschisten eine Hausdurchsuchung stattfand. Die Sympathien und die Solidarität von Asif Khan sind also eindeutig verteilt. Wer für Nazis bei der Polizei lügt, unterstützt sie direkt, ist deshalb eine Gefahr und muss ausgeschlossen werden.
Frage: Du sprachst von Einschüchterungen. Was bedeutet das?
Es gab mehrere versuchte Übergriffe und Einschüchterungsversuche, sowohl von rechten Fans als auch von Leuten, die es eigentlich besser wissen müssten. Doch es zeigt sich gerade, dass innerhalb der Fanszene der Wunsch nach einem harmonischen Miteinander im Stadion offenbar auch Nazis mit einschließt und der oft proklamierte „Antirassismus“ dann wohl hinten anstehen muss. Das geht sogar soweit, dass Personen, die gar keine Nazis sind, diejenigen bedrohen, die auf das Naziproblem aufmerksam machen. Wir interpretieren das als einen Versuch, die heile Welt im Stadion mit einem „Leben und Leben lassen“ zwischen Nazi-Fans und anderen Fans zu retten. Das ist natürlich, insbesondere angesichts des aktuellen gesellschaftlichen Rechtsrucks, eine ignorante und inkonsequente Haltung. Zum einen gab es durchaus auch schon vor der Veröffentlichung Übergriffe auf Antifaschist_innen im Stadion und zum anderen beteiligen sich die Nazis, gegen die man im Stadion nichts unternimmt, eben auch außerhalb des Stadions an Übergriffen und unterstützen die rechte Szene. Es werden Nazis im Stadion geduldet, solange man selbst in Ruhe gelassen wird. Eine Solidarisierung mit den Opfern eben dieser Nazis findet nicht statt. Um es mal auf den Punkt zu bringen: Die besagten Leute haben kein Problem damit, mit Personen abzuhängen, die das JUZ in Neunkirchen angriffen haben, Antifas vor der Garage in Saarbrücken zusammengeschlagen haben oder für Nazis bei der Polizei lügen. Nichtmal, wenn die Nazis ihre eigenen Freunde oder sogar Mitglieder ihrer Fangruppen aus dem Stadion werfen. Was soll man dazu noch sagen?
Frage: Was würdest du Betroffenen raten?
Wir raten Betroffenen, sich grundsätzlich nicht von Nazis einschüchtern zu lassen und mit uns Kontakt aufzunehmen. Wir überlegen dann mit den Betroffenen, was in ihrem Fall die beste Vorgehensweise ist, um dafür zu sorgen, dass sie nicht weiter von Nazis angegangen werden. Alle Informationen, die an uns weitergegeben werden, behandeln wir selbst verständlich vertraulich. Auf unser Wort kann man sich verlassen!
Frage: Wie deutet ihr das Verhalten der „Boys“ und anderer Fangruppen angesichts der aktuellen gesellschaftlichen Situation, in der z.B. Übergriffe auf Flüchtlinge an der Tagesordnung sind?
Die Weigerung zahlreicher Fangruppen, die Nazis im Stadion als das zu erkennen, was sie sind, nämlich Nazis, ist fatal. Die Fans senden damit ein Signal an die rechte Szene, dass ihr Weltbild im Stadion akzeptiert wird und öffnen ihnen die Möglichkeit, ihre rechte Gesinnung ins Stadion zu tragen. Beim Fußball können sich die Nazis dann ungestört zum Shake-Hands treffen, während wir versuchen, ihre offiziellen Treffen mit Gegenaktivitäten zu verhindern. Das Stadion ist kein unpolitischer Ort außerhalb der Gesellschaft. Die Ultras sollten endlich aufhören, die Vorfälle zu entpolitisieren und für die Nazis den Kopf hinzuhalten. Sie müssen dafür sorgen, dass Nazis keinen Platz im Stadion haben, sonst machen sie sich nicht nur unglaubwürdig, sondern letztendlich mitschuldig an der Verschlimmerung der Gesamtsituation.