Aufruf zum Prozessbesuch am 6. Mai 2015

Update 05. Mai 2015: Für den morgi­gen Prozess wur­den vom Gericht beson­dere “Sicher­heit­san­forderun­gen” angekündigt. Diese umfassen einen “geson­dert gesicherten Bere­ich” um den Sitzungssaal 1, der nur nach vorheriger Durch­suchung betreten wer­den darf. Darüber hin­aus wer­den im Gerichtssaal keine Mobil­tele­fone, Fotoap­pa­rate, Com­puter etc. sowie “gefährlich erscheinende Gegen­stände” zuge­lassen und müssen vor Ort abgegeben wer­den. Aus diesem Grund empfehlen wir keine Handys etc. mit zur Ver­hand­lung zu nehmen, da diese bei den Wacht­meis­tern hin­ter­legt wer­den müssen.

Wir sind hier, um uns zu entschuldigen…

20150506_Aufruf-Prozess

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Am 6. Mai soll einem Genossen vor dem hiesi­gen Amts­gericht der Prozess gemacht wer­den. Die Staat­san­waltschaft wirft ihm vor, in der Sil­vester­nacht 2013/2014 eine Polizeistreife im Saar­brück­er Nauwieser Vier­tel mit Feuer­w­erk ange­grif­f­en, sowie am Rande eines Nazi­auf­marschs im Mai 2014 in Völk­lin­gen einen Polizis­ten mit ein­er Fah­nen­stange geschla­gen zu haben. Die staatlichen Repres­sion­sor­gane wollen das Bild eines gewalt­täti­gen Ran­dalier­ers zeich­nen, der in seinem Hass auf die Repräsen­tan­ten des Staates auch vor mas­siv­er Gewalt nicht zurückschrecke.

für jede Straßen­schlacht, jeden Wider­spruch, und was son­st noch unschön war…

In der Sil­vester­nacht 2013 wurde ein Streifen­wa­gen der Polizei im Nauwieser Vier­tel in Saar­brück­en aus ein­er großen Menge feiern­der Men­schen her­aus mit Böllern und Feuer­w­erk bewor­fen. Dies hin­ter­ließ bei den Polizist_innen im Fahrzeug offen­bar nach­haltig Ein­druck, so dass sie die Flucht antreten und Ver­stärkung her­beirufen mussten. Bei der anschließen­den Fah­n­dung wur­den auch mehrere junge Leute kon­trol­liert, die Feuer­w­erk­skör­p­er, darunter auch einige in Deutsch­land nicht zuge­lassene, mit sich führten. Einen der kon­trol­lierten Men­schen woll­ten die aus dem Vier­tel ver­triebe­nen Polizist_innen dann auch prompt als den­jeni­gen iden­ti­fiziert haben, der sie nur kurze Zeit vorher in der all­ge­meinen Sil­vesterk­nallerei um ihr Leben fürcht­en ließ. Im Nach­gang kon­stru­ierte die poli­tis­che Polizei (LKA Staatss­chutz) im Saar­land zur Unter­mauerung ihrer These vom „gewalt­täti­gen Link­sex­trem­is­ten“ einen Zusam­men­hang mit den Auseinan­der­set­zun­gen wenige Tage zuvor rund um das linke Zen­trum „Rote Flo­ra“ in Ham­burg. So wun­dert es auch wenig, dass Details zur Iden­ti­fizierung, die den Kon­trol­lierten belas­ten, erst Monate nach dem Vor­fall durch Polizis­ten in die Ermit­tlungsak­te einge­führt wer­den. Zwei weit­ere junge Leute, die am sel­ben Abend eben­falls von der Polizei kon­trol­liert wur­den, wur­den in einem sep­a­rat­en Ver­fahren wegen des Besitzes von nicht zuge­lassen­em Feuer­w­erk bere­its zu Geld­strafen verurteilt. Dass die bei­den Angeklagten von ihrem Recht auf Aus­sagev­er­weigerung Gebrauch macht­en, legte der zuständi­ge Richter gegen sie aus.

Am 10. Mai 2014 führte die Neon­azikam­er­ad­schaft „Stur­m­di­vi­sion Saar“ einen Auf­marsch im saar­ländis­chen Völk­lin­gen durch. Gegen die rund 25 Nazis protestierten rund 200 Gegendemonstrant_innen, weiträu­mig abges­per­rt durch mehrere hun­dert Polizist_innen, die zum Durch­prügeln des Nazi­auf­marsches aus mehreren Bun­deslän­dern herangekar­rt wur­den. Ein­er Gruppe von rund 40 Antifaschist_innen gelang es trotz Absper­rmaß­nah­men und mas­siv­er Polizeipräsenz, auf die Route der Nazis zu gelan­gen und diese zu block­ieren. Als der als „Trauerzug“ deklar­i­erte Auf­marsch die Block­ade erre­ichte, wurde diese von der Polizei, u.a. Son­dere­in­heit­en der Polizei Hes­sen und der Bun­de­spolizei, gewalt­sam von der Straße und gegen eine Wand gedrängt. Wenig später stürmte ein Trupp Polizist_innen erneut in die Rei­hen der Blockierer_innen, um eine Per­son her­auszu­greifen und in Gewahrsam zu nehmen. Begrün­dung: die Per­son habe einen Polizis­ten mit ein­er Fah­nen­stange geschla­gen und ver­let­zt. Hin­ter­her zeich­nete die Polizei das Bild ein­er gewalt­täti­gen Menge Gegendemonstrant_innen und beklagte drei ange­blich ver­let­zte Beamt_innen. So sollte das völ­lig überdi­men­sion­ierte Polizeiaufge­bot durch das Her­beireden ein­er gewalt­täti­gen Eskala­tion seit­ens der Blockierer_innen gerecht­fer­tigt wer­den. Dass die Gewalt und zahlre­iche Über­griffe an diesem Tag vor allem von der Polizei aus­gin­gen, deren Ein­satzkräfte auch nicht mit Belei­di­gun­gen („Fotze“) gegen Antifaschist_innen oder Ver­höh­nun­gen von Opfern ras­sis­tis­ch­er Gewalt sparten, bestätigten indes nicht wenige Augenzeug_innen auch aus dem bürg­er­lichen und parteipoli­tis­chen Spek­trum. Eine Land­tagsab­ge­ord­nete der Pirat­en-Partei, die die Über­griffe der Polizei fotografierte, wurde unter Andro­hung der Beschlagnahme ihres Handys genötigt, die gemacht­en Fotos wieder zu löschen. Die Polizei ver­langt von dem beschuldigten Antifaschis­ten nun Schmerzens­geld und ermit­telte gegen ihn wegen gefährlich­er Kör­per­ver­let­zung, Wider­stands und Belei­di­gung. Vor­würfe dieser Art kon­stru­iert die Polizei nicht sel­ten, um ihr eigenes gewalt­tätiges Ver­hal­ten zu kaschieren.

wir haben euch erzürnt, eure Kinder ver­saut, und euch dann noch ausgelacht …

Den let­zten größeren Ver­such, Polizeige­walt mit dem Bild von gewalt­täti­gen Antifaschist_innen zu recht­fer­ti­gen, unter­nahm die saar­ländis­che Polizei im Som­mer 2013. Als am 29. Juli 2013 eine Mah­nwache für den NS-Kriegsver­brech­er Erich Priebke in der Saar­brück­er Innen­stadt für die teil­nehmenden Nazis im Desaster endete, set­zte der saar­ländis­che Staatss­chutz in Folge auf die juris­tis­che Ver­fol­gung zahlre­ich­er Antifaschist_innen. Es wur­den gut ein Dutzend Ver­fahren haupt­säch­lich nach den ein­schlägi­gen Repres­sion­spara­graphen „Land­friedens­bruch“, „Ver­stoß gegen das Ver­mum­mungsver­bot“ und „Wider­stand gegen Voll­streck­ungs­beamte“ ein­geleit­et. Obwohl die Staat­san­waltschaft in eini­gen Fällen erhe­blichen Druck ausübte, um eine Anklageer­he­bung auch gegen den Willen der zuständi­gen Richter_innen durchzuset­zen, wur­den let­z­tendlich alle Ver­fahren entwed­er noch vor oder während der Gerichtsver­hand­lung eingestellt. Stattdessen musste sich ein­er der einge­set­zten Beamten der saar­ländis­chen BFE, nach­dem er einen Demon­stran­ten mit dem Schlag­stock grund­los niedergeschla­gen hat­te, wegen gefährlich­er Kör­per­ver­let­zung im Amt und Ver­fol­gung Unschuldiger vor Gericht ver­ant­worten. Hier wurde er in erster Instanz zu 18 Monat­en Haft verurteilt. Die Strafe wurde unter Auflage der Zahlung ein­er vier­stel­li­gen Summe an den Geschädigten zur Bewährung aus­ge­set­zt. Auch hier hat­te der zwis­chen­zeitlich verurteilte Straftäter in Uni­form ver­sucht, seine Tat durch einen ver­meintlichen Angriff durch den Geschädigten zu recht­fer­ti­gen. Noch vor Gericht phan­tasierte ein­er der einge­set­zten Polizis­ten von einem antifaschis­tis­chen „Lynch­mob“ und wusste zu bericht­en, dass die Nazis „um ihr Leben fürcht­en“ mussten. Wer­den ger­ade die erwäh­n­ten Para­graphen von der Polizei gerne dazu herange­zo­gen, eigene Tat­en zu verdeck­en oder zu recht­fer­ti­gen, so han­delt es sich bei diesem Ver­fahren um einen der bun­desweit sel­te­nen Fälle, bei denen Polizeige­walt juris­tis­che Kon­se­quen­zen für die Täter nach sich zieht. Dies ist einzig und allein ein­er nicht zu leug­nen­den Doku­men­ta­tion des Vor­falls auf Video zu verdanken.

wir haben bis heute geglaubt, dass ihr Arschlöch­er seid …

Während die Polizei immer wieder mit der exzes­siv­en Anwen­dung von Gewalt von sich reden macht, tritt sie gle­ichzeit­ig ver­stärkt als poli­tis­ch­er Akteur auf. Nicht nur im Saar­land, son­dern bun­desweit ver­sucht die Polizei, die Innen­poli­tik zu bes­tim­men. Das reak­tionäre Welt­bild der Polizei mit sein­er Ablehnung von bürg­er­lichen Frei­heit­en kommt nicht von unge­fähr. Bere­its mit den Sozial­is­tenge­set­zen unter Bis­mar­ck wurde die Polizei zum Kämpfer gegen gesellschaftlichen Fortschritt. Im Nation­al­sozial­is­mus beteiligte sich die Ord­nungspolizei, das organ­isatorische Dach der uni­formierten Polizeikräfte im Deutschen Reich, auch aktiv am deutschen Ver­nich­tungskrieg. Unter Hel­mut Kohl befeuerten Polizeigew­erkschaften mas­siv eine Ver­schär­fung des Ver­samm­lungsrechts, u.a. die Ein­führung des Ver­mum­mungsver­bots. Und auch heute geht die Arbeit der Polizei weit über das hin­aus, was man als ihre eigentliche Auf­gabe in einem bürg­er­lichen Staat begreifen kön­nte. Ins­beson­dere die bei­den großen Polizeigew­erkschaften GdP und DPolG sug­gerieren Gefahren­poten­ziale, wie etwa im Umfeld der oben erwäh­n­ten Proteste rund um die Rote Flo­ra. Dies führt u.a. dazu, dass – wie in Ham­burg geschehen — mal eben so ganze Stadt­teile zu soge­nan­nten Gefahrenge­bi­eten erk­lärt wer­den, in denen eine mas­sive Ausweitung der polizeilichen Befug­nisse gilt. Auf eben dieser Welle woll­ten wohl auch die Saar­brück­er Polizist_innen mitre­it­en, als sie sich einen Zusam­men­hang zwis­chen den Sil­vester­ereignis­sen im Nauwieser Vier­tel und den Auseinan­der­set­zun­gen in Ham­burg herbeiphantasierten.

Daneben betreibt die Polizei enorme Anstren­gun­gen, um die Deu­tung­shoheit in der öffentlichen Mei­n­ung zu erhal­ten. Ob am Rande von Fußball­spie­len, bei denen sie beina­he wöchentlich von Angrif­f­en auf Polizist_innen zu bericht­en weiß oder bei poli­tis­chen Aktio­nen, wie den Protesten gegen die Eröff­nung der EZB in Frank­furt am 18. März 2015, als die Polizei von über 100 ver­let­zten Beamten sprach, dabei aber wohlweis­lich ver­schwieg, dass diese fast auss­chließlich vom Pfef­fer­spray oder Trä­nen­gas der eige­nen Kol­le­gen aus­geschal­tet wur­den: das ständi­ge Her­auf­beschwören von Gefahren­la­gen oder ein­er „neuen Qual­ität der Gewalt“ dient einzig und allein der Selb­stle­git­imierung, der Aufrüs­tung und zunehmenden Mil­i­tarisierung der eige­nen Truppe. Durch das ständi­ge Erzeu­gen eines Angstk­li­mas fällt die Forderung nach mehr Polizei denkbar ein­fach. Wenn immer wieder von Aus­nahme­si­t­u­a­tio­nen berichtet wird, ist die Forderung von Polizeigew­erkschaftern wie Rein­er Wendt nach neuen Waf­fen und Aus­rüs­tung, ob Gum­migeschosse oder Drohnen, nicht weit. Solange sie ein solch­es Angstk­li­ma erzeugt und befeuert, kann sich die Polizei der Notwendigkeit ihres Han­delns und Daseins selb­st vergewissern.

In ihrem Drang nach Lenkung der öffentlichen Mei­n­ung geht die Polizei immer pro­fes­sioneller vor: ob mit Hil­fe von Pressesprecher_innen oder indem sie bei Ein­sätzen twit­tert, sie ver­bre­it­et Infor­ma­tio­nen und pro­duziert Nachricht­en, welche all zu oft ein­fach unkri­tisch und ungeprüft von vie­len Seit­en über­nom­men werden.

Doch die Polizei hat nichts als Akteurin in Poli­tik oder öffentlich­er Mei­n­ungs­bil­dung zu suchen. Für pro­gres­sive und emanzi­pa­torische Bestre­bun­gen kann sie daher niemals Fre­und und Helfer sein und auch keine poli­tis­che Koop­er­a­tionspart­ner­in, da sie im Zweifels­fall missliebige Per­so­n­en und Organ­i­sa­tio­nen mit Repres­sion überzieht. Dies hat sie seit ihrer Erfind­ung im späten 19. Jahrhun­dert regelmäßig unter Beweis gestellt.

es tut uns wirk­lich leid, wir ste­hen vor euch und haben Kekse mitgebracht.

Kommt zum Prozess! Mittwoch, 6. Mai 2015, 8.30 Uhr, Amts­gericht Saarbrücken

Sol­i­dar­ität mit dem Angeklagten!
Keine Zusam­me­nar­beit mit den Repressionsorganen!
No Jus­tice — No Peace!