Update 05. Mai 2015: Für den morgigen Prozess wurden vom Gericht besondere “Sicherheitsanforderungen” angekündigt. Diese umfassen einen “gesondert gesicherten Bereich” um den Sitzungssaal 1, der nur nach vorheriger Durchsuchung betreten werden darf. Darüber hinaus werden im Gerichtssaal keine Mobiltelefone, Fotoapparate, Computer etc. sowie “gefährlich erscheinende Gegenstände” zugelassen und müssen vor Ort abgegeben werden. Aus diesem Grund empfehlen wir keine Handys etc. mit zur Verhandlung zu nehmen, da diese bei den Wachtmeistern hinterlegt werden müssen.
Wir sind hier, um uns zu entschuldigen…
Am 6. Mai soll einem Genossen vor dem hiesigen Amtsgericht der Prozess gemacht werden. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm vor, in der Silvesternacht 2013/2014 eine Polizeistreife im Saarbrücker Nauwieser Viertel mit Feuerwerk angegriffen, sowie am Rande eines Naziaufmarschs im Mai 2014 in Völklingen einen Polizisten mit einer Fahnenstange geschlagen zu haben. Die staatlichen Repressionsorgane wollen das Bild eines gewalttätigen Randalierers zeichnen, der in seinem Hass auf die Repräsentanten des Staates auch vor massiver Gewalt nicht zurückschrecke.
… für jede Straßenschlacht, jeden Widerspruch, und was sonst noch unschön war…
In der Silvesternacht 2013 wurde ein Streifenwagen der Polizei im Nauwieser Viertel in Saarbrücken aus einer großen Menge feiernder Menschen heraus mit Böllern und Feuerwerk beworfen. Dies hinterließ bei den Polizist_innen im Fahrzeug offenbar nachhaltig Eindruck, so dass sie die Flucht antreten und Verstärkung herbeirufen mussten. Bei der anschließenden Fahndung wurden auch mehrere junge Leute kontrolliert, die Feuerwerkskörper, darunter auch einige in Deutschland nicht zugelassene, mit sich führten. Einen der kontrollierten Menschen wollten die aus dem Viertel vertriebenen Polizist_innen dann auch prompt als denjenigen identifiziert haben, der sie nur kurze Zeit vorher in der allgemeinen Silvesterknallerei um ihr Leben fürchten ließ. Im Nachgang konstruierte die politische Polizei (LKA Staatsschutz) im Saarland zur Untermauerung ihrer These vom „gewalttätigen Linksextremisten“ einen Zusammenhang mit den Auseinandersetzungen wenige Tage zuvor rund um das linke Zentrum „Rote Flora“ in Hamburg. So wundert es auch wenig, dass Details zur Identifizierung, die den Kontrollierten belasten, erst Monate nach dem Vorfall durch Polizisten in die Ermittlungsakte eingeführt werden. Zwei weitere junge Leute, die am selben Abend ebenfalls von der Polizei kontrolliert wurden, wurden in einem separaten Verfahren wegen des Besitzes von nicht zugelassenem Feuerwerk bereits zu Geldstrafen verurteilt. Dass die beiden Angeklagten von ihrem Recht auf Aussageverweigerung Gebrauch machten, legte der zuständige Richter gegen sie aus.
Am 10. Mai 2014 führte die Neonazikameradschaft „Sturmdivision Saar“ einen Aufmarsch im saarländischen Völklingen durch. Gegen die rund 25 Nazis protestierten rund 200 Gegendemonstrant_innen, weiträumig abgesperrt durch mehrere hundert Polizist_innen, die zum Durchprügeln des Naziaufmarsches aus mehreren Bundesländern herangekarrt wurden. Einer Gruppe von rund 40 Antifaschist_innen gelang es trotz Absperrmaßnahmen und massiver Polizeipräsenz, auf die Route der Nazis zu gelangen und diese zu blockieren. Als der als „Trauerzug“ deklarierte Aufmarsch die Blockade erreichte, wurde diese von der Polizei, u.a. Sondereinheiten der Polizei Hessen und der Bundespolizei, gewaltsam von der Straße und gegen eine Wand gedrängt. Wenig später stürmte ein Trupp Polizist_innen erneut in die Reihen der Blockierer_innen, um eine Person herauszugreifen und in Gewahrsam zu nehmen. Begründung: die Person habe einen Polizisten mit einer Fahnenstange geschlagen und verletzt. Hinterher zeichnete die Polizei das Bild einer gewalttätigen Menge Gegendemonstrant_innen und beklagte drei angeblich verletzte Beamt_innen. So sollte das völlig überdimensionierte Polizeiaufgebot durch das Herbeireden einer gewalttätigen Eskalation seitens der Blockierer_innen gerechtfertigt werden. Dass die Gewalt und zahlreiche Übergriffe an diesem Tag vor allem von der Polizei ausgingen, deren Einsatzkräfte auch nicht mit Beleidigungen („Fotze“) gegen Antifaschist_innen oder Verhöhnungen von Opfern rassistischer Gewalt sparten, bestätigten indes nicht wenige Augenzeug_innen auch aus dem bürgerlichen und parteipolitischen Spektrum. Eine Landtagsabgeordnete der Piraten-Partei, die die Übergriffe der Polizei fotografierte, wurde unter Androhung der Beschlagnahme ihres Handys genötigt, die gemachten Fotos wieder zu löschen. Die Polizei verlangt von dem beschuldigten Antifaschisten nun Schmerzensgeld und ermittelte gegen ihn wegen gefährlicher Körperverletzung, Widerstands und Beleidigung. Vorwürfe dieser Art konstruiert die Polizei nicht selten, um ihr eigenes gewalttätiges Verhalten zu kaschieren.
… wir haben euch erzürnt, eure Kinder versaut, und euch dann noch ausgelacht …
Den letzten größeren Versuch, Polizeigewalt mit dem Bild von gewalttätigen Antifaschist_innen zu rechtfertigen, unternahm die saarländische Polizei im Sommer 2013. Als am 29. Juli 2013 eine Mahnwache für den NS-Kriegsverbrecher Erich Priebke in der Saarbrücker Innenstadt für die teilnehmenden Nazis im Desaster endete, setzte der saarländische Staatsschutz in Folge auf die juristische Verfolgung zahlreicher Antifaschist_innen. Es wurden gut ein Dutzend Verfahren hauptsächlich nach den einschlägigen Repressionsparagraphen „Landfriedensbruch“, „Verstoß gegen das Vermummungsverbot“ und „Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte“ eingeleitet. Obwohl die Staatsanwaltschaft in einigen Fällen erheblichen Druck ausübte, um eine Anklageerhebung auch gegen den Willen der zuständigen Richter_innen durchzusetzen, wurden letztendlich alle Verfahren entweder noch vor oder während der Gerichtsverhandlung eingestellt. Stattdessen musste sich einer der eingesetzten Beamten der saarländischen BFE, nachdem er einen Demonstranten mit dem Schlagstock grundlos niedergeschlagen hatte, wegen gefährlicher Körperverletzung im Amt und Verfolgung Unschuldiger vor Gericht verantworten. Hier wurde er in erster Instanz zu 18 Monaten Haft verurteilt. Die Strafe wurde unter Auflage der Zahlung einer vierstelligen Summe an den Geschädigten zur Bewährung ausgesetzt. Auch hier hatte der zwischenzeitlich verurteilte Straftäter in Uniform versucht, seine Tat durch einen vermeintlichen Angriff durch den Geschädigten zu rechtfertigen. Noch vor Gericht phantasierte einer der eingesetzten Polizisten von einem antifaschistischen „Lynchmob“ und wusste zu berichten, dass die Nazis „um ihr Leben fürchten“ mussten. Werden gerade die erwähnten Paragraphen von der Polizei gerne dazu herangezogen, eigene Taten zu verdecken oder zu rechtfertigen, so handelt es sich bei diesem Verfahren um einen der bundesweit seltenen Fälle, bei denen Polizeigewalt juristische Konsequenzen für die Täter nach sich zieht. Dies ist einzig und allein einer nicht zu leugnenden Dokumentation des Vorfalls auf Video zu verdanken.
… wir haben bis heute geglaubt, dass ihr Arschlöcher seid …
Während die Polizei immer wieder mit der exzessiven Anwendung von Gewalt von sich reden macht, tritt sie gleichzeitig verstärkt als politischer Akteur auf. Nicht nur im Saarland, sondern bundesweit versucht die Polizei, die Innenpolitik zu bestimmen. Das reaktionäre Weltbild der Polizei mit seiner Ablehnung von bürgerlichen Freiheiten kommt nicht von ungefähr. Bereits mit den Sozialistengesetzen unter Bismarck wurde die Polizei zum Kämpfer gegen gesellschaftlichen Fortschritt. Im Nationalsozialismus beteiligte sich die Ordnungspolizei, das organisatorische Dach der uniformierten Polizeikräfte im Deutschen Reich, auch aktiv am deutschen Vernichtungskrieg. Unter Helmut Kohl befeuerten Polizeigewerkschaften massiv eine Verschärfung des Versammlungsrechts, u.a. die Einführung des Vermummungsverbots. Und auch heute geht die Arbeit der Polizei weit über das hinaus, was man als ihre eigentliche Aufgabe in einem bürgerlichen Staat begreifen könnte. Insbesondere die beiden großen Polizeigewerkschaften GdP und DPolG suggerieren Gefahrenpotenziale, wie etwa im Umfeld der oben erwähnten Proteste rund um die Rote Flora. Dies führt u.a. dazu, dass – wie in Hamburg geschehen — mal eben so ganze Stadtteile zu sogenannten Gefahrengebieten erklärt werden, in denen eine massive Ausweitung der polizeilichen Befugnisse gilt. Auf eben dieser Welle wollten wohl auch die Saarbrücker Polizist_innen mitreiten, als sie sich einen Zusammenhang zwischen den Silvesterereignissen im Nauwieser Viertel und den Auseinandersetzungen in Hamburg herbeiphantasierten.
Daneben betreibt die Polizei enorme Anstrengungen, um die Deutungshoheit in der öffentlichen Meinung zu erhalten. Ob am Rande von Fußballspielen, bei denen sie beinahe wöchentlich von Angriffen auf Polizist_innen zu berichten weiß oder bei politischen Aktionen, wie den Protesten gegen die Eröffnung der EZB in Frankfurt am 18. März 2015, als die Polizei von über 100 verletzten Beamten sprach, dabei aber wohlweislich verschwieg, dass diese fast ausschließlich vom Pfefferspray oder Tränengas der eigenen Kollegen ausgeschaltet wurden: das ständige Heraufbeschwören von Gefahrenlagen oder einer „neuen Qualität der Gewalt“ dient einzig und allein der Selbstlegitimierung, der Aufrüstung und zunehmenden Militarisierung der eigenen Truppe. Durch das ständige Erzeugen eines Angstklimas fällt die Forderung nach mehr Polizei denkbar einfach. Wenn immer wieder von Ausnahmesituationen berichtet wird, ist die Forderung von Polizeigewerkschaftern wie Reiner Wendt nach neuen Waffen und Ausrüstung, ob Gummigeschosse oder Drohnen, nicht weit. Solange sie ein solches Angstklima erzeugt und befeuert, kann sich die Polizei der Notwendigkeit ihres Handelns und Daseins selbst vergewissern.
In ihrem Drang nach Lenkung der öffentlichen Meinung geht die Polizei immer professioneller vor: ob mit Hilfe von Pressesprecher_innen oder indem sie bei Einsätzen twittert, sie verbreitet Informationen und produziert Nachrichten, welche all zu oft einfach unkritisch und ungeprüft von vielen Seiten übernommen werden.
Doch die Polizei hat nichts als Akteurin in Politik oder öffentlicher Meinungsbildung zu suchen. Für progressive und emanzipatorische Bestrebungen kann sie daher niemals Freund und Helfer sein und auch keine politische Kooperationspartnerin, da sie im Zweifelsfall missliebige Personen und Organisationen mit Repression überzieht. Dies hat sie seit ihrer Erfindung im späten 19. Jahrhundert regelmäßig unter Beweis gestellt.
… es tut uns wirklich leid, wir stehen vor euch und haben Kekse mitgebracht.
Kommt zum Prozess! Mittwoch, 6. Mai 2015, 8.30 Uhr, Amtsgericht Saarbrücken
Solidarität mit dem Angeklagten!
Keine Zusammenarbeit mit den Repressionsorganen!
No Justice — No Peace!