Vortrag und Diskussion mit Dr. Gerhard Wolf (University of Sussex)
Montag, 27. Oktober 201420.00 Uhr
Buchhandlung St. Johann
Kronenstr. 6, Saarbrücken
Vor genau 75 Jahren überfiel das nationalsozialistische Deutschland Polen und löste damit den Zweiten Weltkrieg aus. Westpolen wurde dabei direkt an das Deutsche Reich angeschlossen und zum Experimentierfeld nationalsozialistischer Bevölkerungspolitik. In diesen annektierten Gebieten wurden hunderttausende Polen enteignet, ermordet, oder in das nicht direkt annektierte polnische Gebiet des “Generalgouvernements” vertrieben, um Platz für die Ansiedlung “volksdeutscher” Umsiedler zu schaffen. Parallel dazu verlief die Deportation der jüdischen Bevölkerung. Die zahlreichen Ghettos und späteren Vernichtungslager wie Kulmhof und Auschwitz wurden zu Zentren des Völkermords der lokalen jüdischen Bevölkerung und der Juden Europas.
In seinem Buch Ideologie und Herrschaftsrationalität. Nationalsozialistische Germanisierungspolitik in Polen (2013) kann Gerhard Wolf jedoch zeigen, dass nationalsozialistische Bevölkerungspolitik nicht allein auf Vertreibung und Massenmord setze, um diese annektierten Gebiete in — so das ideologische Schlagwort der Zeit — “deutschen Lebensraum” zu verwandeln. Diese Verbrechen wurden vielmehr durch eine Zwangsassimilierung der lokalen nicht-jüdischen Bevölkerung ergänzt. Der von der SS favorisierte Weg, auch die einheimische Bevölkerung anhand rassischer Kriterien in Deutsche und nicht-Deutsche zu trennen und letzteren damit alle Rechte abzusprechen, scheiterte an dem Widerstand der deutschen Besatzungsverwaltung, die erkannte, dass die wirtschaftliche Ausbeutung der annektierten Gebiete und ihre dauerhafte Sicherung nicht gegen, sondern nur mit dem größten Teil der einheimischen Bevölkerung zu erreichen war. Lediglich Juden blieben von diesen Assimilationsbestrebungen ausgeschlossen. Gerhard Wolfs Studie zielt damit auf die zentrale Frage, welche Rolle ideologische und vor allem auch rassenideologische Motive für die Radikalisierung nationalsozialistische Politik spielten.
Gerhard Wolf, 1972 geboren, ist Lecturer for History an der University of Sussex in Brighton/UK und stellvertretender Leiter des dortigen Centre for German-Jewish Studies. Er ist seit 2001 freier Mitarbeiter an der Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz und war von 2002 bis 2004 Mitarbeiter der Ausstellung “Verbrechen der Wehrmacht. Dimensionen des Vernichtungskrieges 1941–1944” des Hamburger Instituts für Sozialforschung. Mit der vorliegenden Studie wurde er an der Humboldt-Universität zu Berlin promoviert.
Eine Veranstaltung der Heinrich-Böll-Stiftung Saar in Kooperation mit CriThink! e.V. — Gesellschaft zur Förderung des kritischen Denkens und Handelns und Antifa Saar / Projekt AK.